Gender Studies: Es tut sich endlich was in der Schweiz
Geschlechtsspezifische Forschung hat es schwer, noch schwerer haben es Studierende, die sich mit solchen Themen beschäftigen wollen.
Welche Bedeutung hat Geschlecht bei der individuellen Entwicklung von Menschen? Wie prägen symbolische Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit unser Denksystem und damit unsere Gesellschaft? Diesen Fragen gehen die Gender Studies nach, eine Wissenschaft, welche schweizweit erst langsam Fuss fasst.
An der «11. Schweizerischen HistorikerInnen-Tagung für Frauen-, Männer- und Geschlechtergeschichte» in Zürich, welche sich vor allem mit dem Wert der Erfahrung für die historische Forschung befasst, geben auch Gender Studies zu reden.
Vorreiterin in Sachen Gender Studies ist in der Schweiz die Universität Basel. In einem Interview mit swissinfo äussert sich Regina Wecker, Professorin für Frauen und Geschlechtergeschichte am Historischen Seminar Basel, zu den Gender Studies in der Schweiz. Regina Wecker ist auch Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Frauen- und Geschlechterforschung.
Ab diesem Sommer können an der Uni Basel Gender Studies im Nebenfach studiert werden. Erstmals wird damit ein Hochschulabschluss möglich. Im Vergleich zu anderen Ländern, etwa USA oder Deutschland, muss man jedoch sagen: Wir hinken hinten nach?
Regina Wecker: Es gibt viel universitäre und ausseruniversitäre Forschung im Bereich der Gender Studies, doch die Verbindung zur Lehre war bisher nicht gewährleistet. Dies zeigt eine Studie des Wissenschaftsrates unter Einbezug von internationalen Fachleuten.
Es gibt zu wenig Professuren, um ein Zusammenspiel von Forschung und Lehre fruchtbar zu machen. Hier hinkt die Schweiz ganz klar hinten nach.
Nötig wären also mehr Professuren. Tut sich etwas in diesem Bereich?
Lange Zeit war meine Professur im Bereich der Geschichte die einzige in der Schweiz, die explizit für Geschlechterforschung da war. Jetzt gibt es in Basel auch die Professur von Andrea Maihofer für Gender Studies. In Lausanne gibt es inzwischen ebenfalls eine Professur, in Zürich ist die Schaffung einer Professur beschlossen worden und in Bern wurde ein Zentrum Gender Studies geschaffen.
In der letzten Zeit zeichnete sich also ein Trend zur Institutionalisierung ab, mehr feste Stellen sind vorhanden. Es sind immer noch wenig, aber es hat sich doch deutlich etwas bewegt.
Nicht in allen Bereichen bewegt sich etwas: Im letzten Frühjahr wurde ein Projekt für einen nationalen Forschungsschwerpunkt in Gender Studies gekippt.
Das ist bedauerlich, hat aber nicht dazu geführt, dass die Bemühungen um ein grosses nationales Forschungsprojekt aufgegeben wurden. Die Gruppe von Wissenschaftlerinnen, die diese Forschung getragen hat, arbeitet an einer zweiten Eingabe.
Könnte man sagen, es ist den Frauen in diesem speziellen Fall nicht gelungen ist, sich durchzusetzen? Frauen haben in der Forschung immer noch zu kämpfen.
Das zeigt es sehr deutlich. In der Schweizer Forschungslandschaft sind immer noch wenig Frauen an Stellen zu finden, wo sie auf die Forschung Einfluss nehmen können, Projekte tragen, strukturieren und auch Entscheidungen fällen können. Grosszügig gerechnet können wir von 10 Prozent Professorinnen insgesamt ausgehen, 90 Prozent sind also sind Männer. Das macht es schwer, grosse Forschungsprojekte durchzubringen.
Wichtig für Entwicklung und auch Überlebensfähigkeit der Gender Studies ist sicher der wissenschaftliche Nachwuchs. Wird hier aktive Förderung betrieben?
In diesem Jahr haben wir vier dreijährige Graduierten-Kollegien geschaffen. Dies sind Einrichtungen für die Ausbildung von Doktoranden und Doktorandinnen. In den Naturwissenschaften ist diese Art der Ausbildung üblich, für Geistes- und Sozialwissenschaften gibt es in der Schweiz aber noch wenige solcher Kollegien.
Für den Bereich der Gender Studies haben die Universitäts-Konferenz und die Universitäten in Basel, Bern(Freiburg), Genf(Lausanne) und in Zürich nun Kollegien eingerichtet. Die Mitglieder werden sich treffen zu Kursen und Lehrveranstaltungen, um die theoretischen Grundlagen ihrer Forschung zu erarbeiten.
Wie gross ist eigentlich das Interesse am Fach Gender Studies, das ab Sommer in Basel studiert werden kann?
Allgemein kann man sagen, dass das Interesse von jungen Studierenden gross ist und weiter ansteigt. Es ist immer noch so, dass sich sehr viel mehr Frauen für diese Fragen interessieren. Das scheint wie ein Parallele dazu zu sein, dass sich Frauen insgesamt stärker für gesellschaftliche und für Beziehungsfragen interessieren – eine traditionelle Stärke von Frauen.
Die Gender Studies haben einen gesellschaftlicher Anspruch. Wozu braucht die Gesellschaft deren Erkenntnisse?
Das ist eine zentrale gesellschaftliche Frage, wenn wir sehen, wie zentral die Kategorie Geschlecht in ganz unterschiedliche Bereiche hineinspielt – von der Ökonomie über die Medizin zum Recht.
Das Geschlechterverhältnis ist ein hierarchisches. Wenn man sich nicht damit abfinden will und davon ausgeht, dass auch diese Hierarchie nicht etwas Naturgegebenes ist, dann muss man doch schauen, warum sich das so beharrlich halten kann.
Gender Studies haben ein Potenzial, um die gesellschaftlichen Entwicklungen zu erklären – ein Potenzial, das die Gesellschaft nutzen sollte.
Konkret: Immer noch hat die Schweiz keine Mutterschafts-Versicherung, das Gleichstellungsbüro wirbt für eine ausgewogenere Arbeitsteilung, Entscheide in der Wirtschaft fällen meist Männer – können die Gender Studies hier etwas bewegen?
Ja, wenn Sie das nicht als direkte Politikberatung sehen sondern als Bereitstellung von Orientierungswissen. Ich gehe davon aus, dass die Frauen- und Geschlechterforschung diese Verhältnisse auch schon verändert hat. Denn ich glaube nicht, dass wir ohne diese Forschung die Defizite so klar erkennen würden.
Forschung im Bereich der Mutterschaftsversicherung, um bei Ihrem Beispiel zu bleiben, zeigt ja ganz deutlich, was sich die Schweiz in diesem Bereich leisten kann und will. Nämlich bisher nichts, eigentlich – aber auch da geht es ja weiter.
Kathrin Boss Brawand
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