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Für eine nachhaltige Familienpolitik

Die Familie soll wieder lebbarer gemacht werden. swissinfo C Helmle

Die Zukunft der Schweiz hängt von einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf ab. Mit der Vorstellung des Familienberichts 2004 hat Innenminister Pascal Couchepin den Rahmen für eine nationale Debatte abgesteckt.

SP und CVP begrüssen die Vorschläge mehrheitlich.

Die Schweiz verfügt über kein einheitliches familienpolitisches Konzept. Angesichts zunehmender Familienarmut und der wachsenden Instabilität von Familien ist aber ein solches Konzept nötig.

Das ist das Fazit des Familienberichts 2004. Er wurde anlässlich eines Medienspaziergangs mit Bundesrat Pascal Couchepin am Dienstag auf der Petersinsel im Bielersee vorgestellt.

In der Schweiz würden immer weniger Kinder geboren, sagte der Sozialminister. Daraus dürfe aber nicht geschlossen werden, dass Kinder zunehmend unerwünscht seien. Denn der Kinderwunsch sei generell grösser als die Zahl der wirklich geborenen Kinder.

Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Hindernisse für die Familiengründung seien nicht in erster Linie das fehlende Geld, sondern Probleme bei Vereinbarkeit von Beruf und Familie, so Couchepin.

Dem stimmt Heidi Stutz vom Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (BASS) in Bern zu. Das BASS hat für den Familienbericht 2004 ein Grundlagen-Konzept geliefert. Allerdings spiele auch das fehlende Geld eine Rolle, sagt sie gegenüber swissinfo.

«Die Kinderzulagen, die im internationalen Vergleich unter dem Durchschnitt liegen, müssen erhöht werden. Ergänzungsleistungen für Familien sind notwendig.»

Auch die Sozialdemokratische Partei (SP) ist dieser Ansicht. «Wir kämpfen für eine Minimallösung von 200 Franken pro Kind und 250 Franken pro Kind in der Ausbildung», so SP-Sprecher Jean-Philippe Jeannerat. «Wir wissen allerdings, dass die Regierung und die Rechte zu diesem Vorschlag wahrscheinlich Nein sagen.

Frühere Einschulung

Um den Missstand bei der Vereinbarkeit von Beruf mit der Familie zu beheben, stellte Couchepin eine Reihe von Massnahmen vor, die für ihn prioritären Charakter haben.

Für wünschenswert hält der Innenminister etwa eine frühere Einschulung der Kinder. Diese Massnahme sei sowohl aus familienpolitischen wie auch aus bildungspolitischen Gründen notwendig.

Mit einer früheren Einschulung könne der Tatsache entgegengewirkt werden, dass die Schulleistungen der Kinder heute leider stark vom Bildungsniveau der Eltern abhingen.

Blockzeiten und mehr Tagesschulen

Der Innenminister plädierte weiter für Blockzeiten an Kindergärten und Schulen möglichst in der ganzen Schweiz. Auch das Angebot an Tagesschulen in den Kantonen sei zu erhöhen.

Zur staatlichen Subventionierung der Krippen will Couchepin neue Modelle prüfen lassen. Heute würden die Krippen subventioniert, sagte er, morgen könnten vielleicht Betreuungsgutscheine für die Nachfragenden abgegeben werden.

Steuerpolitik einbeziehen

Familienpolitische Überlegungen will Couchepin auch bei der Steuerpolitik berücksichtigen. Ein wichtiger Grundsatz ist dabei für den Sozialminister der Wechsel zur Individualbesteuerung.

Zur Bekämpfung der Familienarmut schweben dem Innenminister zudem negative Einkommenssteuern vor, die die Form von Steuergutschriften für Working Poors annehmen könnten.

Auch für die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) gehört eine steuerliche Entlastung der Familien zu den Rahmenbedingungen, welche Familie und Beruf besser vereinbar machten.

«Wir begrüssen jeden Schritt in Richtung einer besseren Familienpolitik, aber wir müssen schnell handeln und in einzelnen Bereichen sofort vorwärts machen», sagt CVP-Pressechefin Béatrice Wertli gegenüber swissinfo.

