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«Climategate» war nur ein Strohfeuer

Die kritische Auseinandersetzung mit der vom Mensch beeinflussten Klimaerwärmung kann offenbar auch nicht mit gestohlenen Daten abgewürgt werden. imagepoint

In den letzten Monaten sind die Klimaforscher stark unter Druck geraten. Klimaskeptiker warfen ihnen vor, Daten manipuliert und die Auswirkungen der Klimaerwärmung verfälscht dargestellt zu haben. Ist nach dem dritten entlastenden Bericht jetzt Schluss mit der Kritik?

Sie haben also doch nicht geschummelt, die britischen Klimaforscher. Im November letzten Jahres, kurz vor der Weltklimakonferenz in Kopenhagen, war ihnen vorgeworfen worden, sie hätten Daten manipuliert und die Klimadaten der letzten Tausend Jahre überzeichnet dargestellt. Und gleich hatte man für diesen Skandal auch einen passenden Namen gefunden: «Climategate».

Die so genannten «Beweise» holten sich die Klimaskeptiker von gestohlenen E-Mails des Klimainstituts der britischen Universität East Anglia in Norwich. Dazu passte offenbar auch, dass der UNO Weltklimarat IPCC im Januar einen peinlichen Fehler in einem Kapitel über die Gletscher im Himalaya zugeben musste. Mit weiteren Medien-Meldungen wurde die Glaubwürdigkeit der Klimaforscher in Frage gestellt.

In diesen Chor stimmten nicht nur so genannte Revolverblätter ein. Auch die als seriös geltende britische Sunday Times zweifelte an, dass über 40% des Regenwalds im Amazonasgebiet durch die Klimaerwärmung zerstört werden könnten.

Mit einem Zitat des Amazonas-Experten Simon Lewis wollte die Zeitung ihre These untermauern. Dieser Artikel der Sunday Times wurden auf der ganzen Welt zitiert. Lewis konnte aber belegen, dass die Zeitung nicht die Wahrheit geschrieben hatte. Das Blatt entschuldigte sich im Juni für die begangene Fehlleistung.

Dreifache Rehabilitation

Die britischen Klimaforscher sind inzwischen von drei Seiten rehabilitiert worden: Absolution hat ihnen das britische Unterhaus erteilt, weiter ein Gremium aus internationalen Experten und zuletzt ein von der betroffenen Universität gegründetes Komitee.

Aber der Schaden ist bereits angerichtet. Urs Neu, der stellvertretende Geschäftsleiter von Proclim, der Klimaplattform der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz, sagt gegenüber swissinfo.ch: «In gewissen Teilen der Bevölkerung hat die Glaubwürdigkeit der Klimaforschung etwas gelitten. Denn von solchen Anschuldigungen, egal, ob sie sich dann als richtig oder falsch erweisen, bleibt immer etwas hängen.»

Er bemängelt auch, dass über die Entlastung der Wissenschafter, die jetzt stattgefunden hat, viel weniger berichtet werde als bei den Anschuldigungen.

Fehlende Offenheit

Obwohl auch der zuletzt erschienene Bericht den britischen Klimatologen kein schuldhaftes oder wissenschaftlich unkorrektes Verhalten nachweist, mahnt er doch, die Forscher von East Anglia hätten Offenheit vermissen lassen.

Dies sieht auch Urs Neu so:»Es ist eine Aufgabe der Wissenschaft, dieses Vertrauen jetzt wieder herzustellen. Und das geht eben nur mit Offenheit, mit möglichst guter Kommunikation.»

Für eine gute Kommunikation ihrer Forschungsergebnisse und den Auftritt in der Öffentlichkeit fehle jedoch vielen Wissenschaftlern die Erfahrung und Ausbildung, meint Urs Neu.

«Es ist eine neue Aufgabe, so in der Öffentlichkeit zu stehen und kommunizieren zu müssen. Die Wissenschaft muss sich auch Strategien überlegen, wie sie mit propagandistischen Angriffen umgehen soll, die eigentlich mit Wissenschaft nicht viel zu tun haben.»

Die Wissenschafter müssen sich laut Urs Neu auch bewusst sein, dass alles was da gesagt werde, irgendwo wieder auftauchen könne. Man müsse sehr vorsichtig sein mit dem, was man sage. «Das betrifft auch private Unterhaltungen mit Kollegen, die einem angehängt werden könnten.»

Jedes Mittel recht

Für den Schweizer Klimawissenschafter gibt es Kreise, die primär daran interessiert seien, die ganze Klimawissenschaft aus Gründen einer politischen Agenda in Frage zu stellen.

So weisen Verschwörungstheoretiker in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die aktuelle Kampagne der Klimaskeptiker in Amerika genau mit der Debatte über eine neue US-Klimagesetzgebung einhergehe.

Urs Neu rechnet damit, dass die Wissenschaft nicht verhindern kann, dass sie auf fragwürdige Weise angegriffen wird. «Bei solchen politisch motivierten Diskussionen sind alle Mittel recht. Man hat ja diese E-Mails einerseits gestohlen, und anderseits damit sachlich unhaltbare Vorwürfe konstruiert.»

Es sei halt so, dass die politischen Entscheide nicht nur davon abhängen, was zu tun wäre. Da spielten ganz andere Faktoren wie politische Einstellungen oder wirtschaftliche Interessen eine Rolle, «Und diese haben häufig ein höheres Gewicht als das, was man tun sollte.

Verhinderte Öffentlichkeit

Die Wissenschafter sind aber laut Urs Neu oft nicht unmittelbar Schuld an der ihnen angekreideten fehlenden Offenheit. Es sei häufig so, dass meteorologische Dienste ihre gesammelten Daten zwar der Forschung zur Verfügung stellten, aber nicht der Öffentlichkeit.

Dies sei eines der Probleme in England gewesen, sagt Urs Neu. Die Forscher von East Anglia hätten Daten aus der ganzen Welt gesammelt. Dabei seien auch Daten gewesen, bei denen man unterschrieben habe, sie nicht herauszugeben.

«Das ist auch in der Schweiz so. Hier wurde Meteo Schweiz im Prinzip von der Politik beauftragt, ihre Daten zu verkaufen und nicht öffentlich bereit zu stellen, wie das in Amerika der Fall ist. Dort sind alle von öffentlichen Institutionen erhobenen Daten frei zugänglich.»

Etienne Strebel, swissinfo.ch

Der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) mit Sitz in Genf wurde 1988 durch die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) gegründet.

Die Ergebnisse der Arbeiten sind die Basis für die internationalen Klimaverhandlungen im Rahmen des United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC).

Das IPCC besteht aus drei Arbeitsgruppen.

Die Arbeitsgruppe I befasst sich mit wissenschaftlichen Aspekten des Klimasystems und des Klimawandels.

Die Arbeitsgruppe II beschäftigt sich mit der Sensibilität der sozio-ökonomischen und natürlichen Systeme auf die Klimaänderung, mit den negativen und positiven Konsequenzen des Klimawandels sowie mit Anpassungsstrategien .

Die Arbeitsgruppe III befasst sich mit Strategien zum Schutz des Klimas.

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