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Die Schweizer Medizin orientiert sich neu

Sprechstunde beim Arzt: Der Patient ist kein Datensatz, sondern ein Mensch. Keystone

Die Medizin von heute befindet sich in einer Krise: Sie ist gefangen zwischen Ethik und dem Druck des Marktes, und die Patienten zahlen den Preis.

Gemäss der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) soll wieder der Mensch in den Mittelpunkt der Behandlung rücken.

Schweizer Ärzte und Ärztinnen sollen sich nicht nur mit der traditionellen Linderung von Leiden beschäftigen, sondern auch mit der Wiederherstellung der sozialen Funktionsfähigkeit ihrer Patienten. Dies soll in enger Zusammenarbeit mit Patienten und Pflegepersonal geschehen.

Diese Vorschläge sind in einem Experten-Bericht enthalten, den die SAMW im Rahmen des seit 1999 laufenden Projektes «Zukunft Medizin Schweiz» ausgearbeitet hat.

Der Bericht «Ziele und Aufgaben der Medizin zu Beginn des 21. Jahrhunderts» soll eine breite Diskussion über eine Neuorientierung der Medizin einleiten.

Mensch im Zentrum

Die Medizin dürfe die Patienten nicht mehr einfach verwalten, erklärte der Leiter der Expertengruppe, der Basler Professor Dieter Bürgin, am Montag in Bern bei der Präsentation des Berichts.

Vielmehr sollten Patienten, Ärzte und Pflegende die Medizin zu Gunsten des Patienten weiterentwickeln. Der Patient sei verstärkt als Gesprächspartner miteinzubeziehen.

Soziale Kompetenzen gefragt

Der Patient müsse gemäss seinen Wünschen und Bedürfnissen sowie nach den Regeln der medizinischen Kunst behandelt werden, dies unter Berücksichtigung sozialer und wirtschaftlicher Aspekte, heisst es im Bericht weiter.

Die medizinischen Fakultäten hätten sich intensiv um Nachwuchs im Gesundheitsbereich zu kümmern und dessen Ausbildung zu verbessern. In der medizinischen Forschung und Lehre sollten vermehrt auch geistes- und sozialwissenschaftliche Aspekte berücksichtigt werden.

Pflegepersonal einbezogen

Gesundheits-Fachleute sollten sich aktiver einsetzen für die Sicherung der Qualität und für die gerechte und ausgewogene Verteilung der Mittel.

Am Bericht habe neben Medizinern und Forschern auch Pflegepersonal intensiv mitgearbeitet, unterstrich die Basler Pflegewissenschafterin Rebecca Spirig. Das Gesundheitswesen in der Schweiz benötige ein partnerschaftliches Miteinander der verschiedenen Berufsgruppen.

Einseitigkeit korrigieren

Wie SAMW-Vizepräsident Werner Stauffer darlegte, wurde das SAMW-Projekt «Zukunft Medizin Schweiz» vor fünf Jahren vor dem Hintergrund wachsender Skepsis gegenüber der «Schulmedizin» lanciert.

Ein wichtiger Katalysator war der Report des Hastings Center «The Goals of Medicine» von 1996, der die moderne Medizin in einer Krise sieht: Sie brauche die Rückbesinnung auf zentrale Werte und Ziele.

Eine gfs-Studie im Auftrag der SAMW von 2001 zeigte zudem, dass sich Schweizerinnen und Schweizer eine «menschlichere Medizin», mehr Prävention, mehr Mitsprache bei medizinischen Entscheiden, mehr Pflegepersonal und mehr Sozialkompetenz der Ärzte wünschten. Auf die hochtechnisierte Spitzenmedizin wollte man indes nicht verzichten.

Breite Diskussion erwünscht

Der Bericht, der diese Wünsche miteinbezog, soll nun nach den Worten von SAMW-Präsident Peter Suter eine breite Diskussion innerhalb der Ärzteschaft und der Pflege auslösen. Die Fakultäten, die Ärztegesellschaft FMH und weitere interessierte Kreise wie Patientenorganistionen wurden eingeladen, schriftlich oder anlässlich eines Forums am 16. Dezember 2004 zum Bericht Stellung zu nehmen.

swissinfo und Agenturen

Die Medizin in der Schweiz steckt in einer Krise: Viele Patienten fühlen sich von den Schulmedizinern nicht mehr Ernst genommen.

Spardruck und weniger Zeit vergrössern die Skepsis gegenüber den Ärzten zusätzlich.

Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) will deshalb wieder den Patienten als Mensch in den Mittelpunkt der Behandlung stellen.

Insbesondere sollen der Respekt der menschlichen Würde und das Recht auf Selbstbestimmung des Patienten berücksichtigt werden.

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