Dank «Kyoto» von Bern nach Sao Paulo
Hin und Her zwischen Bern und Sao Paulo: René Büchler wanderte mit Familie in 15 Jahren zwei Mal nach Brasilien und zurück.
Dabei kämpfte der Spezialist für Deponien und Altlasten mit der Entwertung des brasilianischen Reals und den Schulkosten für seine Söhne. Erfolg brachte ihm die Idee, den Deponie-Betrieb mit dem Verkauf von Kyoto-Zertifikaten zu kombinieren.
«Familiär gesehen habe ich keine Disposition zum Auslandschweizer. Aber jetzt bin ich auf dem besten Weg, mir ein typisches Auslandschweizer-Verhaltensmuster anzueignen», lacht René Büchler, «nämlich alle paar Jahre stänkernd entweder hin- oder wieder zurück zu reisen».
Ins Ausland fand der Zürcher Bauingenieur relativ spät. Nichts sah nach einer Auslandschweizer-Karriere aus, als er in den 70er-Jahren seine Strassenbau-Lehre machte und später Polier im väterlichen Bauunternehmen wurde.
Ein Nierenleiden zwang ihn, die Arbeit auf dem Bau aufzugeben und sich weiterzubilden – dank Umschulungsgeldern der IV. Mit 30 Jahren schloss er 1989 sein Ingenieurstudium ab. Zwei Söhne hatte er damals schon – seine Frau hatte er 1980 in Bournemouth an einem Englischkurs kennen gelernt.
Seinen ersten Ingenieurs-Job fand er im Burgdorfer Technikum an der Pinwand: Die auf Umwelt und Geo-Technik spezialisierte CSD suchte Personal. «Ich meldete mich, auch weil mir auffiel, das CSD eine Filiale in Sao Paulo betrieb. So kam ich zur Deponie- und Altlasten-Branche.»
Später arbeitete Büchler an der Deponie Kölliken – damals ein politisches Grossthema und heute noch teuerste Altlast der Schweiz. Während sein dritter Sohn in Bern zur Welt kam, begann er sich mit Projekten der CSD-Filiale in Brasilien zu befassen.
1992 setzte er sich mit Frau und Kind erstmals nach Brasilien über. In Sao Paulo warteten viele Sondermüll- und Altlasten-Probleme auf Lösungen. «Der Familie gefiel das Leben dort», so Büchler: Für kleine Kinder sei das Land ein Paradies, weil alles erlaubt sei und sie im Mittelpunkt stünden.
Schwierige Zeiten
Doch begannen ihm die Kosten für Privatschulen und Mieten langsam über den Kopf zu wachsen, weil er ein ortsübliches Salär in der Landeswährung, dem Real, bezog, und nicht einen in Dollar fixierten Lohn einer multinationalen Firma.
Brasilien wertete seine Währung, den Real, stark ab. Dies nagte an Büchlers Kaufkraft, denn grosse Ausgaben für Schulgeld und Miete wurden ihm auf Dollarbasis berechnet. So musste er 1999 das Zelt abbrechen und in die Schweiz zurückkehren, obwohl die Familie lieber geblieben wäre.
Das Schweizer Comeback, zuerst im Kanton Freiburg, gestaltete sich schwierig. Eine murrende Familie, dörflich-beengende Agrar-Idylle statt Millionenstadt-Ambiance und Einschulungs-Schwierigkeiten der Söhne. «Erst der Umzug in die Stadt Bern brachte eine Besserung», so Büchler.
Arbeit dank Kyoto
Beruflich wandte er sich wieder Kölliken zu. Nebenbei bereitete er aber ein Konzept für eine Privatdeponie in einem Vorort von Sao Paolo vor.
«Erstmals las ich im Internet über das Kyoto-Protokoll und den Handel mit CO2-Zerfitikaten zur weltweiten Treibhausgas-Reduktion. Da fiel bei mir der Groschen», erinnert sich Büchler. Schnell wurde ihm klar, dass das für ihn finanziell interessant werden könnte – aber nur in Brasilien, nicht in der Schweiz.
