Die Schweiz hat ihr Ziel erreicht
176 Staaten haben sich am Weltinformationsgipfel (WSIS) in Genf verpflichtet, Brücken über den digitalen Graben zu bauen.
Marc Furrer, Direktor des Bundesamtes für Kommunikation, äussert sich im Gespräch mit swissinfo zufrieden über das Resultat dieser ersten weltweiten Zusammenkunft.
Das ursprüngliche Ziel des Gipfels war, den digitalen Graben zu überbrücken. Doch die Verhandlungen verstrickten sich rasch in heiklen Themen wie Internetverwaltung, Menschenrechte und die Finanzierung von ICT-Zugang in ärmeren Ländern.
Die Schweiz als Gastland war von der UNO als Vermittlerin beauftragt worden: In vielen Gesprächsrunden wurden bis in die letzten Stunden vor dem Gipfel Entwürfe der Abschlusserklärung und des Aktionsplans erarbeitet. Und am Freitag wurden die Vorschläge gebilligt.
swissinfo: Marc Furrer, wenn Sie nun auf den Gipfel, die zwei Jahre dauernde Vorbereitung und die harten Verhandlungen zurückblicken, würden Sie sagen, die Schweiz hat ihr Ziel erreicht?
Marc Furrer: Allgemein gesehen war es recht erfolgreich, unsere Arbeit hat sich ausbezahlt. Doch der Prozess geht natürlich weiter (in die nächste Phase in Tunesien 2005, Red.), und die Schweiz wird da weiter mitmachen.
swissinfo: Es war der erste Weltgipfel für die Schweiz als UNO-Mitglied. Und die Schweizer arbeiteten bei den Dokumentsentwürfen als Vermittler. Hat dieser Gipfel die Rolle der Schweiz als neutrale Mediatorin für diplomatischen Austausch und gar Konfliktlösungen hervorgehoben?
M.F.: Ja, sehr. Es entspricht unserer Aussenpolitik, die Rolle des neutralen Vermittlers zu spielen. In diesem Fall mussten wir bei der Frage der Finanzierung zwischen Nord und Süd treten.
Wir hatten auch eine sehr schwierige Diskussion über Religion – ob dies in der Deklaration einbezogen sein soll oder nicht. Als Schweizer muss man das Verständnis haben, dass eine arabische Regierung das anders sieht als Norwegen oder Grossbritannien.
Es ist wichtig, dass wir diese Rolle des Mediators und Helfers innehaben. Es ist eine der nobelsten Rollen unseres Aussenministeriums. Und wir spielten sie hier und gewannen Respekt dafür. Das ist gut.
swissinfo: Glauben Sie, dass die Schweiz zu Beginn den politischen Druck, den es brauchte, um Einigung bei Aktionsplan und Abschlusserklärung zu finden, unterschätzte, und verzögerte dies das Erreichen eines Schlussabkommens vor dem Gipfel?
M.F.: Überhaupt nicht. Es war dumm von den Leuten der Schweizer Zivilgesellschaft zu sagen, wir hätten die politische Dimension des Ganzen nicht gesehen. Diese Personen haben nie seriös mit uns gesprochen. Es gibt immer einige Schweizer, die negativ sind und die Dinge in den Schmutz ziehen müssen.
Doch für mich war stets klar, dass der Prozess politisch ist – wahrscheinlich gilt das nicht für die Internationale Telekommunikationsunion (ITU) oder für andere Länder. Doch der Schweizer Regierung war das immer klar. Und wir kämpften für politische Lösungen; hätten wir das nicht getan, hätte es nicht so einen politischen Gipfel gegeben.
swissinfo: Es gab mehr Teilnehmende als ursprünglich erwartet, vor allem aus dem privaten Sektor. Würden Sie sagen, dass der Gipfel die Schweiz – und vor allem Genf – zur Plattform für internationalen Dialog erkoren hat?
M.F.: Ja, das denke ich. Und es war von Beginn weg eines unserer Ziele, dass die Schweiz für die Informationsgesellschaft zu einem Zentrum des Dialogs wird. So wie die Leute an Umwelt denken, wenn sie von Rio sprechen, werden sie die Informationsgesellschaft immer mit Genf in Verbindung bringen. Und das erfüllt mich mit einem gewissen Stolz.
swissinfo: Die nächste Phase des Gipfels findet 2005 in Tunesien statt – in einem Land, dem nicht nur von Nichtregierungs-Organisationen vorgeworfen wird, die freie Meinungsäusserung zu unterdrücken. Wie steht die Schweiz dazu?
