Europa will den «Schleier der Venus» lüften
Nach dem erfolgreichen Besuch des kühlen Mars visiert die Europäische Raumfahrt nun den heissen Nachbar-Planeten Venus an.
Auch die Schweiz ist technisch und finanziell an der Sonde «Venus Express» beteiligt, einem Projekt der Europäischen Weltraum-Agentur (ESA).
Vor rund 4,5 Mrd. Jahren entstanden Venus und Erde aus einer Staubscheibe um die Erde. Damals waren sie wie eineiige Zwillinge. Sie hatten annähernd dasselbe Geburtsgewicht, die gleiche Grösse, eine ähnliche Zusammensetzung und Atmosphäre. Im Lauf ihrer Geschichte büssten sie jedoch grosse Teile ihrer Gemeinsamkeiten ein.
Heute sind die beiden Planeten völlig verschieden. Eine zentrale Frage der Venus-Forschung befasst sich mit dem Wie und Warum der gegenseitigen Entfremdung.
Und so knüpfen die Wissenschafter an den jüngsten Vorstoss der Alten Welt in der Planeten-Erforschung höchste Erwartungen. «Europa lüftet den Schleier der Venus», hofft die Europäische Weltraum-Agentur.
Fünfmonatige Reise
Das könnte bereits Anfang April 2006 der Fall sein – sofern alles nach Plan läuft und die 340 Mio. Franken teure Sonde das sonnennahe «Treibhaus Venus» nach fünf Monaten Reise erreicht.
Eigentlich hätte die 1,27-Tonnen schwere «Venus Express» am 26. Oktober von einer russischen Sojus/Fregat-Rakete ins All getragen werden sollen. Bei Untersuchungen wurden Verunreinigungen in der Verkleidung am oberen Teil der russischen Trägerrakete festgestellt, was den Start-Termin «um einige Tage» verzögert.
Der 24. November ist der späteste Termin für einen Start der «Venus Express», wenn die voraussichtlich 163 Tage dauernde Reise mit einem Tempo von rund 100’000 Kilometern pro Stunde erfolgreich sein soll.
Viele offene Fragen
Die Venus-Mission soll viele Fragen beantworten helfen. Gibt es auf der höllisch heissen Venus Erdbeben oder sogar noch aktive Vulkane, und, wie bereits erwähnt, warum sind Venus und Erde bei ziemlich ähnlicher Grösse, Masse und Dichte heute so unterschiedlich?
Ausserordentlich interessiert sind die Wissenschafter an der Frage, welche Rolle Kohlendioxid sowie der Treibhauseffekt für unseren nächsten Nachbarn spielen, der die Sonne etwas dichter umkreist als die Erde.
Die Messgeräte sollen Wolken, Nebel und die Windgeschwindigkeit der Venusatmosphäre genauer untersuchen. Dann geht es um die chemische Zusammensetzung und die Geologie des heissen Nachbarplaneten der Erde – dessen mittlere Oberflächen-Temperatur von 470 Grad Celsius ziemlich lebensfeindliche Bedingungen aufweist.
Landung, nein danke!
Landen kann «Venus Express» nicht. Auch wenn die sowjetische «Venera 9» im Jahr 1982 weich auf der Venus niederging und danach erste Panoramabilder von der Oberfläche funkte – auf dem unwirtlichen Planeten hielten Sonden immer nur kurz den extremen Bedingungen stand.
Die unter einem dichten Wolkenschleier aus Schwefelsäuretröpfchen herrschenden Temperaturen würden viele Metalle und Legierungen schmelzen lassen. Und der Druck in diesem Treibhaus ist mit bis zu 93 Bar nahezu so hoch wie in 1000 Metern Wassertiefe auf der Erde.
Sicherer Abstand
Deshalb umrundet die Sonde die «Göttin der Liebe» auf einer elliptischen Bahn über den Polen und mit dem gebührenden Abstand von 250 bis 66’000 Kilometern. Die Solarflügel müssen dabei dramatischen Temperaturschwankungen von bis zu 350 Grad standhalten – und zwar für eine Beobachtungszeit von zwei Venustagen oder 486 Erdtagen.
Der erste Flug der Europäer zur Venus stand wegen erheblicher Sparmassnahmen bei der ESA eine Zeit lang in den Sternen. Doch die Reise musste nicht storniert werden, weil auf die Instrumente des Kometenjägers «Rosetta» und auf das Design des «Mars Express» zurückgegriffen werden konnte.
Schweizer Beteiligung
An Bord der «Venus Express» befinden sich sieben wissenschaftliche Instrumente mit einem Gesamtgewicht von fast 100 Kilogramm. Die Schweiz war an der Entwicklung von zwei Instrumenten beteiligt.
So waren die Professoren Peter Wurz und Nicolas Thomas bei der Entwicklung der Instrumente ASPERA-4 und VMC beteiligt.
Mit ASPERA-4 sollen Daten über die Einwirkung des Sonnenwindes auf die Venus-Atmosphäre gesammelt werden. Und mit dem VMC-Kamerasystem können Oberfläche und Athmosphäre der Venus in unterschiedlichen Höhen beobachtet werden.
Auch zwei private Schweizer Unternehmen haben zur neuen ESA-Mission beigetragen. Die St. Galler Fisba Optik stellte die optischen Komponenten für die VMC-Kamera her. Contraves Space aus Zürich entwickelte und produzierte die Struktur der Sonde.
swissinfo und Agenturen
Die Schweiz ist Gründungs-Mitglied der 1975 ins Leben gerufenen Europäischen Weltraum-Agentur ESA.
Sie beteiligt sich mit 3,6% (rund 12 Mio. Franken) an den Gesamtkosten der Venus-Mission von 341,6 Mio. Franken.
Der Bau der Sonde selbst kostete die ESA rund 132 Mio. Franken, für den Start mit einer Sojus-Fregat-Trägerrakete wurden rund 60 Mio. Franken eingesetzt.
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