Der Joint vor seiner letzten Runde im Bundeshaus?

Rauchende Köpfe unter der grünen Bundeshaus-Kuppel: Der Nationalrat wird als zweite Kammer die Legalisierung weicher Drogen beraten.
In der Schweiz nimmt der Konsum von Cannabis unter Jugendlichen zu. Ausbildner und Eltern sind zunehmend verunsichert.
Fünf junge Männer auf dem öffentlichen Platz der Stadt Bern, einer davon in Armeeuniform: Ein Joint geht von Hand zu Hand. Auf einem Blatt Papier mischt einer bereits Tabak und Hanf für die nächste Runde.
«Ich bin nach dem Kiffen viel entspannter», sagt der Soldat, der anonym bleiben will. Angeschrieben ist er mit Calanda – im Namensfach seines Tarnanzugs der Schweizer Armee steckt die gefaltete Etikette einer Bierflasche. «Wenn es rundherum hektisch zugeht, behalte ich so einen ruhigen Kopf», so der Wehrmann in seiner besonderen Dienstpause. Und man glaubt ihm.
«Kiffen ist ein gemeinsames Hobby», erklärt sein blonder Nachbar mit den geröteten Augen, die eigentlich wasserblau sind. «Das Kiffen hab ich bis heute nie bereut», sagt er, «im Gegensatz zum Alkohol.»
Polizei schaut weg, meistens
Angst vor dem Arm des Gesetzes hat keiner in der Runde. «Kiffen ist relativ easy, wenn du nicht grad 15 bist, oder aber schwarzer Hautfarbe», schildern sie ihre momentanen Erfahrungen mit der Berner Stadtpolizei. «Eben sind zwei Polizisten in Zivil vorbeigeschlendert, und sie taten, als hätten sie uns nicht gesehen.»
Zu übersehen – und überriechen – sind die «dampfenden» Mitbürgerinnen und Mitbürger längst nicht mehr. Über 500’000 Personen konsumieren in der Schweiz gelegentlich oder regelmässig Cannabis, wie die Schweizerische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenfragen (SFA) letztes Jahr in einer repräsentativen Studie feststellte. 87’000 Leute kiffen gar täglich.
Über die Hälfte mit Cannabis-Erfahrung
Mehr als die Hälfte der 15 bis 24-Jährigen in der Schweiz hat Erfahrung mit Cannabis. Laut der Untersuchung ist das Einstiegsalter gesunken und liegt zurzeit bei 15 Jahren.
Aber obwohl somit rund jeder vierte Jugendliche oder junge Erwachsene in der Schweiz schon mal gekifft hat, malen die SFA-Fachleute nicht den Teufel an die Wand: Einerseits sei der Cannabis-Konsum meist nur eine vorübergehende Erscheinung, andererseits sei das Gesundheitsrisiko bei «moderatem» Konsum nicht grösser als bei anderen legal erhältlichen Substanzen wie Tabak oder Alkohol.
Neue telefonische Beratungs-Dienstleistung
Lehrer, Ausbildnerinnen und Eltern zeigen sich durch den Einzug des Joints in den Alltag vieler junger Menschen dennoch zunehmend verunsichert. Zusätzlich zu den bestehenden Beratungsangeboten von anderen Fachstellen bietet die SFA deshalb seit Mitte September die telefonische Dienstleistung «Elterninfo Cannabis» an. Nicht zuletzt deshalb, weil auch die SFA selber zunehmend mit Fragen ratsuchender Eltern konfrontiert wird.
Wer entdeckt, dass die Tochter oder der Sohn Cannabis raucht und mit dieser Situation überfordert ist, kann sich an eine Gratisnummer wenden. Sabine Dobler, welche das «Elterninfo Cannabis» halbtags betreut, ist über die Nachfrage überrascht. «Wir hatten in der ersten Woche rund 60 Anrufe, wobei jeder zwischen 20 und 30 Minuten dauerte», so Dobler. Das zeige, dass das Angebot einem wirklichen Bedürfnis entspreche.
