Eine Stiftung für Asbest-Opfer
Nach jahrelangen Auseinandersetzungen hat Eternit Schweiz eine Stiftung gegründet zur Hilfe an Personen mit asbestverursachter Krankheit, die in den beiden Schweizer Eternit-Werken tätig sind oder waren.
Der Verein für Asbestopfer hat den Entscheid mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. Allerdings fragt man sich, ob die Abfindungen ausreichen werden.
Seit Jahren belastete das Dossier um die Asbestopfer die Eternit AG. Jetzt hat die Firma, die 1903 in Niederurnen im Kanton Glarus gegründet wurde und über Jahrzehnte ein Gigant im Asbest-Business war, die Situation etwas entschärft. Sie hat eine Stiftung für Asbestopfer und ihre Angehörigen ins Leben gerufen.
Zweck der Stiftung ist die Ausrichtung freiwilliger Leistungen an Personen mit asbestverursachter Krankheit, die in den Werken Niederurnen und/oder Payerne (VD) der Eternit AG tätig sind oder waren, oder an deren hinterbliebene nahe Angehörige. Ebenfalls Leistungen erhalten sollen (externe) Personen mit asbestverursachter Krankheit mit ursächlichem Bezug zu den Werkstandorten Payerne und Niederurnen.
Unabhängig vom Wohnort
Die Hilfsleistungen werden unabhängig vom heutigen Wohnort der Betroffenen gewährt. Die konkreten Kriterien zur Vergabe der Leistungen werden in einem Reglement festgehalten.
«Die Schweiz verfügt bereits über ein sehr ausgeprägtes Sozialsystem. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) anerkennt auch durch Asbest verursachte Berufskrankheiten», sagt Anders Holte, Direktor der Eternit AG und Präsident der neu gegründeten Stiftung.
«Doch trotz der hohen Qualität der Suva-Leistungen gibt es Härtefälle, in denen neben der Krankheit grosse finanzielle Probleme auftreten», so Holte zu swissinfo.
Der Firmendirektor anerkennt, dass bereits 70 ehemalige Mitarbeiter gestorben sind. Doch seiner Meinung nach hat das Unternehmen in den letzten Jahrzehnten «in Anbetracht der vorliegenden Kenntnisse korrekt gehandelt».
Zufrieden, aber…
«Die Gründung dieser Stiftung ist zweifellos positiv», sagt Massimo Aliotta, Rechtsberater des Vereins für Asbestopfer, gegenüber swissinfo Er hebt insbesondere hervor, dass nicht nur die Arbeiter, die in den Fabriken tätig waren, sondern auch deren Angehörige die Leistungen beanspruchen können. «Ich denke etwa an die Ehefrauen der Arbeiter, welche die Arbeitsanzüge ihrer Männer gewaschen haben, und auch erkrankten.»
Erst kürzlich hatte die Eternit AG eine Entschädigung in Höhe von 40’000 Franken an Marcel Jann, einen im Sterben liegenden 53-jährigen Primarschullehrer, bezahlt. Jann hatte als Kind in der Nähe der Fabrik von Niederurnen gelebt.
Die Entschädigung hat vor allem symbolischen Charakter. «Der wirtschaftliche Schaden für meine Familie auf Grund meines vorzeitigen Todes beläuft sich auf rund 1,5 Millionen Franken», hatte Jann einem Journalisten des Schweizer Magazins Beobachter gesagt.
Reichen die Entschädigungen?
Gemäss Massimo Aliotta bleiben zahlreicheFragen offen: «In der Stiftungsurkunde steht, dass die Leistungen nur in Härtefällen ausbezahlt werden. Aber was sind Härtefälle? In den letzten 50 Jahren haben in Niederurnen und in Payerne Tausende von Personen gearbeitet, davon allein 2500 aus Süditalien. Theoretisch könnten sich Tausende von Personen an die Stiftung wenden.»
Man müsse auch noch sehen, welcher Betrag für welchen Fall konkret gesprochen werde, meint Aliotta. Das Stiftungskapital beträgt 1,25 Millionen Franken – nach Ansicht des Vereins der Asbestopfer viel zu wenig, um für alle entstandenen Schäden aufzukommen.
«Diese Stiftung ist genau in einem Moment gegründet worden, in dem immer mehr Personen Strafanzeige gegen die Verantwortlichen von Eternit eingereicht haben; es handelt sich vielleicht nicht gerade um einen Gegenangriff, aber doch um eine Reaktion auf diese Entwicklung», ist Aliotta überzeugt.
Druck auf Eternit AG steigt
Gegen die Firma und einige ehemalige Kaderleute (insbesondere Stephan und Thomas Schmidheiny) laufen tatsächlich diverse Justizverfahren in Italien und Frankreich. Das Unternehmen wird beschuldigt, zu wenig für den Schutz der Angestellten und der Bevölkerung vor Asbest unternommen zu haben und die Arbeiter zu wenig über die Risiken aufgeklärt zu haben.
Ein gigantisches Verfahren mit 2000 Entschädigungsanträgen läuft in Turin. Der zuständige Staatsanwalt Raffaele Guariniello will seine Untersuchungen bis Ende Jahr abschliessen.
In der Schweiz waren Klagen bei den Justizbehörden von Glarus hängig. Diese stellten das Asbest-Verfahren gegen die Eternit AG jüngst aber wegen Verjährung ein.
Gemäss Suva ist in den nächsten Jahren mit 50 bis 70 zusätzlichen, durch Asbest verursachten Todesfällen zu rechnen. Manche Experten sprechen gar von 3000 Toten in den kommenden 15 Jahren.
swissinfo, Daniele Mariani
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Bis Ende 2004 hat die Suva 848 Fälle von Brust- und Bauchkrebs sowie 58 Fälle von Lungenkrebs als durch Asbest verursachte Berufskrankheiten anerkannt.
Zur Zeit registriert die Suva jedes Jahr 70 neue Fälle von Mesotheliomen. Die Zahl dieser Fälle steigt seit Mitte der 1970-er Jahre konstant an.
Asbest ist die Bezeichnung für eine Gruppe von natürlichen, zumeist in Felsmaterial vorkommenden faserförmigen Mineralien. Asbestfasern sind gegen Feuer und Säuren beständig und haben eine hohe Zugfestigkeit. Asbest wurde früher vor allem wegen seiner ausgezeichneten Hitze- und Feuerbeständigkeit geschätzt. In den 1930-er Jahren wurde es in Industrie und Technik sehr viel eingesetzt.
In den 1940-er Jahren wurden erstmals Untersuchungen zu den gesundheitlichen Auswirkungen dieses Stoffes gemacht. Mit der Zeit merkte man, dass bei der Verarbeitung von Asbest kleinste Fasern entstehen, die beim Einatmen die Gesundheit gravierend belasten können.
Bereits geringe Asbestfeinstaub-Konzentrationen in der Luft können so die Entstehung eines Mesothelioms (Tumor des Brust- oder Bauchfells) oder Lungenkrebs fördern. Die Entwicklung
der Krankheit kann einen Zeitraum von bis zu 40 Jahren nach Einatmen der Fasern in Anspruch
nehmen.
Asbest ist mittlerweile in 40 Ländern verboten – in der Schweiz seit 1990. Die Anwendung von Spritzasbest wurde in der Eidgenossenschaft bereits 1975/1976 eingestellt.
Trotz seiner gesundheitsgefährdenden Eigenschaften wird Asbest aber noch in vielen Gegenden der Erde produziert und eingesetzt. Hauptproduzenten sind Russland, China und Kasachstan.
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