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Dem Geist Raum geben

Christine und Jean-Pierre Brandt am Weltsozialforum in Porto Alegre. swissinfo.ch

Mit seiner Frau Christine hat Jean-Pierre Brandt im Süden von Brasilien ein Grundstück gekauft. Hier soll ein Zentrum für ganzheitliche Medizin entstehen.

Die Geschichte eines Schweizers, der in vielen Berufen arbeitete, kreuz und quer durch Amerika reiste und den spirituellen Weg zu seinem Lebensmotto gemacht hat.

Eine Zufallsbekanntschaft: Christine und Jean-Pierre haben sich der Schweizer Delegation des Weltsozialforums in Porto Alegre angeschlossen, die ein Projekt der Landfrauenbewegung im Nordosten des brasilianischen Bundesstaates Rio Grande do Sul besucht. Wir wechseln ein paar Worte. Jean-Pierre ist Schweizer.

Er erzählt kurz von seinen zahlreichen Reisen, den neuen Projekten in Brasilien, dem Interesse seiner Frau an Heilpflanzen. Ihre Geschichte macht mich neugierig. Wir vereinbaren ein Treffen in Porto Alegre.

Vom Berner Jura nach Ecuador

«Ich bin 1942 in Reconvilliers im Berner Jura zur Welt gekommen «, erzählt Jean-Pierre. «Erinnerst du dich an den Streik der Giesserei Swissmetal? Am argentinischen Fernsehen wurde eine Reportage gezeigt. Nun, mein Grossvater war einer der Gründer dieser Giesserei.»

Jean-Pierre, dessen Vater in der Uhrenindustrie arbeitete, liess sich an der Kunstgewerbeschule in Genf zum Goldschmied ausbilden. Doch die Schweiz war ihm zu eng und zu konservativ. «Ich wollte neue Horizonte entdecken.»

So nahm er die Einladung eines Freundes aus der Kunstgewerbeschule an und reiste nach Ecuador. «Die Reise sollte drei Monate dauern. Daraus wurden zwei Jahre.» In Südamerika arbeitete der junge Goldschmied als Fotograf, Innenarchitekt und Barkeeper. Zusammen mit einem Agronomen aus Australien verbrachte er drei Monate im Amazonasgebiet.

Ein goldener Käfig

Nach diesem Abenteuer wandte sich Jean-Pierre nach Norden. Sein Ziel war Quebec. In Miami stieg er in den Greyhound-Bus und fuhr nach San Francisco.»Es war kurz nach den 68-er-Revolten an der Universität von Berkley, das Free Speech Movement hatte sich etabliert, und in der Gesellschaft gärte es.»

Jean-Pierre blieb zwei Jahre in Kalifornien und verdiente sich seine Brötchen als Goldschmied bei Tiffany. Dann beschloss er, in die Schweiz zurückzukehren. «Einige Zeit arbeitete ich als Schmuckdesigner in Biel. Der Lohn war fürstlich, aber die Arbeit zum Davonlaufen. Ein goldener Käfig!»

Die Reiselust gewann erneut die Oberhand. «Dieses Mal zog es mich in die Karibik.» Per Zufall entdeckte Jean-Pierre ein Zeitungsinserat für eine Stelle auf einem Schiff nach Martinique. «Damals wurde mir bewusst, dass es genügt, eine Vision zu haben. Ist die Vision vorhanden, hilft uns eine höhere Macht, sie zu verwirklichen.»

Die Entdeckung der ganzheitlichen Medizin

Die Reise dauerte ein Jahr. Dann kehrte Jean-Pierre nach Kalifornien zurück. «Ich eröffnete in Carmel einen Juwelierladen und hatte damit viel Erfolg – 17 Jahre lang. Doch dann gab eine Krankheit meinem Leben eine neue Wende.»

Jean-Pierre entdeckt die Massage und die ganzheitlichen Heilmethoden. Er beginnt sich für Ernährung zu interessieren. Er lernt Christine kennen, eine Deutsche, die wie er zu Beginn der 1970er Jahre Europa den Rücken gekehrt hat, um in einem freiheitlicheren Klima zu leben.

Christine hat nach einem Reitunfall bei einer koreanischen Nonne Akupunktur gelernt und sich mit Heilmethoden vertraut gemacht, die «Körper, Geist und Seele» ansprechen. Und sie unterrichtet. Jean-Pierre wird ihr Schüler, dann arbeiten sie zusammen und werden schliesslich ein Paar.

Richtung Süden

Doch in diesen 17 Jahren hat sich Kalifornien verändert. «Die Suche nach Freiheit hat uns nach Kalifornien gebracht. Nun schwang das Pendel zurück.» Damit beginnt für Christine und Jean-Pierre eine Odyssee.

1996 verkaufen sie ihr Haus in Kalifornien, reisen nach Guatemala und setzen sich als Freiwillige in einer Nichtregierungs-Organisation (NGO) für die Einhaltung der Menschenrechte ein. In den folgenden Jahren bereisen sie Zentralamerika und Europa, um dann für kurze Zeit nach Kalifornien zurückzukehren: «Hier bestätigte sich, was wir bereits wussten: Es hatte keinen Sinn zu bleiben.»

Dann entdecken sie Brasilien. Auch jetzt ist wieder der Zufall am Werk. Aus der Zeitung erfahren sie von einem Heiler namens João de Deus, der in Abadiâna in Zentralbrasilien lebt. Im November 2003 kommen sie über die brasilianische Grenze. Sie bleiben acht Monate. «Wir sammelten Material für ein Buch über Heiler», ergänzt Jean-Pierre.

Neuanfang in Brasilien

Doch sie haben kein gültiges Visa und müssen erneut Abschied nehmen. Es geht nach Europa, nach Kalifornien, Bolivien, Argentinien und Uruguay. Dann kehren sie nach Brasilien zurück.

Im Bundesstaat Rio Grande do Sul lernen sie Rafinha kennen, die im Rahmen der Landfrauenbewegung eine Reihe von «Landapotheken» gegründet und damit der Naturmedizin wieder Beachtung verschafft hat. Von Rafinha erwerben Christine und Jean-Pierre im Nordosten des Bundesstaates 4,5 Hektaren Land und im Dorf Maquiné einige Gebäude.

«Hier haben wir alles, was wir uns gewünscht haben», sagt Christine. «Sogar einen Brotofen. Und im Garten spriessen bereits achtzig verschiedene Heilpflanzen.»

Und Jean-Pierre fügt hinzu: «Vergessen wir nicht: Wir sind menschliche Wesen, die auf der Erde einen spirituellen Weg gehen. Geben wir unserem Geist den nötigen Raum, bekommen wir alles, was wir brauchen.»

swissinfo, Andrea Tognina, Porto Alegre
(Übertragung aus dem Italienischen: Maya Im Hof)

2003 lebten in Brasilien über 13’000 Schweizerinnen und Schweizer.

Die Reisen in Zentralamerika haben Christine und Jean-Pierre Brandt geprägt. Sie haben miterlebt, was Unterdrückung für die Menschen dort bedeutet.

«Diese Erlebnisse haben uns darin bestärkt, unserem Leben eine neue Richtung zu geben. Wir wollten nicht zu diesen Problemen beitragen.»

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