Die «Tante Heidi» von Ho Chi Minh City
Vor 10 Jahren emigrierte die Zürcherin Brigitte Weber nach Vietnam. Das Lächeln der Leute zog sie an. Und sie wollte einen Traum verwirklichen.
Heute betreibt sie «Soziales Marketing» in Ho Chi Minh City, der bevölkerungsreichsten Stadt Vietnams.
Brigitte Weber lebt ganz einfach und in direktem Kontakt mit den Vietnamesen. Sie hat ein inneres Gleichgewicht gefunden, nachdem sie ihr Leben häufig radikal geändert hatte.
Ihre Visitenkarte – in Regenbogenfarben – ist bereits ein Programm: «Brigitte Weber, Präsidentin der Vui Holding Vietnam». Ist das eine wichtige Position?
«Keineswegs, das ist nur ein Scherz», lacht Weber. «Vui bedeutet auf Vietnamesisch glücklich. Diese Holding existiert gar nicht.» Sie habe sich dies nur ausgedacht, um zwischen sozialen Einrichtungen, Kunden und Sponsoren vermitteln zu können.
Jahrelang hat Brigitte Weber im Luxus der schweizerischen Oberschicht gelebt, bevor sie vor 10 Jahren ihr Abenteuer in Asien wagte. Heute lebt die dynamische 61-Jährige in einem winzigen Appartement in Ho Chi Minh City, «in Begleitung» einer Fledermaus, die sich auf den Eingangstreppen breit gemacht hat.
In den letzten Jahren hat Weber gelernt, sich auf die neue Situation einzustellen. Ob bei der Bekämpfung von Kakerlaken oder beim häufigen Stromausfall, für den sie nun Kerzen hat.
Zwei Gruppen von Menschen
«Nach meiner Ausbildung als Krankenschwester habe ich für ein berühmtes deutsches Modehaus gearbeitet, danach für die UNICEF. Mit 50 bin ich schliesslich in die USA gegangen, um eine Management-Schule zu besuchen», erzählt Weber, eingehüllt in eine Seidenjacke mit dem chinesischen Zeichen der doppelten Glücklichkeit.
In den acht Monaten in den USA habe sie eine neue berufliche Herausforderung gesucht, aber nicht gefunden. «Ich hatte die UNICEF verlassen und ich fühlte mich wie in einem schwarzen Loch. Ich war verzweifelt und wusste nicht, was ich wollte.»
Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz nimmt sie den Rat eines Freundes an und macht einen Gelegenheitsjob. Sie kümmert sich um die reichen Bewohner eines Altersheims in Zumikon (Kanton Zürich).
«Trotz eines grossen finanziellen Wohlstands waren 80 Prozent der Leute unzufrieden, allein, verbittert und enttäuscht. Sie klagten immer», erinnert sich Weber. «Die anderen waren zufrieden und freundlich, erfreuten sich am Garten oder an einem Glace.»
Was war der Unterschied zwischen den beiden Gruppen? «Die Glücklichen hatten ihre Träume wahr gemacht, die anderen nicht.» Dies gab Weber Mut, ihren eigenen Traum zu verwirklichen: Nämlich in Asien zu leben.
Spitzname «Heidi»
«Ich habe Asien und seine Einwohner immer geliebt. In der Schweiz schauen alle grau und ernst drein. In Asien lächeln alle Menschen. Selbst wenn sie versuchen, dich reinzulegen…», sagt sie mit einer Art von asiatischem Fatalismus. Und fügt an: «Aber diese Welt gefällt mir einfach besser.»
Sie liess all ihre Kontakte spielen.
Und zur grossen Überraschung ihrer Freunde gelang es ihr, 1996 als Marketing-Verantwortliche des Magazins Vietnam Economic Times angestellt zu werden.
Zwei Jahre später wird sie Assistentin beim Schweizer Konsulat in Ho Chi Minh City. In dieser Funktion organisiert sie Schweizer Kulturwochen in Vietnam und koordiniert die vietnamesische Ausgabe des Romans «Heidi» von Johanna Spiry.
«Seither habe ich sowohl bei den Schweizern in Vietnam wie bei den vietnamesischen Freunden den Spitznamen ‹Tante Heidi›. Und er gefällt mir: Die Figur Heidi hat mir immer gefallen.»
Marketing für Kinder
Seit fünf Jahren ist Brigitte Weber rein ehrenamtlich tätig. «Ich habe zwar keinen Lohn, aber ich kann umgekehrt einfach machen, wozu ich Lust habe», sagt sie. Als «Präsidentin der Vui Holding» engagiert sie sich im Bereich des Sozialen Marketings von Nichtregierungs-Organisationen, die sich um Strassenkinder, Jugendliche oder Behinderte kümmern.
«Soziales Marketing ist ein ziemlich neues Konzept. Es geht darum, nicht für ein bestimmtes Produkt oder eine Marke zu werben, sondern für Bäume, Wasser oder Kinder», erklärt Weber.
«In meinem kleinen Appartement empfange ich Projektleiter und Sozialarbeiter und erkläre ihnen die Prinzipien von Marketing und Fund-Raising. Ich ermutige sie und helfe bei der Suche nach Sponsoren und Finanzgebern in der Schweiz und in Europa.»
Für Weber ist es eine dankbare Aktivität, die ihr erlaubt, viele Kontakte in Ho Chi Minh City zu knüpfen, wo sie sich mittlerweile zu Hause fühlt.
«Zwei Mal im Jahr kehre ich in die Schweiz zurück. Dann bin ich zufrieden, dass ich in meiner Muttersprache reden kann. Ich geniesse auch die Sauberkeit und Ordnung», betont sie. «Doch in Vietnam lebe ich bereits seit 10 Jahren und dort will ich auch bis an mein Lebensende bleiben. Es ist mein Zuhause.»
swissinfo, Marzio Pescia
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Ende 2005 lebten mehr als 635’000 Schweizerinnen und Schweizer im Ausland.
Zirka 30’000 davon leben in Asien.
Gemäss letzten Erhebungen der Schweizer Botschaft in Hanoi leben 330 Schweizer in Vietnam.
Wird 1945 in Zürich geboren, wo sie aufwächst.
Mit 19 Jahren beginnt sie eine Ausbildung als Krankenschwester, die sie vier Jahre später abschliesst.
Nach der Heirat mit einem reichen Schweizer Arzt (die Ehe dauert nicht lange) übernimmt sie die Schweizer Filiale des deutschen Modehauses Etienne Aigner.
Mit 40 Jahren ändert Weber ihr Leben radikal und wird Direktorin von UNICEF Schweiz.
Zehn Jahre später eine erneute Kehrtwende: Nach einem Studienaufenthalt in den USA beschliesst sie, in einem asiatischem Entwicklungsland leben zu wollen: Bangladesch, Kambodscha oder Vietnam.
1996 zieht sie nach Ho Chi Minh City, um dort das Marketing der Zeitschrift Vietnam Economic Times zu übernehmen. Zwei Jahre später wird sie Assistentin am Schweizer Konsulat.
Seit fünf Jahren arbeitet sie als unabhängige Beraterin im Bereich Soziales Marketing für diverse vietnamesische Nichtregierungs-Organisationen.
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