«Den Preis bezahlt der Künstler!»
Kein Kunst-, sondern ein Medien- und Politskandal, sagt Thomas Hirschhorn zum Sturm, den seine Pariser Ausstellung im Schweizer Parlament ausgelöst hatte.
Jetzt kam Hirschhorn, er lebt seit 1984 in Paris, zum ersten Mal nach dem Wirbel für einen Vortrag in die Schweiz. swissinfo hat mit ihm gesprochen.
swissinfo: Ist es für Sie ein besonderes Gefühl, zum ersten Mal nach ihrer Pariser Ausstellung öffentlich in der Schweiz aufzutreten?
Thomas Hirschhorn (lacht): Ich bin nervös, wie immer vor einem Vortrag. Ich versuche zu zeigen, dass ich meine eigene künstlerische Logik habe, und ich weiss nicht, ob ich das schaffe.
swissinfo: Sie haben sich in ihrer Pariser Ausstellung während zweier Monate jeden Tag dem Publikum gestellt. Mussten Sie sich danach erholen?
T.H.: Natürlich war ich danach todmüde, aber Weiterarbeiten ist die beste Erholung. In den zwei Monaten seither habe ich bereits drei meiner älteren Arbeiten neu ausgestellt, in Chicago, in Paris und gegenwärtig in München.
swissinfo: Wie fielen die Reaktionen des Publikums in Paris aus?
T.H.: Es ging nicht darum, als Künstler mich dem Publikum zu stellen, denn meine Arbeit «stellt» sich dem Publikum. Es ging mir darum, präsent zu sein und etwas zu produzieren. Wir haben ja jeden Tag zusammen mit dem Publikum etwas produziert. Eine Zeitung, eine philosophische Lesung, ein Theaterstück.
Es sind sehr viele Besucher ins Centre Culturel Suisse in Paris gekommen, und es gab sehr viele Reaktionen. Ich bin aber nicht der «Buchhalter» meiner Ausstellung, schön war einfach, dass viele Leute lange in der Ausstellung geblieben sind oder gar mehrmals gekommen sind.
Schön war, dass sich das Publikum vor Ort mit meiner Arbeit auseinander gesetzt hat und es da eine Diskussion gab. Ich habe im Centre Culturel Suisse in Paris Momente eines öffentlichen Raums geschaffen. Nur in einem öffentlichen Raum trifft man auf ein «nicht-exklusives» Publikum, also nicht nur Kunstinteressierte, sondern auch Passanten und «Rumhänger» aus dem Quartier. Es ist der Beweis, dass wir mit Präsenz, Produktion und Form Öffentlichkeit herstellen konnten.
swissinfo: Eine Autorin, die verschiedene Kunstskandale untersucht hat, stellte die These auf, dass am Ende eines Skandals alle Beteiligten ihre Lektion gelernt hätten.
T.H.: Solche Thesen interessieren mich nicht, ich konzentriere mich lieber auf meine Arbeit. Es gibt keinen Kunstskandal oder «Hirschhorn-Skandal», sondern vielmehr einen Medienskandal und, was wirklich bedenklich ist, einen auf den Medienskandal beruhenden Politskandal.
Die meisten Medien haben zuerst billig, unsorgfältig und unprofessionell über dieses «skandalöse Kunstwerk» berichtet. Zweitens hiess es dann, die Ausstellung sei schlecht, künstlerisch schwach, und dann kam drittens der Vorwurf, dass der Künstler den Skandal als Strategie inszeniert habe.
Dies zeigt doch auf, dass die meisten Journalisten nur wild herum spekulieren. Ich habe leider erfahren müssen, wie viele Journalisten vorgehen. Dass sie, statt sich selber vor Ort ein Bild zu machen, von anderen Zeitungen abschreiben und dadurch ganz einfach Unwahrheiten weiter erzählen, statt den Leser kritisch zu informieren!
Niemand vom «Blick» – der Zeitung mit der höchsten Auflage und den meisten Lesern in der Schweiz, die mich einen «Skandalkünstler» nannte – hat die Ausstellung selbst gesehen. Das ist doch nur peinlich! Ich weiss nicht, wie die das verantworten können!
swissinfo: Ärgert es Sie nicht, wenn im Strudel des so genannten Skandals der genaue Blick auf ihre Ausstellung verloren ging?