Harmonisierung

Auf institutioneller Ebene plädiert Couchepin dafür, in den Kantonen eine Konferenz der Familiendirektoren zu schaffen, die sich nur um Familienfragen kümmern und unter den Kantonen eine gewisse Harmonisierung schaffen soll.

Um den familienpolitischen Standortwettbewerb zu fördern, schlägt er vor, dass private Anbieter die Familienfreundlichkeit der Kantone und Gemeinden in Ratings bewerten sollen.

Heidi Stutz vom BASS plädiert für ein stärkeres Engagement des Bundes, den Kantonen Mindestleistungen im familienpolitischen Bereich vorzuschreiben. Das sei vor allem auch für junge Leute in der Schweiz wichtig, die heute Beruf und Familie unter einen Hut bringen wollten – «die Männer zwar etwas weniger als die Frauen», wie sie präzisiert.

Wirtschaft einbeziehen

Auch die Wirtschaft will Couchepin in die Familienpolitik einbinden. Schweizweit sei eine Allianz zwischen Behörden und Grossunternehmen zu schaffen, die Initiativen für eine familienfreundliche Unternehmensgestaltung lancieren soll.

Die Schweiz brauche eine hohe Frauen-Erwerbsquote und mehr Kinder. «Denn mehr Kinder bedeuten auch weniger demographie-bedingte Probleme, standfeste Sozialwerke, vor allem aber mehr Innovations-Fähigkeit, kurzum: Zukunftsfähigkeit», so der Innenminister.

Und jedermann wisse zudem, dass es für die Schweiz volkswirtschaftlich vorteilhaft sei, wenn die Frauen, die heute genauso gut ausgebildet seien wie die Männer, ihre erworbenen Kompetenzen im Erwerbsleben einsetzten.

«Dass deren Beitragszahlungen zudem einen stabilisierenden Einfluss auf die Sozialwerke haben, ist ebenso klar», so Couchepin. Und – «last but not least» – mache auch der bezahlte Mutterschaftsurlaub im Konzept einer nachhaltigen Familienpolitik Sinn.

Übereinstimmung und Skepsis

Der Innenminister sieht seine Ideen als Grundlage für die Diskussion eines Konzepts einer nachhaltigen Familienpolitik. Ein solches Konzept fehlt gemäss dem vorgestellten Familienbericht heute in der Schweiz.

Die SP begrüsst laut Sprecher Jeannerat die Vorschläge von Bundesrat Couchepin. Der Familienbericht sei sehr nützlich, der letzte datiere aus dem Jahr 1978, so Sprecher Jeannerat. «Allerdings möchten wir in einigen Bereichen rascher vorwärts und weiter gehen.»

Skeptischer gibt sich Heidi Stutz vom BASS. «Couchepin war bisher in der Familienpolitik überhaupt nicht in Erscheinung getreten, deshalb ist nicht einzuschätzen, was er in diesem Bereich wirklich machen will.»

swissinfo und Agenturen

Familien in der Schweiz haben ein überdurchschnittliches Armutsrisiko

Bis ein Kind gross ist kostet es die Eltern durchschnittlich eine halbe bis eine Million Fr.

Ein Kind kostet im Monat mindestens 1400 Fr., ein Einzelkind ca. 1800 Fr.

Die durchschnittliche Kinderzahl pro Familienhaushalt liegt bei 1,9, jene pro Frau bei 1,4 Kindern (1970 waren es noch 2,1)

Als Grundlage für die Diskussion eines Konzepts einer nachhaltigen Familienpolitik sieht Bundesrat Pascal Couchepin Punkte wie den bezahlten Mutterschaftsurlaub, Krippenplätze, eine frühere Einschulung und die Einführung von Blockzeiten für Kindergärten und Schulen.

Als wichtig erachtet werden auch die Schaffung einer Konferenz der Familiendirektoren auf kantonaler Ebene sowie eine Verbesserung der familienpolitischen Statistiken.

Ferner schlägt Couchepin Steuergutschriften vor für Working Poors sowie einen Dialog zwischen Behörden und Privatwirtschaft über eine familienfreundliche Unternehmensgestaltung.

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