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Deutsche in der Schweiz: Mehr toleriert als geschätzt

Keystone

Immer mehr Menschen aus dem grossen nördlichen Nachbarland leben in der Schweiz. Die kulturellen Hintergründe sind ähnlich, die beruflichen Qualifikationen intakt. Dennoch ist die Harmonie nicht perfekt.

«Der Grössere gilt stets als kalt, arrogant und materialistisch, der Kleinere spricht sich selbst Wärme und Gefühl zu. Die Berner reden von den Zürchern wie ein Kachelofen von einem Eisberg.»

So hat der Schweizer Germanist Peter von Matt das häufig anzutreffende Verhältnis zwischen Städten, Landesteilen, Ländern und Kontinenten in einem Gespräch mit dem «Tages Anzeiger» umschrieben.

Das Phänomen könne auch den Blick auf die Deutschen einfärben, diagnostiziert von Matt. «Aber das ist so universal wie der Schnupfen und harmlos.»

Deutschland ist mit Abstand der wichtigste Wirtschaftspartner und der gewichtigste Exportpartner der Schweiz.

Wirtschaftsförderer angeln zudem erfolgreich in deutschen Gewässern. In ihren Hochglanz-Broschüren führen sie die fiskalisch bessere Wasserqualität in der Schweiz ins Feld. Deutsche Firmen haben sich in der Schweiz niedergelassen und tragen mit Arbeitsplätzen zum Wachstum bei.

Löhne, Wetter und Alpen

Ein Prozent der Schweizer (73’000) leben in Deutschland. 0,25% der Deutschen (200’000) leben in der Schweiz. Damit sind die Deutschen nach den Italienern die zweitgrösste ausländische Bevölkerungsgruppe.

Für das Auswandern in die Schweiz gibt es gute Argumente: Die Löhne sind attraktiv, das Wetter ist besser, die Alpen liegen vor der Haustüre, die Hochsprache ist dieselbe.

Besonders hoch liegt der Anteil Deutscher bei den Spital-Ärzten, den Ingenieuren, den Professoren an den Universitäten und Hochschulen und im Management. Die Personenfreizügigkeit ist gut für das Bruttosozialprodukt.

Härter am Ball, präziser im Ausdruck

Im Fussball sind die Deutschen besser. Seit 1956 hat die Schweiz nie mehr gewonnen. Das nährt die Animositäten im Alltag und sorgt für fette Schlagzeilen in den Boulevard-Medien.

«Germanisierung» ist auch das Schlagwort, mit dem die frankophone Schweiz seit Jahrzehnten ihrer Angst vor einer Verschiebung der Sprachgrenze Ausdruck verleiht. Die Grenze verschiebt sich – wenn überhaupt – nur geringfügig. Markanter ist die Zunahme des Steuereinkommens in den betroffenen Gemeinden. Die Deutschweizer sind spätestens in der zweiten Generation frankophonisiert.

Auch die eingewanderten Deutschen bringen alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration mit. Die Kulturen sind sich nicht fremd. Die Kinder haben in der Schule keine Sprachprobleme. Sie beherrschen die Hochsprache, ihr Wortschatz ist grösser, ihr Ausdruck präziser.

Fremdsprache Hochdeutsch

Doch ausgerechnet die gemeinsame Sprache fördert die Unterschiede zutage. «Ich krieg noch ein Bier», statt «kann ich bitte noch ein Bier haben». Klare Positionen, statt Suche nach einem Kompromiss: Mit der Eloquenz haben Schweizer manchmal Mühe.

Kommt dazu, dass sie die Hochsprache als Fremdsprache betrachten und entsprechend widerwillig Hochdeutsch reden. Deutsche wiederum fühlen sich nicht voll akzeptiert, wenn Schweizer mit ihnen Hochdeutsch statt Dialekt reden.

Viele Deutsche erlebten ihre ersten Jahre in der Schweiz als problematisch oder sogar belastend, stellt Werner Koller fest. «Die Unterschiede müssen nicht gross sein, damit man in der Schweiz als Ausländer behandelt wird», folgert der Autor der Studie «Deutsche in der Deutschschweiz».

Einerseits erwarteten viele Schweizer eine sprachliche Anpassung. Andererseits gäbe es auch Abwehrreflexe in dem Sinn, dass Deutsche ihre Identität bewahren sollten. «Deutsche sollen nicht Mundart reden, weil diese der Abgrenzung gegenüber dem ‹grossen Bruder› dient.»

Deutsche müssten zudem lernen, Schweizerdeutsch nicht als Dialekt und als eine minderwertige Sprache zu begreifen. «Dialektsprecher gelten hier nicht als weniger intelligent. Es ist gerade umgekehrt, Hochdeutsch ist eine emotionale Barriere.»

Es war schon immer so

Deutsche Blogger loben die Lebensqualität, die Freundlichkeit und die funktionierenden Institutionen. Einzelne beschweren sich über abfällige Bemerkungen. «Die Italiener werteten meine Anwesenheit als Interesse an ihrem Land. Ich fühlte mich nie als Eindringling. Hier war das anders», schreibt ein Ingenieur, der seit 10 Jahren hier lebt.

Das Phänomen ist nicht neu. Bereits 1855 bemerkte der ETH-Professor Friederich Theodor Vischer: «Als Deutscher im Umgang mit Schweizern hat man das Gefühl, auf unterhöhltem Boden zu stehen, immer mit einer Bemerkung gegen die Deutschen.»

swissinfo, Andreas Keiser

Gemäss Ausländerstatistik per Ende 2007 sind von den gut 7,5 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern in der Schweiz 1,57 Mio. Ausländer.
Das sind 20,7% der Bevölkerung.
Mehr als 200’000 oder 12,9% aller Ausländer stammen aus Deutschland.
Deutschland steht damit nach Italien (18,43%) an 2. Stelle, gefolgt von Serbien (11,6%) und Portugal (11,6%).
Rund 40’000 deutsche Staatsangehörige kamen 2007 in die Schweiz, etwa 10’000 haben sie verlassen.
2007 haben 1361 Deutsche das Schweizer Bürgerrecht erworben.
2006 waren es 1134.
Seit August 2007 können die Deutschen Doppelbürger bleiben.
Seither haben die Gesuche um die Schweizer Staatsbürgerschaft markant zugenommen.

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