T.H.: Dies ist der Preis, den ich als Künstler doch bezahle! Ich habe den 450 Quadratmetern des Centre Culturel Suisse eine neue Form gegeben, zwei Monate lange waren wir präsent und haben produziert – elf Stunden am Tag.
Ich habe über 1000 Zeitungsseiten gemacht mit Texten über Demokratie und darüber hinaus, in einer Auflage von 300 bis 500 Stück täglich. Der deutsche Philosoph Marcus Steinweg hat jeden Tag vor 20 bis 30 Zuhörern eine Lesung seiner Texte zum Thema Demokratie gehalten.
Und 50 Mal wurde das in meine Ausstellung integrierte Theaterstück «Wilhelm Tell» von Gwenaël Morin und seiner Truppe aufgeführt, vor jeweils 60 bis 80 Zuschauern. Natürlich sind dann diese grotesken journalistischen Reduzierungen schade.
swissinfo: Signalisiert der Parlaments-Entscheid einen kulturpolitischen Klimawandel? Wird die Luft für die Freiheit der Kunst in der Schweiz dünner?
T.H.: Die Luft wird dünner, und das politische Klima verhärtet sich ganz allgemein. Die Luft für Kunst ist immer dünn, darüber beklage ich mich aber nicht!
Seit der Wahl Blochers in den Bundesrat lässt sich die politische Rechte in der Schweiz ständig rechts überholen. Blocher als Bundesrat legitimiert Populismus, rechtsextremes Gedankengut und Fremdenfeindlichkeit. Das ist die Gefahr, nicht das, was er im Bundesrat durchsetzen kann oder nicht!
«Swiss-Swiss Democracy» ist keine Ausstellung gegen diesen oder jenen Politiker, das wäre wirklich schlechte Kunst! Es ist eine Arbeit mit einem universellen Anspruch. Ich wollte damit ein Gefäss schaffen für Gedanken über Demokratie und darüber hinaus, gezeigt am Beispiel Schweiz, weil sie ein Modell ist, weil ich sie am besten kenne, weil ich Schweizer bin.
Ich mache keine politische Kunst, sondern ich will meine Arbeit als Künstler politisch machen! Mein Manifest «Ich stelle nicht mehr in der Schweiz aus» hat nichts mit dem Thema meiner Ausstellung «Swiss-Swiss Democracy» zu tun. Es erklärt aber, weshalb diese Ausstellung in Frankreich war und nicht in der Schweiz.
swissinfo: Freuen Sie sich auf die erste Ausstellung in der Schweiz, wenn die Blocher-Ära im Bundesrat vorüber ist?
T.H.: Ich freue mich immer, eine neue Ausstellung zu machen. Das bedeutet: Seine Arbeit zeigen und zu versuchen, durch diese Arbeit seine künstlerische Position zu klären.
Es ist für mich eine Herausforderung auf die Frage, «wo stehe ich, was will ich?», eine Antwort zu geben. In der Schweiz oder wo auch immer.
swissinfo-Interview, Renat Künzi
Thomas Hirschhorn gehört zu den bedeutendsten Schweizer Künstlern der Gegenwart.
2004 wurde er mit dem Joseph-Beuys-Preis ausgezeichnet.
Er lebt seit 1984 in Paris.
Er stellt seine Werke an den Biennalen und in den grossen Museen rund um den Kunst-Globus aus.
Seine Werke und Ausstellungen sind Skulpturen, die öffentlichen Raum schaffen für Begegnungen und Dialoge.
Hirschhorn ist jeweils mit seiner Präsenz und Produktion aktiver Teil dieser geschaffenen Öffentlichkeit.
Hirschhorns Ausstellung «Swiss-Swiss Democracy» war für den Ständerat Anlass, das Budget der Pro Helvetia um 1 Mio. auf 33 Mio. Franken zu kürzen.
Pro Helvetia hat die Schau in ihrem Centre Culturel Suisse in Paris mit 180’000 Franken finanziert.
Grund für die «Strafaktion» war, dass Hirschhorn die Grundwerte der Schweizer Demokratie in den Dreck gezogen haben soll.
Im Theater, das zur Ausstellung gehörte, mimten Schauspieler Erbrechen in eine Wahlurne sowie Pinkeln auf eine Darstellung, die Ähnlichkeit mit Bundesrat Blocher hatte.
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