Die mysteriösen Wege des Permafrosts
Permafrost, der Kitt, der die höchsten Schweizer Berge zusammenhält, beginnt seine Geheimnisse preiszugeben.
Die Klimaerwärmung ist die Hauptursache für Veränderungen. Doch an den Prozessen im gefrorenen Boden sind viele Faktoren beteiligt.
Über 300 Fachleute tauschen zur Zeit an einer internationalen Konferenz in Zürich die neuesten Forschungs-Ergebnisse rund um Fragen zu Permafrost aus.
Das Augenmerk liegt dabei nicht nur auf dem gefrorenen Boden in den Alpen: Permafrost in der Arktis, im Meer oder auf dem Mars steht ebenfalls auf der Agenda.
Permafrost bedeckt 4 bis 6 Prozent der Schweiz – eine grosse Fläche also, verglichen beispielsweise mit den etwa 3 Prozent, welche von Gletschern bedeckt sind.
In einer noch nicht veröffentlichten Arbeit hat Felix Keller von der Engadiner Akademie berechnet, dass in einem Drittel der alpinen Region der Schweiz (alles über 2500m ü.M.) der Boden immer gefroren ist.
Wo immer Wissenschafter die Temperaturen von gefrorenem Boden oder Fels messen können, konstatieren sie nun ein Ansteigen derselben.
Tauwetter
Eine der am besten untersuchten Permafrost-Regionen in den Alpen ist die Gegend um St. Moritz im Oberengadin. Seit 1987 werden dort in einem Bohrloch oberhalb des Skigebiets Temperatur-Messungen durchgeführt.
1997 ging die Nachricht um die ganze Welt: Die Messungen hatten ergeben, dass die Temperatur des gefrorenen Bodens in diesen wenigen Jahren um ein Grad zugenommen hatte.
Für weniger Schlagzeilen sorgte dann die Tatsache, dass sich der Boden in den folgenden Jahren wieder abkühlte. Und zwar rasant: Innert zweier Jahre wurde wieder fast der Wert von 1987 erreicht.
Seither pendeln die Werte hin und her. «Die durchschnittliche Erwärmung beträgt zurzeit 0,2 bis 0,3 Grad Celsius innert 10 Jahren», sagt Keller gegenüber swissinfo.
Tiefgekühlt
Auch wenn diese Zahlen nicht mehr dramatisch tönen, verursacht der Trend doch Sorge. Denn das Auftauen des Bodens lässt die Berge instabil werden und die Verankerungen von Skiliften, Berg- und Seilbahnen sind nicht mehr gesichert.
«Das Problem ist, dass Eis weniger stark ist, wenn es wärmer wird», erklärt Sarah Springman, Professorin für Geotechnik an der ETH Zürich.
Wenn das Gelände sehr steil ist, könne man sich wirklich vorstellen, dass das Eis Boden und Fels wie ein Klebstoff zusammenhalte.
«Wenn das Eis weicher wird, können sich die Massen lösen. Doch auch wenn es nicht vollständig schmilzt, gibt es Felsstürze. Es kann sogar zu Rutschen kommen.»
So wird der Felssturz am Matterhorn vom vergangenen Dienstag dem Auftauen des Permafrosts zugeschrieben – bedingt durch das heisse Wetter. Verletzt wurde niemand, doch rund 90 Alpinisten mussten evakuiert werden.
Die Schneedecke
Forscher haben jetzt herausgefunden, dass einer der zentralen Faktoren für die Bodentemperatur die Schneedecke ist. Die für Laien möglicherweise überraschende Erkenntnis: Je weniger Schnee in den Alpen liegt (was immer wieder als Zeichen für die Klimaerwärmung erwähnt wird), desto besser geht es dem Permafrost.
«Wenn es viel Schnee hat, mehr als 80 bis 100 cm, und vor allem wenn er früh im Winter fällt, dann isoliert er den Boden. So kann der Boden nicht auskühlen und die gemessene Temperatur bleibt dann recht warm», erklärt Christof Kneisel von der Universität Würzburg, Deutschland, der im Oberengadin forscht.
«Oder andersrum: Wenn man eine dünne Schneeschicht hat, dann kann die Winterkälte besser in den Boden eindringen und ihn abkühlen.»
Wenn der Schnee jedoch erst spät im Winter fällt, dann hat die Kälte den Boden bereits abgekühlt. Und auf den Sommer hin bewahrt die Schneeschicht den Boden vor der Erwärmung.
Die Forscher denken, dass dieses Phänomen für den Temperaturrückgang in den 90er Jahren bei den Messungen ob St. Moritz verantwortlich sein könnte.
Es ist wahrscheinlich auch die Erklärung, weshalb oberhalb Pontresina, wo für 7 Mio. Franken ein spezieller Damm gebaut worden war, in den letzten 7 Jahren die Temperatur im Permafrost sogar leicht zurückgegangen ist.
Viele Einflüsse
Verkompliziert wird die ganze Sache dadurch, dass nicht bloss die Schneedecke den Permafrost beeinflusst: Die Steilheit des Geländes, Art und Menge des Oberflächenmaterials, saisonale Bedingungen und allem voran die Zusammensetzung von Schnee, Boden und Fels spielen eine Rolle.
«Wenn man ein Loch in einen vergletscherten Fels bohrt, hat man gute Chancen, zu sehen was man findet», so Springman. «Das Problem ist, dass das Innere derart variiert, dass man 5 Meter daneben ein weiteres Loch bohren kann und etwas vollkommen anderes findet.»
All dies macht Langzeitbeobachtungen dringend notwendig, betonen die Fachleute unisono.
«Wir beginnen erst, diese komplexen Prozesse zu verstehen», sagt Martin Hoelzle von der Universität Zürich. «Je mehr wir lernen, umso mehr wissen wir, dass wir noch viel zu lernen haben.»
swissinfo, Vincent Landon
(Übertragung aus dem Englischen: Eva Herrmann)
4-6% der Oberfläche der Schweiz sind mit Permafrost bedeckt.
Oberhalb von 2500m ist ein Drittel des Bodens immer gefroren.
Forscher arbeiten intensiv daran, den Einfluss des Klimawandels zu erkennen.
In der Region St. Moritz wird das Phänomen intensiv untersucht.
288 der 1894 Berg- und Seilbahnen sind im Permafrost verankert.
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