«Mein Kind konsumiert Cannabis, was muss oder kann ich machen?», laute die meistgestellte Frage. Unter den Anrufern hat es laut Dobler auch Eltern von 13 und 14-Jährigen. Es hätten aber auch schon Eltern angerufen, deren Kinder im Erwachsenenalter seien.
Aufmerksamkeit bei frühem Konsum
«Bei der Beratung muss sicher die Situation des Jugendlichen auf sein Alter bezogen werden.» Ein früher Konsum könne besondere Probleme erzeugen, beispielsweise in Schule oder Ausbildung. Deshalb rät Dobler den betroffenen Eltern, die Hilfestellung einer Beratungsstelle in Anspruch zu nehmen.
Die Arbeit von Beratungsstellen wie der SFA würden im Falle einer Legalisierung der weichen Drogen aufgewertet. Dies, weil Aufklärung und Prävention in einem liberalisierten Betäubungsmittel-Gesetz fest verankert würden.
Politiker, Behörden, Gesundheitsmediziner und Fachleute an der «Beratungs-Front», welche eine Entkriminalisierung des Konsums weicher Drogen befürworten, erhoffen sich nicht zuletzt auch das Verschwinden der negativen Begleiterscheinungen des Cannabis-Schwarzmarktes.
Qualitätskontrollen gefordert
«Eine Liberalisierung muss klare Qualitätsvorgaben liefern, so eine Deklarationspflicht für Herkunft und Produktionsweise des Hanfs sowie Grenzwerte», sagt ein Mitarbeiter von contact Thun, einer Zweigstelle der Berner Gruppe für Jugend-, Eltern- und Suchtarbeit.
Neben der Angabe des Gehaltes an THC, der rauscherzeugenden Substanz im Cannabis, verlangt der Drogenfachmann spezielle Richtlinien für die chemischen Zusätze. Dies wegen der intensiven Indoor-Produktion von Hanf. «Da werden Fungizide, Pestizide und Düngemittel eingesetzt, und das in sehr konzentrierter Art», weiss der contact-Mitarbeiter. Dies könne eventuell problematisch für die Gesundheit sein.
Gesetzlich erlaubt ist der Anbau von Hanf bis zu einem THC-Gehalt von 0,3%. Indoor-Hanf, unter dem Einsatz von hellsten Lampen und unkontrollierter Chemie gezogen, kann THC-Werte bis an die 20% erreichen.
Die fünf Berner Kiffer machen aber einen Bogen um das «Hochprozentige»: «Das Bouquet ist schlecht, und es kratzt im Hals», lautet ihr Kenner-Urteil. «Ich rauche nur Bio-Gras», outet sich einer gar als besonders bewusster Kiffer.
swissinfo, Renat Künzi
Handel und Konsum von harten und weichen Drogen sind in der Schweiz verboten.
Kantone und Gemeinden handhaben das Gesetz aber unterschiedlich.
Die Deutschschweiz ist toleranter, die Romandie repressiver.
Legalisierung bedeutet keine uneingeschränkte Cannabis-Freigabe.
Es würde sich um eine regulierte Liberalisierung handeln, beispielsweise mit einem Mindestalter für den Konsum (16 oder 18 Jahre).
Cannabis soll laut Nationalrats-Kommission wie Tabak und Alkohol mit einer Lenkungsabgabe verteuert werden.
«Elterninfo Cannabis» der SFA ist unter 0800 104 104 abrufbar.
Der Nationalrat vertagt die Debatte möglicherweise in die Wintersession.
Beobachter gehen von einem sehr knappen Abstimmungs-Ausgang aus.
Viele FDP- und CVP-Nationalräte wechselten vom Pro- ins Kontra-Lager.
SP und Grüne sind klar dafür, die SVP klar dagegen.
Kommt die Revision durch, drohen Rechtsparteien mit dem Referendum.

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