M.F.: Die Entscheidung, den Gipfel in zwei Phasen in Genf und Tunesien abzuhalten, kam von der ITU und wurde in einer UNO-Resolution akzeptiert. Somit ist generell der ganze Prozess unter deren Schirmherrschaft.
Es ist nicht schlecht, eine Phase des Gipfels im Norden, eine im Süden zu haben. Tunesien muss die Menschenrechte und die Pressefreiheit respektieren, aber es ist nicht Sache der Schweiz, das voran zu treiben.
Es ist an uns allen, die Strategie zu definieren, um die Ziele, die wir uns gesetzt haben, zu erreichen. Doch wir haben in Tunesien nicht mehr die selbe Verantwortung, wie wir sie in Genf hatten. Die Tunesier wollten die zweite Phase haben und die Verantwortung ist nun in ihrer Hand. Natürlich werden wir Rat und Erfahrung anbieten.
swissinfo: Was war für Sie das Überraschendste an diesem Gipfel? Und was ist die wichtigste Lektion, die Sie Ihren tunesischen Nachfolgern weitergeben können?
M.F.: Ich war positiv überrascht über das grosse Interesse. Die Events und Plattformen rund um den Gipfel waren fantastisch. Es war interessant zu sehen, dass diese Art von Ausstellungen eine Zukunft haben – im Unterschied vielleicht zu herkömmlichen Telekom-Ausstellungen.
Ich war auch überrascht, dass die schwierigste Lösung, die wir finden mussten schliesslich die Finanzen betrafen und nicht Urheberrechte oder Internetverwaltung. Ich freute mich auch über die Kooperation zwischen den Ländern. Es war nicht brutal und es bestand immer ein Konsens, dass wir eine Lösung finden sollten.
swissinfo-Interview: Anna Nelson und Mohamed Chérif
Übertragung aus dem Englischen: Eva Herrmann)
Am ersten UNO-Weltinformationsgipfel zur Überwindung des digitalen Grabens haben sich die 176 Teilnehmer-Staaten auf eine Grundsatz-Erklärung und einen Aktionsplan verständigt:
Grundsatz-Erklärung:
«Wir bekräftigen die Allgemeingültigkeit, Unteilbarkeit, Abhängigkeit und Wechselbeziehung aller Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten, einschliesslich des Rechts auf Entwicklung…»
«Wir bekräftigen, dass als notwendige Grundlage einer Informations-Gesellschaft, wie es in der UNO-Menschenrechts-Deklaration niedergelegt ist, jeder das Recht auf Meinungsfreiheit und Äusserung hat; dieses Recht schliesst die Freiheit der Meinungsäusserung ohne Einmischung und das Suchen, Erhalten und die Weitergabe von Information und Ideen durch jede Art von Medien ohne Beschränkung durch Grenzen ein.»
«Wir erkennen an, dass Erziehung, Wissen, Information und Kommunikation im Mittelpunkt der menschlichen Entwicklung stehen. Ferner haben Informations- und Kommunikations-Technologien enorme Auswirkungen auf praktisch alle Aspekte unseres Lebens …»
Aktionsplan:
«Alle Staaten sollten bis 2005, unter Beachtung nationaler Besonderheiten, nationale Elektronik-Strtegien (e-Strategien) entwickelt haben, die auch die Ausbildung der notwendigen menschlichen Kräfte beinhaltet.»
«Regierungen sollten im Rahmen nationaler Entwicklungs-Politiken beginnen, ein günstiges und wettbewerbsfähiges Umfeld für die notwendigen Investitionen in die ICT-Infrastruktur und für die Entwicklung neuer Dienste zu unterstützen.»
«Im Zusammenhang mit nationalen e-Strategien sollen die ICT-Anbindungen für alle Schulen, Universitäten, Gesundheits-Einrichtungen, Büchereien, Postämter, Gemeindezentren, Museen und andere Institutionen gegeben sein, verbessert werden und für die Öffentlichkeit zugänglich sein.»
«Die Staaten sollten die Medien – Druck und Radio und Fernsehen sowie neue Medien – ermuntern, weiterhin diese wichtige Rolle in der Informations-Gesellschaft zu spielen. Sie sollten die Entwicklung einer nationalen Gesetzgebung fördern, die die Unabhängigkeit und Vielfalt der Medien garantiert.»
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