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Exodus bedroht Berggebiete

Eine Bäuerin im Bergeller Dorf Soglio: Die Überalterung ist ein grosses Problem in den Berggebieten. Keystone Archive

Die Schweizer Bergregionen leiden an starker Abwanderung. Zwischen 1995 und 2000 gingen 46'000 Arbeitsplätze verloren. Gegensteuer ist angesagt.

Bis 1995 hat die Bevölkerung der Schweizer Bergregionen stärker zugenommen als das schweizerische Mittel. In den letzten fünf Jahren ist nun eine markante Trendwende festzustellen, wie die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB) mitteilt.

Die Bergbevölkerung hat seit 1995 mit 0,2% nur halb so stark zugenommen wie die Schweizer Gesamtbevölkerung. In 28 von 54 Bergregionen war diese Entwicklung sogar rückläufig.

Verlust von 46’000 Arbeitsplätzen

Laut SAB-Direktor Thomas Egger ist der Rückgang Folge des intensiven wirtschaftlichen Strukturwandels. Gegenüber swissinfo sagte Egger, allein in der Berglandwirtschaft, einem wichtigen Standbein, sei die Zahl der Vollzeitbeschäftigten von 1995 bis 2000 um 13’000 oder 22% gesunken.

Zudem seien durch den Abbau ehemaliger Regiebetriebe des Bundes 20’000 Arbeitsplätze im Berggebiet verlorengegangen. «Wir haben in den letzten fünf Jahren insgesamt rund 46’000 Arbeitsplätze im Berggebiet verloren.»

Insgesamt sank die Zahl der Vollzeitbeschäftigten im Berggebiet von 592’000 im Jahr 1995 auf 546’000 im Jahr 1998. Der Rückgang war damit doppelt so stark wie in der übrigen Schweiz.

Konzentrations-Prozess innerhalb der Regionen

Am stärksten war die Abwanderung in den Regionen Glarner Hinterland, Schanfigg GR, Mittelbünden, Bergell GR, Obersimmental-Saanenland BE und Goms VS. Auf den ersten Blick überrascht das Berner Saanenland, wo sich mit Gstaad ein weltbekannter Winter- und Sommerferienort – mit dem alljährlichen Tennis Open – befindet.

SAB-Direktor Egger dazu: «Das ist nicht widersprüchlich. Was wir nämlich auch noch feststellen müssen, abgesehen von der Abwanderung, ist, dass innerhalb der Regionen ein massiver Konzentrations-Prozess stattfindet. Die Leute wandern eben aus Abländschen oder wo auch immer ab und lassen sich zuerst in den Regionszentren nieder; das als Zwischenstufe, bis sie vielleicht definitiv nach Zürich oder Bern abwandern.»

Nicht nur in der Schweiz

Auch andere Länder hätten das Problem der Abwanderung aus den Berggebieten, sagt der SAB-Direktor. Die Schweiz sei eigentlich noch in einer privilegierten Phase: «Bei uns hat das erst in den letzten paar Jahren eingesetzt. In Frankreich oder Italien, vor allem eben in zentralistischen Staaten, ist dieser Prozess schon lange in Gang. Dort gibt es effektiv ausgestorbene Dörfer, in denen kein Mensch mehr lebt.»

Was tun?

«Solche ausgestorbene Dörfer, das wäre für uns die Horrorvision. Das darf in der Schweiz nicht passieren», so Thomas Egger zu swissinfo. Der Bund müsse sich hier massiv engagieren, seiner Verantwortung gegenüber den Rand- und Bergregionen bewusst sein.

Als Massnahmen gegen den Bevölkerungs-Rückgang in den Bergregionen fordert die SAB eine starke und flexible Regionalpolitik, einen effizienten Finanzausgleich und einen ausreichenden Service public – also Gegensteuer auf politischer Ebene.

Auf der anderen Seite brauche es aber auch Initiativen in den Regionen selber, innovative Projekte, sagt Egger. Es gebe zahlreiche derartige Projekte. «Die Hoffnung ist eigentlich da», so Egger.

Die SAB vergibt für Projekte oder Produkte aus dem Berggebiet, welche die Kriterien der Nachhaltigkeit erfüllen, jährlich einen Preis. Dieses Jahr ging der Hauptpreis an zwei Regionen. Die Preissumme von 10’000 Franken teilen sich das Projekt «Wasserweg Albulatal» und das Projekt «Stein auf Stein» aus dem Maggiatal (siehe Link).

Ein Projekt für das Bergell

Ein innovatives Projekt läuft zur Zeit für das Bergell, eines der italienisch-sprachigen Täler des Kantons Graubünden. Das Projekt «Moving Alps» versucht in Zusammenarbeit mit dem Pädagogischen Institut für Berufsbildung in Lugano, Informations-Technologie in das Tal zu bringen. Damit soll die Berufsbildung im Bergell verbessert werden, sagt Projekt-Koordinator Maurizio Micheal zu swissinfo.

Wichtig sei dabei die Ausbildung von Lehrmeistern und die Schaffung von Lehrstellen. «So können Aktivitäten entwickelt werden, die Tradition, Kultur, Wirtschaft und Entwicklung im Tal zusammenhalten.»

Problem Überalterung

Eines der Hauptprobleme des Bergells ist die Überalterung der Bevölkerung. «In diesem Tal gibt es zu wenig Geburten, um längerfristig die gegenwärtige Bevölkerungszahl von 1500 aufrechtzuerhalten», sagt Michael. Deshalb müsse man den Jungen berufliche Perspektiven anbieten, sei es in den Bereichen Handwerk oder öffentliche Dienste. Auch im Landwirtschaftssektor müssten neue Initiativen ergriffen werden, zum Beispiel mit einer besseren Vermarktung von regional-typischen Produkten wie Ziegenkäse oder Würste.

«Wichtig ist, die territoriale Identität zu stärken und den Leuten zu zeigen, dass man auch hier im Bergell gut leben kann», sagt der Leiter des «Moving Alps»-Projekt. «Schliesslich», so Maurizio Michael, «ist das Bergell nicht weit von den grossen Zentren entfernt».

swissinfo

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