Die Schweiz hat keine Eile bei der KI-Regulierung
Das methodische Vorgehen der Schweiz bei der Regulierung von künstlicher Intelligenz führt zu Verzögerungen. Damit vergrössert sich der Abstand zu anderen Ländern, die bereits Gesetze erlassen oder konkrete Strategien zur Nutzung der digitalen Revolution angekündigt haben.
Die Gesetzgebenden aller Länder stehen in Bezug auf künstliche Intelligenz (KI) vor einem Dilemma. Diese bahnbrechende Technologie ist weltweit anerkannt und hat das Potenzial, Wirtschaft und Gesellschaft zum Besseren zu verändern.
Falsch eingesetzt könnte KI jedoch auch Falschinformationen verbreiten und Diskriminierung verstärken. Die Herausforderung besteht darin, die positiven Auswirkungen von KI zu nutzen und gleichzeitig das Risiko von Schäden zu minimieren.
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Das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) wurde beauftragt, erste Richtlinien für die Regulierung von KI in der Schweiz auszuarbeiten. Die Empfehlungen sollten bis Ende 2024 vorliegen, wurden aber um einen Monat verschoben.
Fünfzehn Sachverständige, darunter zwei eigens beauftragte Rechtsgelehrte, haben zu diesem «komplexen Thema» drei mehrere hundert Seiten umfassende Grundlagenberichte verfasst. Sie sollen noch in diesem Monat von der Regierung veröffentlicht werden.
Die Verzögerung sei darauf zurückzuführen, dass andere Regierungsstellen mehr Zeit benötigten, um die Berichte zu prüfen und Änderungen vorzuschlagen, teilte das Bakom mit.
Die nächsten Schritte werden mehrere Monate in Anspruch nehmen. Zunächst wird die Regierung auf der Grundlage der Empfehlungen des Bakom eine Stellungnahme zur gewünschten KI-Regulierung abgeben.
Anschliessend wird der Gesetzesentwurf dem Parlament zur Debatte vorgelegt, gefolgt von einer Konsultation der Industrie, der Zivilgesellschaft und anderer interessierter Parteien.
Andere Länder handeln
Abhängig von der Form der endgültigen Gesetzgebung können die vorgeschlagenen neuen Gesetze Gegenstand eines Referendums werden, was die endgültige Umsetzung um einige Jahre verzögern würde.
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In der Zwischenzeit haben andere Länder ihre eigenen Versionen der KI-Regulierung vorangetrieben. Die Europäische Union hat im vergangenen Sommer ein KI-Gesetz verabschiedet, während die britische Regierung im Januar 2025 eine umfassende KI-Strategie lanciert hat.
Die endgültige KI-Gesetzgebung der Schweiz muss die weit divergierenden Ansichten verschiedener gesellschaftlicher Gruppen berücksichtigen.
Die NGO Algorithm Watch Switzerland hat letztes Jahr ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie das Parlament auffordert, sich auf die Eindämmung der schädlichen Nebenwirkungen von KI zu konzentrieren.
«Welche Art von KI wollen wir? Wie können wir sicherstellen, dass diese Technologie nicht bestehende Ungerechtigkeiten reproduziert und nur den Interessen einiger weniger dient? Und wie können wir die KI gestalten – anstatt dass sie uns gestaltet?», heisst es im Bericht.
«Die Politik muss daher den Willen zeigen, die Zukunft so zu gestalten, dass sie die Grundrechte schützt, die Demokratie verteidigt und Nachhaltigkeit im Umgang mit Algorithmen und KI ermöglicht.»
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Die Schweiz hat drei Optionen
Wirtschaftskreise befürchten hingegen, in einer EU-ähnlichen Bürokratie gefangen zu werden. Diese Haltung brachte der SVP-Parlamentarier Franz Grüter im Dezember in einem Gastbeitrag für das Online-Magazin Inside IT auf den Punkt.
Statt zu fragen, welche Art von Regulierung nötig sei, «warum nicht fragen, was nötig ist und wie wir es schaffen können, in der Schweiz und in ganz Europa an der Spitze der KI und der Digitalisierung zu stehen», schrieb Grüter.
Laut einer Reihe von Rechtsgutachten, die SWI swissinfo.ch eingeholt hat, gibt es drei mögliche Wege für die Schweizer Behörden, KI zu regulieren.
Die Schweiz könnte dem Weg der EU folgen und eine völlig neue Gesetzgebung ausarbeiten, die spezifische potenzielle Bedrohungen der Gesellschaft durch KI identifiziert und diese mit neuen gesetzlichen Bestimmungen zu entschärfen versucht.
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Die Behörden könnten auch beschliessen, bestehende Gesetze wie das Datenschutzgesetz zu aktualisieren, um den voraussichtlichen Veränderungen durch KI Rechnung zu tragen. Diesen Ansatz hat die Schweiz 2021 gewählt, um Kryptowährungen und die Blockchain-Technologie einzubeziehen.
Eine dritte Option besteht darin, dem «Innovation First»-Ansatz der USA und Grossbritanniens zu folgen. Beide Länder haben sich entschieden, vorerst keine neuen Gesetze zu erlassen, sondern digitale Innovationen unter den wachsamen Augen der Regierungsbehörden gedeihen zu lassen.
«Wenn es um Regulierung geht, werden wir wachstums- und innovationsfreundlich sein», sagte der britische Premierminister Keir Starmer am 13. Januar bei der Ankündigung der neuen KI-Strategie des Landes. «Wir haben jetzt die Kontrolle über unser Regulierungssystem, also werden wir unseren eigenen Weg gehen.»
Ein Gleichgewicht finden
Die Fähigkeit der Schweiz, ihren eigenen Weg zu gehen, wird durch ihre enge wirtschaftliche Verflechtung mit der EU eingeschränkt. Mehr als die Hälfte der Schweizer Exporte gehen in EU-Länder, und das Land befindet sich derzeit in einem heiklen Prozess der Neudefinition seiner künftigen Beziehungen zu Brüssel.
«Da die Schweiz von EU-Staaten umgeben ist, kann sie die europäische KI-Verordnung sicher nicht ignorieren», sagte die Rechts- und Medizinexpertin Kerstin Noëlle Vokinger kürzlich gegenüber SWI swissinfo.
«Ich glaube nicht, dass die Schweiz derzeit Regelungen wie die der EU braucht, die sehr umfassend sind und horizontal alle KI-Technologien regeln. (…) Es ist von entscheidender Bedeutung, ein Gleichgewicht zwischen Innovation und Sicherheit, einschliesslich der Rechte des Einzelnen, zu finden.»
Bis Ende Januar wird die Schweizer Öffentlichkeit eine bessere Vorstellung davon haben, welchen Weg die Schweiz einzuschlagen gedenkt.
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Editiert von Balz Rigendinger/ts, Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
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