Die Schweizer Firma, die mit grünem Flugzeugtreibstoff abheben will
Das Schweizer Unternehmen Synhelion entwickelt die weltweit erste industrielle Anlage zur Herstellung synthetischer Treibstoffe aus CO2, Methan, Wasser und Sonnenlicht. Swiss International Air Lines (Swiss) ist mit an Bord. Doch die Herausforderungen für die industrielle Produktion bleiben immens.
In Jülich, im Nordwesten Deutschlands, stehen zwei Türme an einem Waldrand. Zu ihren Füssen: ein riesiges Feld voller Sonnenkollektoren – willkommen beim German Aerospace Center (DLR).
An dieser Anlage will Synhelion, ein Spinoff der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH), eine Treibstoffanlage betreiben, um seine «Sun-to-Liquid»-Technologie im industriellen Massstab zu präsentieren (siehe Video).
Der Bau des Kraftwerks begann im September. Die DLR-Anlage mit dem Namen «DAWN» (Sonnenaufgang) besteht aus einem riesigen Spiegelfeld, das dem Lauf der Sonne folgt und das Sonnenlicht auf einen 20 Meter hohen Turm reflektiert. In dessen Inneren wird die Sonnenstrahlung auf über 1000°C konzentriert, um den thermochemischen Prozess zur Herstellung von erneuerbarem Kraftstoff anzutreiben.
Ein Reaktor im Turm wird mit Methan und Kohlendioxid aus Bioabfällen einer örtlichen Papierfabrik sowie mit Wasser gespeist. Dieses wird dann mit der üblichen «Gas-to-Liquid»-Technologie zu umweltfreundlichen Versionen von Benzin, Diesel oder Düsenkraftstoff verarbeitet.
Die Produktionsmethode wurde 2019 erstmals in einer Mini-Raffinerie der ETH demonstriert. Ab nächstem Jahr will das Schweizer Unternehmen in der neuen deutschen Anlage 10’000 Liter Solarkraftstoff pro Jahr produzieren.
Parallel dazu wird Synhelion im sonnigen Spanien mit der Arbeit an einer viel grösseren kommerziellen Anlage beginnen, die kontinuierlich betrieben werden kann. So soll die Gesamtproduktion ab 2025 auf 1,6 Millionen Liter pro Jahr erhöht werden können.
Synhelion hat aber noch grössere Ambitionen: Für 2030 sind bereits 875 Millionen Liter pro Jahr geplant – die Hälfte des Jahresbedarfs der Schweiz an Flugbenzin –, und im Jahr 2040 sogar 50 Milliarden Liter jährlich.
«Wir können die Grösse und Leistung unseres Reaktors leicht verzehn- oder verzwanzigfachen und damit die Produktionsmenge vervielfachen», sagt Mitbegründer und Geschäftsführer Philipp Furler. Doch die Herausforderungen bei der Ausweitung der Produktion und die damit verbundenen hohen Kosten sind gewaltig.
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Synthetischer Flugzeugtreibstoff ist derzeit vier- bis achtmal teurer als normales Kerosin. Eine im September in der Zeitschrift Nature veröffentlichte StudieExterner Link schätzt, dass in den nächsten 30 Jahren weltweit bis zu 2,1 Billionen Dollar (2,1 Billionen Franken) in nachhaltige Flugtreibstoffe (SAF) und die Energieinfrastruktur investiert werden müssen, um grössere Mengen zu produzieren und die Preise zu senken.
SAF erzeugen bis zu 80% weniger Kohlenstoff-Emissionen als herkömmliche Kraftstoffe und werden aus Biomasse (Pflanzen oder Abfall) oder recyceltem Kohlenstoff hergestellt.
Synhelion hat bereits eine Finanzierung in Höhe von 37,5 Millionen Franken erhalten, wird aber noch viel mehr benötigen. Es hat die Unterstützung der deutschen Regierung und wichtiger Industriepartner, darunter die Lufthansa-Fluggesellschaft und der italienische Energiekonzern ENI sowie der Flughafen Zürich und der grösste Schweizer Automobilimporteur, die Amag-Gruppe.
Swiss, die zur Lufthansa-Gruppe gehört, soll zu den ersten kommerziellen Anwenderinnen gehören. Die Airline will ab 2023 in ihren Flugzeugen kleine Mengen des Solartreibstoffs von Synhelion mit normalem Kerosin mischen. Wegen der begrenzten Produktionskapazitäten und der hohen Preise «ist es nicht realistisch, schneller vorwärtszumachen», sagt Swiss-Chef Dieter Vranckx.