«Mit einer öffentlich betriebenen Deponie hätte ich ein derart modernes Projekt nie durchziehen können», sagt er. Sein Kunde in Mauá bei Sao Paulo war ein privater Deponie-Betreiber.
Diesen vermochte Büchler von der Rentabilität einer geordneten Deponiegas-Verbrennung zu überzeugen: Einerseits finanziert die Weltbank solche Projekte, andererseits sind europäische Regierungen sowie grosse Unternehmen, speziell im Energiesektor, am Kauf von Emissions-Zertifikaten interessiert.
Europäische Industrieländer wie die Schweiz reduzieren durch den Kauf von Ausland-Zertifikaten ihre Treibhausgas-Emissionen zusätzlich. Eine solche «eingekaufte» Reduktion kommt sie kurzfristig günstiger zu stehen als die de facto Verminderung des CO2-Ausstosses durch eine teure Modernisierung der Anlagen.
Nachdem ihm Ende der 1990er-Jahre die Real-Abwertung einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte, gaben ihm die Kyoto-Zertifikate wieder Hoffnung: 2003 war sein Projekt in Mauá so reif, dass er die Koffer wieder packte und mit der Familie nach Brasilien flog.
Endgültig oder vorübergehend?
Doch diesmal kamen die Enttäuschungen von Seiten der heranwachsenden Söhne: An die Stelle der paradiesischen Kindheit des ersten Aufenthalts in Sao Paulo war eine nicht mehr ganz so sorgenfreie Jugend getreten.
Zudem war 2006 Büchlers Mission erfüllt. «Als ich 1992 zum ersten Mal dort angekommen war, fanden sich in dem riesigen Land höchstens ein paar wenige Deponie-Spezialisten. Doch heute ist das anders, es gibt viel mehr davon.»
Auch die Familie wehrte sich diesmal nicht gegen eine Rückkehr. Die Söhne wollten zur Weiterausbildung in die Schweiz.
Büchler arbeitet nun als selbständig Erwerbenderauch in der Schweiz. Das Gasfassungsprojekt Mauá begleitet er von hier aus. Aber ganz sesshaft geworden ist er nicht: Ab und zu sieht er in Sao Paulo selbst nach dem Rechten.
Ob der «ehemalige» Auslandschweizer nun für immer in der Schweiz bleibt? Einige Länder haben ihn bereits wegen ähnlicher Deponie-Projekte angefragt…
swissinfo, Alexander Künzle
René Büchler ist 1959 in Zürich geboren.
Nach der Strassenbau-Lehre besucht er am Technikum in Burgdorf die Bauingenieur-Schule.
Er spezialisiert sich auf Deponien und Altlasten.
1992 geht er mit Frau und drei Söhnen erstmals nach Brasilien.
Infolge Währungs-Abwertung kehrt er 1999 in die Schweiz zurück.
2003 kehrt er mit einem Konzept zum Emissionshandel aus Kyoto-Zertifikaten nach Brasilien zurück.
2006 reist er mit der Familie wieder in die Schweiz zurück.
Die Industrieländer haben sich 1997 in Kyoto verpflichtet, ihre Treibhausgas-Emissionen zu vermindern, um die Klimaerwärmung zu bekämpfen.
Vorgesehen ist eine Reduktion um 5,2% bis 2012 im Vergleich zum Ausstoss im Jahr 1990.
Verantwortlich für die Umsetzung in der Schweiz ist die Stiftung «Klimarappen». Sie soll auch im Ausland Kyoto-Zertifikate einkaufen.
Der Mechanismus des Zertifikate-Handels ist geschaffen worden, um den Entwicklungsländern zu ermöglichen, an der Emissionsreduktion teilzunehmen.
Sie können bei ihnen erzielte CO2-Reduktionen an Industrieländer verkaufen.
Die Idee dahinter: Da die Reduktionen global wirken, spielt es keine Rolle, wo sie erzielt werden, sie kommen ja ohnehin allen Ländern zu Gute.
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