Ein Hauch von 1968 weht über Schweizer Unis
An Schweizer Universitäten wird wieder mehr politisiert als auch schon: An der Universität Basel halten Studierende seit Mittwoch die Aula besetzt. Sie und Kollegen in ganz Europa fordern unter anderem die Reform der Bologna-Erklärung.
Im Plenum und in Arbeitsgruppen diskutieren, Resolutionen verfassen, Medienmitteilungen verschicken, Musikgruppen lauschen, kochen und schlafen: Seit Mittwoch halten Studierende die Aula der Uni Basel besetzt.
500 bis 600 Personen besuchten täglich die Veranstaltungen, sagt ein Besetzer gegenüber swissinfo.ch. «Es herrscht eine Superstimmung, wir haben nie mit einem solchen Andrang gerechnet.»
Sie arbeiteten basisdemokratisch, produktiv und sehr wissenschaftlich, sagt das Mitglied der Aktion kritisch-unabhängiger Studierender (Akus), welche die Besetzung initiierte. «Das ist genau die Atmosphäre, die die Uni braucht.»
Protestaktionen, wenn auch in gemässigterer Form, gab es auch an den Unis Zürich und Genf; in der Calvinstadt liess eine Gruppe Studenten die alte Protestform des Sit-in wieder aufleben.
Schweiz keine Insel
Die Besetzung in Basel erfolgt im Rahmen der weltweiten «Global Week of Action», die vom 9. bis 18. November läuft. Ihr Motto: «Education is NOT for $A£€» oder zu altdeutsch «Bildung ist keine Ware». Die Aktionswoche ist der bisherige Höhepunkt der Proteste, die es seit 2007 unter den Studierenden vor allem in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland gibt.
Begonnen hatte die Welle der Studentenstreiks in Österreich. Aktueller europaweiter Stand seien 34 Besetzungen, freut sich der Aktivist aus Basel. Allein in Deutschland seien am Mittwoch neun Uni-Besetzungen dazu gekommen.
Interessen trennen
Zentrale Forderung der internationalen Welle der Studentenproteste ist die Unabhängigkeit von Lehre und Forschung von privatwirtschaftlichen Interessen.
7 von 11 Mitgliedern des Uni-Rates, des obersten Gremiums der Uni Basel, seien für Novartis, Roche oder andere Konzerne tätig, schreibt die Akus auf ihrer Homepage. Kritisiert wird auch die zunehmende Ausrichtung von Forschungsprojekten auf den Arbeitsmarkt.
Weitere Punkte im Forderungskatalog sind der freie Uni-Zugang via Abschaffung der Studiengebühren sowie die Reform der Bologna-Deklaration. Das europaweite System der Kreditpunkte (ECTS) bewirke, dass das Studium zur Punktejagd verkomme statt zu interessengeleiteter Forschung zu führen, so die Kritiker.
Beim Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS) gibt man sich bedeckt, was weitere geplante Aktionen an anderen Schweizer Hochschulen betrifft. «Dazu kann ich nichts sagen», sagt Rahel Siegrist vom VSS-Vorstand gegenüber swissinfo.
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Bologna-Reform
Bisher keine Räumung
In Basel jedenfalls dauert die Aktion in der Aula an. Ursprünglich seien sie nur von einem Tag ausgegangen, sagt der Student, der sich explizit nicht als Sprecher der Gruppe Akus verstanden haben will.
Die Basler Uni-Leitung will die Besetzer des grossen Hörsaales nicht gewähren lassen. In einem Brief hatte sie die Aktivisten aufgefordert, den Raum bis Donnerstagmittag zu verlassen.
Eine Forderung, welcher die Besetzer nicht nachkamen. Diese streben den Dialog an. «Wir wollen in erster Linie einen Raum, wo wir diskutieren und uns austauschen können, denn viele Studierende wissen gar nicht, wo sie sich informieren können», sagt das Akus-Mitglied.
Renat Künzi, swissinfo.ch
Im Frühling protestierte die Aktion kritisch-unabhängiger Studierender (Akus) in Basel gegen Präsenzkontrollen, die im Zuge der Bologna-Reform eingeführt wurden und nun offenbar wieder gelockert werden sollen.
Im Mai stürmten Mitglieder einer «Aktion ungehorsamer Studierender» (Aus) in Bern eine Sitzung eines Uni-Gremiums, so dass der Entscheid über die Schaffung eines einheitlichen sozialwissenschaftlichen Bachelor-Lehrgangs verschoben werden musste.
In Zürich verhinderte die Gruppe «Uni von unten» einen Auftritt von Novartis-Chef Daniel Vasella an der Uni. Proteste gab es auch gegen Vorträge von George-W.-Bush-Vordenker Robert Kagan und Nestlé-Präsident Peter Brabeck.
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