Europa – drinnen oder draussen?
Der tschechische Präsident Vaclav Klaus hat sich in Bern mit Regierungsvertretern getroffen. Hauptthema der Gespräche: die bilaterale Zusammenarbeit.
Anschliessend diskutierten Klaus und Bundespräsident Moritz Leuenberger an einer öffentlichen Veranstaltung über das Thema «Europa – drinnen oder draussen?»
Klaus diskutierte mit Leuenberger, Aussenministerin Micheline Calmy-Rey und Wirtschaftsminister Joseph Deiss insbesondere über die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Staaten, die am 1. April in Kraft tritt.
«Wir haben während des Kommunismus 40 Jahre in einer geschlossenen Gesellschaft gelebt», sagte Klaus. Die Personenfreizügigkeit sei daher von grosser «symbolischer Wichtigkeit».
Er erwarte jedoch nicht, dass sich mit der Öffnung der Grenzen nun «Tausende von Tschechen in der Schweiz niederlassen», so Klaus.
Kohäsions-Gelder für Gemeinde- und Umweltprojekte
Im Rahmen der Kohäsions-Zahlungen zugunsten der zehn neuen EU-Mitgliedstaaten erhält die Tschechei gemäss dem neuen Osthilfegesetz 110 Mio. Franken. Das Geld geht vor allem in regionale und kommunale Projekte.
«Darüber bin ich besonders froh», sagte der Bundespräsident gegenüber swissinfo. «Die kommunale Infrastruktur ist nämlich für die Entwicklung der Wirtschaft sehr wichtig.»
Weiter gehen Teile der Kohäsions-Gelder in Investitionen in die Infrastruktur des Umweltschutzes. «Da bin ich als gegenwärtiger Infrastruktur- und Umweltminister sehr froh. Das Geld geht also genau in diese Teilbereiche, die uns aus politischen Gründen und für den gemeinsamen Ausbau der europäischen Infrastruktur wichtig sind», so Leuenberger.
Schlagabtausch über Europa und die EU
Im Anschluss an die offiziellen Gespräche diskutierten Klaus und Leuenberger in der Aula der Universität Bern an einer öffentlichen Podiumsveranstaltung über die Zukunft Europas und der EU.
«Die Schweiz ist nicht EU-Mitglied. Deswegen ist sie aber überhaupt nicht ‹draussen›. Sie beteiligt sich an der Architektur Europas», erklärte Leuenberger in der überfüllten Aula.
Europa sei ein «Friedens- und Wohlfahrtsprojekt». Die Schweiz beteilige sich zum Beispiel mit Friedenstruppen im Kosovo daran oder mit dem Aufbau von föderalen Strukturen in dem Konfliktgebiet.
Frieden beschränke sich aber nicht nur auf Europa. «Europa darf keine Festung gegen Nicht-Europäer werden. Da müssen wir global denken», so der Bundespräsident weiter.
EU-kritischer Vaclav Klaus
«Drinnen oder draussen?» – Diese Frage verstehe er überhaupt nicht, sagte der tschechische Präsident. «Die Frage muss lauten: Sollen die beiden Länder geöffnet sein?» Ja, war die klare Antwort von Vaclav Klaus. Die Schweiz und Tschechien hätten schon immer zu Europa gehört, «ob EU-Mitglied oder nicht».
In der Folge zeigte sich Klaus, dem das Etikett «harter Neoliberaler» anhängt, wie der Moderator der Diskussion betonte, als äusserst EU-kritisch. Die EU werde «immer mehr dirigistisch als demokratisch», sagte Klaus, für den das Wort «dirigistisch» böse Erinnerungen an die Zeit des Kommunismus in der Tschechoslowakei weckt.
Skepsis gegen das Prinzip Hoffnung
Eine ständige Erweiterung der EU habe ein «Schwinden an Vertiefung liberaler Werte» zur Folge. Hoffnung auf Besserung habe er nicht. Die Schweiz wünscht sich Klaus aber dennoch in der EU, «weil sie ein guter Freund von uns ist».
Leuenberger gab sich optimistischer, auch wenn die Frage eines EU-Beitritts der Schweiz heute überhaupt kein Thema sei – «in zehn Jahren vielleicht wieder». Wenn die EU durch demokratische Diskussionen zwischen allen Mitgliedern zu einem «föderalen Gebilde ein bisschen nach dem Muster des Schweizer Modells» werde, dann habe sie Zukunft.
swissinfo, Jean-Michel Berthoud
1968 leiteten in der Tschechoslowakei Alexander Dubcek und Ludvik Svoboda Reformen ein («Prager Frühling»), die im August durch einen sowjetischen Truppen-Einmarsch gestoppt wurden.
Hunderttausende von Tschechen flohen, viele davon in die Schweiz, wo sie – wie schon die ungarischen Flüchtlinge 1956 – herzlich aufgenommen wurden.
11’000 Tschechen fanden nach dem «Prager Frühling» in der Schweiz Asyl.
Im September 2005 nahm das Schweizer Volk die Ausdehnung des Freizügigkeits-Abkommens auf die neuen EU-Staaten an.
Die Tschechische Republik erhält im Rahmen der so genannten Kohäsions-Zahlung zu Gunsten der 10 neuen EU-Mitgliedstaaten von der Schweiz 110 Millionen Franken.
Auslandschweizer Gemeinschaft in Tschechien 2005: 1001.
Tschechische Immigranten in der Schweiz 2005: 3520.
Die Schweiz ist für Tschechien der 13. wichtigste Handelspartner für Exporte (16. für Importe).
Seit 2002 ist Tschechien der wichtigste Handelspartner der Schweiz in Zentraleuropa und knapp hinter Polen der zweitwichtigste Absatzmarkt für Schweizer Produkte in dieser Region (2004: 1,148 Mrd. Fr.).
Schweizerische Direktinvestitionen in Tschechien 2003: 1,564 Mrd. Franken.
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