«Die Fronten sind noch immer verhärtet»
Die Präsidentin der Ethikkommission für die Gentechnologie im ausserhumanen Bereich tritt ab.
Im Interview mit swissinfo zieht sie Bilanz – enttäuscht ist sie, dass sich das Parlament auch über 4 Jahre nach der letzten Abstimmung noch nicht auf ein Gesetzeswerk einigen konnte.
Die Idee war vor rund 10 Jahren eine weltweite Premiere – und die Realisierung ist es heute noch. In der Schweiz gibt es spezielle, unabhängige Ethik-Fachkommissionen für Fragen rund um die Gentechnologie.
Bereits seit über 4 Jahren arbeitet die Eidgenössische Ethikkommission für die Gentechnologie im ausserhumanen Bereich (EKAH) unter der Präsidentin Andrea Arz de Falco, Ethikerin an der Universität Freiburg.
Freisetzung von Gentech-Pflanzen und die Würde der Tiere sind nur zwei Beispiele – die EKAH diskutiert Themen, welche viele Menschen in der Schweiz beschäftigen. Die Stellungnahmen der Kommission werden jeweils in den Medien breit thematisiert.
Parlaments-Debatte Anfang Oktober
Andrea Arz de Falco, gibt ihr Amt nun ab. Bekannt gegeben hat sie dies kurze Zeit vor der nächsten Parlaments-Debatte zur Gentechnologie.
Eingesetzt wurde die EKAH 1998, 7 Wochen vor der hochemotionalen Abstimmung über die Genschutz-Initiative. Damals drückten Bürgerliche diese Kommission rasch durch – heftig kritisiert von der Linken, welche darin primär Abstimmungstaktik sah, um der Initiative Wind aus den Segeln zu nehmen.
Das Regelwerk, die Gentech-Gesetzgebung, welche auch die Kommission legitimiert, sollte bald folgen, hiess es damals. Allerdings: Noch immer ist die Gentechnik in der Landwirtschaft, noch immer sind Freisetzungs-Versuche von Gentech-Pflanzen gesetzlich nicht neu geregelt. Einen nächsten Anlauf nimmt die Grosse Kammer Anfang Oktober.
Andrea Arz de Falco*, wie beurteilen Sie diesen langsamen Gesetzgebungsprozess?
Für mich wirkt es irgendwie unreif, dass erwachsene Leute nicht fähig sind, sich im Interesse der Sache zu einigen.
Wenn man die zentralen Punkte anschaut – die Frage der Haftung, die Frage, ob es ein Moratorium für Freisetzungen geben soll oder nicht – dann merkt man, es sind Punkte, bei denen es ums grosse Geld oder um grosse Worte wie den Forschungsplatz Schweiz geht.
Man könnte ja auch positiv werten, dass die Politik es sich nicht einfach macht, diesen komplizierten und künftig sehr wichtigen Bereich zu regeln?
Es ist klar, auch zügiges Behandeln von Vorlagen braucht Zeit. Und wir haben – gerade im Zusammenhang mit dem Moratorium – selber immer wieder gefordert, dass auch Zeit eingeräumt werden soll für öffentliche Debatten.
Aber die Verzögerung dieses Gesetzes lässt sich damit nicht erklären. Die Politik verharrt einfach in Grabenkämpfen. Jeder versucht, Unschlüssige auf seine Seite zu ziehen und so eine Mehrheit zu erlangen. Ich habe nicht das Gefühl, dass sich etwas bewegt hin zu einer konstruktiven Lösungsfindung.
Ethikerinnen und Ethiker wollen Reflexion und Diskussionen fördern. Ich behaupte mal: Sie werden zwar von Politik und Medien gehört, doch gesellschaftliche Diskurse konnten Sie nicht in Gang bringen.
Das ist ein hartes Urteil, vielleicht ist es aber nicht ganz falsch. Seit etwa 15 Jahren ist die Gentechnik ein öffentliches Thema – und entstanden sind primär Gräben.
Man kommt einander wenig entgegen bezüglich Austausch, Dialog und Offenheit gegenüber anderen Meinungen. In alter Frische tauchen da immer wieder dieselben Argumente, dieselbe Polemik, dieselben Lager auf.
Die Positionen mögen sich etwas angenähert haben – so sind beispielsweise gentechnisch hergestellte Medikamente heute für viele Leute etwas, das sie akzeptieren. Aber sobald es politisch wird, ist die Bereitschaft wieder weg, Konzessionen zu machen.
Hier könnte die heterogen zusammen gesetzte Kommission sozusagen als Vorbild zu wirken.
Das heisst?
Wir versuchen, die Themen auf eine konstruktive Art zu verhandeln, ohne dass sich jemand selber untreu werden muss.
Es wird rundum anerkannt, dass wir gut arbeiten und unsere unterschiedlichen Positionen innerhalb einer Stellungnahme auch kommunizieren können.
Es ist in der Kommission allen bewusst, dass die Glaubwürdigkeit und die Bedeutung der EKAH von der Art der Zusammenarbeit abhängig sind. Das ist ein labiles Gleichgewicht: Ein Ausrutscher hin zu einer interessengerichteten Aussage, vielleicht noch auf Druck einer Lobby entstanden, genügt, und wir sind weg vom Fenster, werden bedeutungslos.
Blicken wir 4, 5 Jahre zurück. Als Ihr Name als EKAH-Präsidentin bekannt wurde, reagierten viele Gentechnik-Fachleute mit der Frage «Andrea… – wie bitte?». Sie galten als unbeschriebenes Blatt.