Die Fluggesellschaft hat sich zum Ziel gesetzt, 11% des Treibstoffs aus nachhaltigen Quellen zu verwenden, um die CO2-Emissionen bis 2030 zu halbieren und bis 2050 klimaneutral zu werden.
Synhelion war eine naheliegende Wahl für eine Partnerschaft, sagt Vranckx. «Solartreibstoffe sind viel nachhaltiger und umweltfreundlicher als die bestehenden Biotreibstoffe», sagt er.
Klima-Expertinnen und -Experten hingegen zeigen sich eher skeptisch gegenüber den Plänen von Synhelion.
Georg Klingler, Aktivist bei Greenpeace Schweiz, begrüsst die «Sun-to-Liquid»-Technologie zwar. Er bezweifelt jedoch, dass der Solartreibstoff von Synhelion vom Luftfahrtsektor verwendet werden vorrangig sollte. Seiner Meinung nach sollte er ehrgeizigere Pläne zur Verringerung der CO2-Emissionen haben und sich stattdessen auf eine «drastische Verringerung» des Flugverkehrs konzentrieren.
Anja Kollmuss, eine unabhängige Expertin für Klimapolitik, warnte ebenfalls, dass synthetische Treibstoffe möglicherweise nicht so nachhaltig seien, wie die Hersteller behaupteten.
«Synthetische Treibstoffe sind zwar kohlenstoffneutral, aber durch das Fliegen entstehen andere Effekte auf das Klima wie Kondensstreifen. Und diese verstärken den Klimaeffekt etwa dreimal so stark wie CO2 allein», sagte sie dem Schweizer Fernsehen SRF.
Staatliche Unterstützung
Neben privaten Finanzspritzen wird die Erweiterung der SAF-Produktion auch eine massive Unterstützung durch die Regierungen erfordern. In den Vereinigten Staaten hat die Regierung von Präsident Joe Biden bereits Steuergutschriften und andere Anreize zur Förderung der Produktion von SAF angekündigt.
In der Zwischenzeit möchte die Europäische Kommission im Rahmen ihrer vorgeschlagenen «RefuelEU»-Verordnung für den Luftverkehr, dass die Mitgliedstaaten SAF-Ziele an Flughäfen vorschreiben. Der Vorschlag, der gegenwärtig fertiggestellt wird, sieht vor, dass diese von 2% im Jahr 2025 auf 85% im Jahr 2050 ansteigen sollen.
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Die Schweizer Regierung wird diesen Ansatz voraussichtlich übernehmen. Im Rahmen des revidierten CO2-GesetzesExterner Link hat sie verschiedene Massnahmen zur Reduktion des CO2-Ausstosses bis 2030 vorgeschlagen.
In Übereinstimmung mit der EU müssen Fluggesellschaften, die in der Schweiz tanken, ab 2025 eine Beimischungsquote anwenden, um SAF mit herkömmlichem Düsentreibstoff zu mischen. Die Regierung hat ausserdem 25 bis 30 Millionen Franken pro Jahr zur Unterstützung der SAF-Hersteller zugesagt.
Das Erreichen der Ziele für nachhaltige Treibstoffe scheint noch ein in weiter Ferne zu liegen. Aber es scheint ein echter Appetit auf eine umweltfreundliche Luftfahrt zu bestehen. Es liege nun an spezialisierten Unternehmen wie Synhelion, diese Ziele zu erreichen, sagt Geert De Cock, Strom- und Energiemanager bei der in Brüssel ansässigen Klimagruppe Transport & Environment.
«Wenn sie das tun, was sie vorhaben, könnte das Unternehmen mehr als die Hälfte des für 2040 prognostizierten Treibstoffbedarfs der europäischen Luftfahrt decken – das ist aussergewöhnlich», sagt er gegenüber swissinfo.ch.
Aber für ein einzelnes Unternehmen sei es sehr ehrgeizig, die Produktion von synthetischen Kraftstoffen in diesem Tempo zu steigern, sagt er. «Es gibt nur einen einzigen Weg, um sicherzustellen, dass Europa dieses Ziel erreicht. Er besteht darin, dass die politischen Verantwortlichen saubere Düsenkraftstoffe vorschreiben. Der Appetit auf höhere Ziele ist da. Wir müssen dafür sorgen, dass es auch umgesetzt wird.»
Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
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