Dem Kern der Materie noch näher kommen
Dank der neuen Lichtquelle des Paul Scherrer Instituts können in der Struktur der Materie Einzelheiten in der Grösse von Tausendstel-Millimetern festgestellt werden.
Das Gerät namens LUCIA ist das Resultat einer internationalen Zusammenarbeit. Es wird eine der stärksten Lichtquellen der Welt sein.
Das Paul Scherrer Institut (PSI) liegt nördlich von Baden und ist dem Rat der Eidgenössischen Technischen Hochschulen unterstellt.
1200 Angestellte arbeiten im grössten schweizerischen Forschungszentrum dieser Art, das sich dem Studium der Materie und der Elementarteilchen, aber auch der Medizin, der Biologie, der Umweltwissenschaften und der Astrophysik widmet.
In einem vor drei Jahren erstellten Gebäude ist die Synchrotron Lichtquelle Schweiz (SLS) untergebracht, die nicht nur X-Strahlen erzeugt, sondern auch das stärkste Mikroskop des Landes ist. Seit der Einweihung von LUCIA ist es sogar eines der stärksten der Welt.
Die verrückte Bahn der Elektronen
Die Maschine erinnert in ihrem Prinzip stark an die Teilchenbeschleuniger, wie sie das CERN bei Genf benutzt.
Der Unterschied liegt vor allem in der Grössenordnung. Während das Europäische Labor für Teilchenphysik auf der Jagd nach den letzten Partikeln die Atomkerne spaltet, begnügen sich die SLS Beschleuniger (von denen es weltweit gut fünfzig gibt) damit, die Elektronen in eine spiralförmige Bahn zu bringen.
«Sie können das mit einer Autorennstrecke vergleichen. Man beschleunigt die Elektronen in einem Magnetfeld, bis sie fast Lichtgeschwindigkeit erreicht haben. Gleichzeitig sorgen weitere Magnete dafür, dass sie im Ring bleiben», erklärt Francis Waldvogel, Präsident des ETH-Rats.
Von Natur aus würden sie eine gerade Bahn wählen. Aber dank der magnetischen Begrenzung setzen die Elektronen Photonen, winzige «Lichtkerne», frei.
Unsichtbares Licht
«Um beim Bild der Autorennstrecke zu bleiben: Dieses Licht würde den Scheinwerfern entsprechen, deren Strahl direkt nach vorne gerichtet ist», fährt Waldvogel weiter.
Man muss also nur diese Scheinwerfer in die so genannten Strahllinien leuchten lassen, ein Objekt hinein stellen und dahinter schauen, um zu sehen, welches Bild man erhält.
Statt von Licht sollte man eigentlich eher von Röntgen-Strahlen sprechen. Das Licht setzt sich aus elektromagnetischen Wellen zusammen. Je nach Frequenz sind die Wellen länger oder kürzer. In den Wellen mit den höchsten Frequenzen sind die Röntgen-Strahlen zu finden.
Bei einer Lichtquelle wie LUCIA werden also die zu beobachtenden Objekte einem sehr konzentrierten Bombardement ausgesetzt: Sie empfangen 10’000’000’000’000 Photonen pro Sekunde.
Dank dieser Intensität des Lichtbombardements sind in der Struktur der Materie Einzelheiten von der Grösse eines Mikrons, also eines Tausendstelmillimeters erkennbar.
Wasserverschmutzung und Betonbeständigkeit
Diese Technik kann in verschiedenster Weise angewendet werden. Man kann mit ihr Proteine, aber auch neue Materialien für Schaltkreise oder Proben verseuchten Bodens untersuchen.
LUCIA eröffnet aber auch in Labors, welche die Auswirkungen von Gewässerverschmutzungen analysieren, neue Perspektiven. Man hofft, dass dank der Präzision der erhaltenen Bilder endlich die Interaktion zwischen Arsen und Phosphaten im Wasser verständlich wird.
Ein weiterer Bereich von grossem Interesse: Zement. Es besteht die Hoffnung, dass dank der neuen Lichtquelle die Alterungs- und Ermüdungserscheinungen bestimmter Bauten deutlich werden, die von den Sulfaten im Wasser kommen, das für die Betonfabrikation benutzt wird.
Internationale Zusammenarbeit
Die SLS nahm ihre Arbeit 2001 mit sechs Strahllinien auf. Mit der jüngsten, LUCIA, sind es nun neun. LUCIA wurde am 22. Juni eingeweiht.
Die Technologie wurde in enger Zusammenarbeit mit zwei italienischen Instituten und dem Nationalen Forschungszentrum Frankreichs entwickelt, das in der Region Paris seine eigene Lichtquelle namens SOLEIL baut.
«Das zeigt deutlich das internationale Interesse», freut sich Francis Waldvogel.
swissinfo, Marc-André Miserez
(aus dem Französischen: Charlotte Egger)
Die SLS (Synchrotron Lichtquelle Schweiz) kostete 160 Millionen Franken. Das entspricht dem Bau von drei Autobahnkilometern.
Zwei Drittel der Kosten wurden von den Eidgenössischen Technischen Hochschulen übernommen, der Rest kam vom Bund
Die SLS ist eines der stärksten Mikroskope der Welt. Sie arbeitet mit 600 Magneten und benötigt insgesamt 4 Megawatt Energie.
300 Pumpen erzeugen das Vakuum in ihren 600 Meter langen Röhren, in denen die Elektronen auf spiralförmige Bahnen gebracht werden.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch