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CERN für einmal Vergnügungspark

Besucher lassen sich beim CERN über das ATLAS-Experiment informieren. Keystone

Die Europäische Organisation für Kernforschung (CERN) in Genf öffnete der Bevölkerung am Wochenende Tür und Tor. Der Publikumsaufmarsch war mit 30'000 Besuchern riesig.

Mit Führungen, Präsentationen, Theater und Musik feierte die Organisation ihr 50-jähriges Bestehen.

Das CERN hat seine weitläufige Anlage in Meyrin – ausserhalb von Genf – an der schweizerisch-französischen Grenze aufgebaut. Ein Sammelsurium von Gebäuden, Baracken und Hallen.

Am letzten Samstag wälzte sich ein gewaltiger Menschenstrom in Richtung CERN. Der öffentliche Verkehr konnte den Ansturm kaum verkraften, die Wege und Wiesen hinter Meyrin waren vollgestopft mit Autos.

«Schauen, was die da tun»

Zufällig kam jedoch niemand in diese Gegend. Alle wollten dabei sein, wenn die Kernforscher – anlässlich des 50. Geburtstages ihrer geheimnisvollen Anlage – dem gewöhnlichen Volk Zutritt gewährten.

Was wollten all die Besucher an dem Ort, wo «Teilchen» untersucht und beschleunigt werden? Eine Frau meinte, sie wolle mal schauen, was die da machen. Ein Mann wollte sich umsehen, da wo «so viel Geld verlocht» werde. Andere wiederum waren Angestellte, die ihren Angehörigen einmal zeigen wollten, wo sie arbeiten. Die meisten aber sagten: «Ich möchte verstehen, was die da tun.»

Doch mit dem Verstehen war es so eine Sache am «Tag der offene Tür» beim CERN. Überall versuchten liebenswürdige Wissenschafterinnen und Wissenschafter die hochkomplexe Materie auf Niveau «Normalmensch» zu transponieren.

Die versammelten Wissenschafter und Studentinnen – nicht nur CERN-Angestellte – versuchten ihrer Frau oder ihrem Freund zum Beispiel die «von den Sternen ausgestrahlten Gravitationsfelder» näher zu bringen. Auch hier fiel der am häufigsten gesagte Satz an diesem Tag: «Das ist natürlich stark vereinfacht gesagt, in Wirklichkeit ist alles viel komplizierter.»

Viele Vorführungen

Wo das Schild «open day» prangte, war etwas zu sehen. Die Verantwortlichen scheuten keine Mühen und zeigten spezielle Experimente oder liessen die Besucherinnen und Besucher einen Blick in sonst geschützte und für die Öffentlichkeit unzugängliche Orte – wie die riesige Computeranlage – werfen.

So transportierte ein erstaunlicher Roboter mit Namen «Krabbe» einen 30 Tonnen schweren Magneten. Oder man konnte die Eigenschaften von supraleitenden Fasern, die eine Gesamtlänge von 227’000 Kilometern haben, entdecken.

Vor allem den Kindern gefiel das Eis aus flüssigem Stickstoff. Dabei konnte, wer wollte, in «einen der kältesten Ort der Erde» treten. «Wenn Helium und Stickstoff flüssig werden, ist es deutlich kälter als am Südpol», wurde gesagt.

Andere wiederum besichtigten das TERA-Projekt, wo Teilchen für die medizinische Forschung beschleunigt werden. Und wer es genau wissen wollte, konnte seine Körpergrösse auf den Mikrometer genau messen.

Lange Wartezeiten

Vorträge, Diskussionen und Vorlesungen wurden gehalten. Auch wurde «Wissenschaft im Kindergarten» für die 3- bis 6-Jährigen betrieben. Und es gab natürlich zu Essen und zu Trinken.

Leider konnte niemand alle Vorführungen besuchen oder die gesamte Anlage besichtigen. Wartezeiten von einer bis zwei Stunden waren angesagt. Viele wähnten sich im Disneyland oder Europapark.

Deshalb sei hier, stellvertretend für alle, eine Besichtigung eingehender erwähnt. Sie war der Hit des CERN, Wartezeit: gut eine Stunde.

The Large Hadron Collider

Der von Geheimnissen umrankte «Large Hadron Collider» (LHC), ist noch im Bau und verschlingt viel Geld. Der LHC ist ein 30 Kilometer langer kreisförmiger Tunnel, der in einer Tiefe von hundert Metern rund um Genf gebaut wird.

«Hier», so Uwe Bratzler, CERN-Physiker aus Deutschland, «werden ab 2007 oder 2008 Protonen mit praktisch Lichtgeschwindigkeit zusammenstossen. Damit wir sie so stark beschleunigen können, brauchen wir diesen Ring.»

«Und dann?», fragt der Reporter.

«Wenn die Protonen sich treffen, dann entsteht im Vakuum ein Plasma von Milliarden von Graden und wir können hoffentlich herausfinden, wie das beim Urknall war, denn so dürfte der sich abgespielt haben.»

Das «ATLAS-Experiment»

Dieses «ATLAS-Experiment» braucht den «ATLAS-Detektor». Die Kaverne für das mächtige Ding ist im Bau. 10 Stockwerke hoch, 100 Meter unter dem Boden. Irgendwie wird man hier an die NEAT-Baustelle am Gotthard erinnert.

Die Frage, ob man dieses viele Geld nicht für wichtigere Dinge – Kampf gegen Hunger, Aids-Forschung etc. – als den Urknall ausgeben sollte, beantwortet der Physiker Peter Jenni:

«Wir hoffen, dass die hier gewonnenen Erkenntnisse dazu beitragen, die angesprochenen Probleme zu lösen. So wie uns das mit den andern Teilchen-Beschleunigern auch gelingt.» Dank diesen Erkenntnissen könnten zum Beispiel heute Krebstumore immer besser, effektiver und gewebeschonender bestrahlt werden, sagt Jenni.

Bau, Betrieb und Unterhalt des LHC und des ATLAS-Experimentes kosten schätzungsweise 5 Mrd. Franken und verschlingen fast das gesamte Budget des CERN bis zum Jahr 2010.

swissinfo, Urs Maurer, Genf

Das CERN in Genf öffnete für einen Besuchstag seine Tore.
Anlass war der 50. Jahrestag der CERN-Gründung.
30’000 Besucher strömten in die Anlagen.
Es gab Führungen, Präsentationen und ein Fest.

Der Europäische Rat für Nuklearforschung wurde 1954 gegründet. Er leitet das bei Meyrin (Genf) gelegene Europäische Labor für Nuklearforschung (Centre européen pour la recherche nucléaire – CERN).

3000 Personen arbeiten in den Labors, aber das CERN ist das eigentliche Herz eines Netzwerkes von rund 500 Universitäten in 80 Ländern.

6500 Forschende haben Zugang zu seinen Einrichtungen, das ist die Hälfte aller Teilchenphysikerinnen und -physiker der Welt.

Um Erfahrungen innerhalb des Netzes auszutauschen, erfanden Informatiker am CERN zu Beginn der 1990er Jahre das World Wide Web.

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