Versuchten nicht am Anfang alle, Sie auf die jeweilige Seite zu ziehen?
Es war schon ein Sprung ins kalte Wasser. Die Debatten liefen ja damals sehr kontrovers. Gerade deshalb hat mich die Aufgabe gereizt: Weil es mich immer nervt, wenn ich merke, wie unfair Diskussionen verlaufen und wie allzu plakativ Sachverhalte dargestellt werden.
Ich war überzeugt, dass diese Kommission etwas zur Institutionalisierung der Debatte beitragen könnte, nicht nur zur immer wieder beschworenen Versachlichung der Diskussion, sondern einfach zur Verbesserung der Gesprächskultur.
Skepsis gab es – aufgrund der Entstehungs-Geschichte – zuerst vor allem bei den Gentech-Gegnern.
Allerdings: Nachdem wir uns als Kommission nach einigen Sitzungen sozusagen konstituiert hatten, war es diese Seite, die mich als erste zu einer Veranstaltung einlud.
Und da eben einige Projekte anstanden, zu denen wir uns äusserten, – und sicher auch wegen unserer Arbeitsweise in der Gruppe – wurden wir bald einmal als eigene Stimme wahrgenommen und gehört, sowohl von den Medien als auch von der Politik.
Zum Beispiel?
Ich denke, in der Frage der «Patentierung» von Genen und Lebewesen ist unsere Stellungnahme von allen Seiten mit grossem Interesse aufgenommen worden.
Es geht um ein kompliziertes Thema mit internationalen Verflechtungen – und da sind wir Ethikerinnen und Ethiker recht geschlossen aufgetreten. Das zeigt: Es ist nicht einfach irrelevant, was wir sagen.
Niemand bestreitet die Relevanz, doch alle picken diejenigen Sätze und Forderungen aus Ihren differenzierten Papieren, die ihnen gerade ins politische Konzept passen. Werden Sie nicht einfach instrumentalisiert?
Ich würde es nicht «instrumentalisiert» nennen. Vielleicht eher «vereinnahmt». Es ist immer schwierig zu entscheiden, mit wie viel Energie man sich gegen solche Vereinnahmungen wehren soll. Denn bisweilen tönt es schon so, als habe die Ethikkommission zu diesem oder jenem ihren «Segen» gegeben.
Beispielsweise wird auch heute noch immer überall geschrieben, die EKAH hätte sich für ein Moratorium bei Gentech-Freisetzungen ausgesprochen. Erstens ist das 2 Jahre her, und zweitens haben wir ganz vieles anderes auch noch gesagt, beispielsweise haben wir Sicherheits-Forschung gefordert.
Vereinnahmung muss übrigens nicht schlecht sein: In verschiedenen Stellungnahmen von Parteien oder Verbänden zum revidierten Tierschutzgesetz flossen unsere ethischen Überlegungen mit ein. Da konnten wir also etwas bewirken, unsere Sätze wurden – zum Teil gar wortwörtlich – aufgenommen.
Also nicht bloss eine negative Bilanz der 4 Jahre?
Nein, sicher nicht. Natürlich wünschte ich, wir hätten einen aktiveren Beitrag an die Gesprächskultur leisten können.
Doch wir haben wirklich einiges erreicht mit dem Einbringen von ethischen Aspekten in eine Vielzahl von Gesetzesprojekten. Und die EKAH hat ja auch Bund und Kantone erfolgreich im Vollzug beraten – unsere Hinweise und Einwände wurden von den Betroffenen jeweils sehr gut aufgenommen.
4 Jahre haben nicht ausgereicht, um ethische Überlegungen überall einfliessen zu lassen. Da ist erst ein Anfang gemacht. Dass die EKAH wichtige Impulse bieten kann, haben wir in verschiedenen Stellungnahmen gezeigt. Und das muss und wird so weitergehen.
swissinfo, Eva Herrmann
*Dr. Andrea Arz de Falco (41) ist seit 1998 Präsidentin der Eidgenössischen Kommission für die Gentechnologie im ausserhumanen Bereich. Zudem ist sie Lehrbeauftragte und Forscherin im Bereich Bioethik an der Universität Freiburg. Auf November wechselt sie in die Verwaltung und wird im Bereich Humanethik im Bundesamt für Gesundheit arbeiten. Ad interim wird Dr. Klaus Peter Rippe vom Ethik-Zentrum der Universität Zürich das EKAH-Präsidium übernehmen.
Die Kommission besteht aus 12 Fachleuten aus Philosophie, Theologie, Biologie, Medizin, Politik und Recht
Sie vertreten unterschiedliche ethische Denkansätze
Die Kommission berät Kantone und Bund aus ethischer Sicht bei der Gesetzgebung und beim Vollzug
Sie äussert sich zu Projekten mit gentechnisch veränderten Organismen
Sie fördert den Dialog über Nutzen und Risiken der Gen- und Biotechnologie
Die EKAH hat sich bis anhin mit Stellungnahmen beispielsweise zur Würde der Tiere, zu Gesetzes-Revisionen im Gentech-Bereich, zur Xenotransplantation, zu Freisetzungs-Gesuchen und zur Patentierung im Bereich Biotechnologie geäussert.
Alle Arbeiten der Kommission werden veröffentlicht und können dadurch von Politik und Verwaltung nicht negiert werden. Die Kommission ist – anders als die regierungsberatende Kommission beispielsweise in Frankreich – unabhängig.
Sie gibt Empfehlungen ab und hat keine Entscheidungs-Gewalt.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch