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Hilfe für Kinder in Kuba ohne Ideologie

Markus Kuster will Kubas Jugendlichen König Fussball näher bringen. swissinfo.ch

Der Fussball steht im Zentrum eines Jugendprojektes des Schweizerischen Kinderhilfswerks Camaquito in Kuba. Zugpferd ist Ex-Nationalgoalie Jörg Stiel. Swissinfo.ch sprach mit Geschäftsführer Mark Kuster.

Camaquito fördert in Kuba Projekte in den Bereichen Bildung, öffentliche Gesundheit, Sport und Kultur. Die Mitarbeiter vor Ort bringen sich mit ihrer Arbeitsleistung und ihren Ideen in die Projekte ein.

Nur Geschäftsführer Mark Kuster erhält ein Salär, das von einem Verein in der Schweiz finanziert wird. Das Budget von Camaquito stammt aus privaten Spenden und Beiträgen von Firmen und Institutionen.

swissinfo.ch: Das sozialistische Kuba ist in der Schweiz kein Schwerpunkt für Entwicklungshilfe. Welche Folgen hat die Fokussierung auf andere Länder wie Haiti für die Mittelbeschaffung für das Kinderhilfswerk Camaquito?

Mark Kuster: Das humanitäre Interesse für Kuba mag vielleicht kleiner sein. Die Emotionen für dieses Land sind jedoch nach wie vor gross. Ich denke an die vielleicht 30’000 Schweizerinnen und Schweizer, die Kuba jährlich besuchen.

swissinfo.ch: Wie unterscheidet sich die Strategie von Camaquito für die Mittelbeschaffung von anderen Hilfswerken?

M.K.: Unser Slogan heisst: Spenden mit Genuss. Das heisst, wir richten uns an Einzelpersonen und Institutionen, die mit Kuba Genuss, Wohlbefinden und ein sinnliches Lebensgefühl verbinden; Befindlichkeiten, die wir zum Beispiel im Film «Buena Vista Social Club» von Wim Wenders gesehen haben.

swissinfo.ch: Sie engagieren sich in der Provinz Camagüey für ein Fussballprojekt, das auch vom ehemaligen Schweizer Nationaltorhüter Jörg Stiel unterstützt wird. Warum Fussball? Was hat Fussball mit Not- oder Aufbauhilfe zu tun?

M.K.: Fussball ist ein gutes Mittel zur Entwicklung der Kinder und Jugendlichen.

swissinfo.ch: In Sportkreisen ist bekannt, dass in Kuba doch Baseball der Nationalsport ist. Warum unterstützt Camaquito nicht ein Baseball-Projekt?

M.K.: Fussball ist emotional viel attraktiver und in Kuba gross im Kommen.

swissinfo.ch: Es gibt aber kaum Fussball-Stadien.

M.K.: Stimmt. Baseball braucht in Kuba unsere Unterstützung nicht, weil es ausreichend vom kubanischen Staat gefördert wird.

Fussball ist ein sehr intensiver Mannschaftssport, körperlich fordernd und anstrengend; ein Aspekt, der in der kubanischen Sozialarbeit mit Jugendlichen sehr wichtig ist. Viele junge Kubaner langweilen sich in ihrer Freizeit. Fussball ist eine gute Alternative zum Nichtstun.

swissinfo.ch: Camaquito bringt im Juni die kubanische U15-Fussballmannschaft in die Schweiz. Mit Spendengeldern?

M.K.: Die kubanische U15 wird im Juni in Winterthur an einem Turnier der internationalen Nachwuchselite teilnehmen. Das hat es noch nie gegeben. Die Kosten dafür bestreiten wir nicht aus dem ordentlichen Budget von Camaquito, sondern mit Sponsoren, die spezifisch diese U15 unterstützen.

swissinfo.ch: Welche Rolle spielt Ex-Nationaltorhüter Jörg Stiel?

M.K.: Jörg Stiel gibt dem Fussballprojekt Glaubwürdigkeit, Professionalität und Kompetenz. Er war schon mehrere Male in Kuba für Ausbildungslager. Im Mai trainiert Stiel vor Ort kubanische Torhüter.

swissinfo.ch: Viele Projekte von Camaquito kümmern sich um Sozialarbeit in den Quartieren. Warum dieser Fokus?

M.K.: Der kubanische Staat kümmert sich gut um die schulische Ausbildung der Kinder und Jugendlichen. In der ausserschulischen Sozialarbeit dagegen gibt es Defizite. Wir renovieren einerseits Schulen, sorgen aber später auch dafür, dass es dort Tagesstrukturen gibt. Wir versuchen, problematische Jugendliche, zusammen mit lokalen Kulturpromotoren, «abzuholen». Wir zeigen ihnen Möglichkeiten, sich sinnvoll in ihrer Freizeit zu beschäftigen.

swissinfo.ch: Camaquito unterstützt immer mehr Projekte, die mit Kindern kaum mehr etwas zu tun haben, wie zum Beispiel das Kultur- & Kunstcafé in der Stadt Camagüey. Muss Camaquito bald den Namen ändern?

M.K.: Wir haben gemäss unserer Statuten die Projektpalette verbreitert und für unsere kubanischen Partner einen Hauch von Wettbewerb aufgebaut. Sie müssen sich bei uns mit soliden und nachhaltigen Projekte bewerben, sonst fliesst kein Geld.

swissinfo.ch: Sie arbeiten seit fast zehn Jahren mit den kubanischen Behörden zusammen. Ihr Fazit?

M.K.: Camaquito kann sich heute besser Gehör verschaffen, wir haben einen Leistungsausweis. Die Arbeit vor Ort ist strukturierter als am Anfang. Gleichzeitig ist unsere Tätigkeit schwieriger geworden, weil wir mit unseren immer zahlreicheren Projekten die Behörden mit unserem Tempo herausfordern.

swissinfo.ch: Was ist ihre wichtigste Einsicht, die sie in ihrer fast zehnjährigen Tätigkeit als Entwicklungshelfer in Kuba gewonnen haben?

M.K.: Ich bin (noch) gelassener geworden, habe mich dem kubanischen, karibischen Lebens- und Arbeitsrhythmus anpassen müssen.

swissinfo.ch: Plant Camaquito den Tätigkeitsbereich auf andere Städte und Regionen auszubauen?

M.K.: Wir haben Expansionsstrategien überprüft, aber entschieden, dass wir uns auf weiteres auf die Stadt Camagüey und Umgebung beschränken.

swissinfo.ch: Reichen die Mittel nicht aus für eine Expansion?

M.K.: Wir wollen in Camagüey ein grosser Fisch sein. Auf nationaler Ebene wäre Camaquito dagegen nur ein kleiner Fisch.

swissinfo.ch: Was war der schwierigste Moment, den Sie in Kuba erlebt haben?

M.K.: Es ist nicht einfach, in Kuba als Hilfswerk tätig zu sein. Der sozialistische Staat kennt Arbeitsprozesse, die von unseren Vorstellungen abweichen. Es gibt eine andere Lebensart. Wir mussten vor Ort immer wieder klar machen, dass Camaquito eine politisch unabhängige Institution ist.

swissinfo.ch: Ist es nicht widersprüchlich, dass das sozialistische Kuba in den «Herzstücken der Revolution», also Schule, Jugendarbeit und Spitäler, ausländische Hilfe annimmt?

M.K.: Ich glaube nicht, dass ein Widerspruch vorliegt. Selbst bei uns in der reichen Schweiz gibt es zum Beispiel die Berghilfe. Es gibt in jedem Land Randgruppen, Schwache, die wirtschaftliche, soziale und moralische Unterstützung brauchen. Sicher ist, dass Kuba eine höhere Wirtschaftlichkeit erzielen muss als bisher.

Erwin Dettling, swissinfo.ch, Winterthur

Camaquito ist eine politisch und konfessionell unabhängige Kinderhilfsorganisation, die Kinder und Jugendliche in Kuba in den Bereichen Bildung, Sport , Kultur und Gesundheit unterstützt.

Camaquito stützt sich auf Freiwilligenarbeit ab und zahlt keine Löhne. Ein unabhängiger Verein in der Schweiz stellt die Mittel für die Entlöhnung des Projektleiters Mark Kuster bereit, so dass dabei keine Spendengelder von Camaquito für Personalkosten abfliessen.

Camaquito verteilt im Empfängerland kein Geld, sondern arbeitet projektbezogen und in enger Zusammenarbeit mit den kubanischen Behörden.

Wasserprojekt La Yaya:
Die kleine Gemeinde La Yaya in der Provinz Camagüey wird an die Trinkwasserversorgung angeschlossen. Projektsumme: 24’000 Franken

Wiederaufbau-Projekte nach den Wirbelstürmen Ike und Paloma: Die beiden Wirbelstürme richteten 2008 Schäden von 11 Mrd. US-Doller an; auch in Camagüey. Camaquito setzt sich für den Wiederaufbau von Landschulen ein. Projektsumme: 100’000 Franken)

Renovation Kindergarten Ismaelillo, Sibanicú: Durch die Totalsanierung des Kindergartens werden 175 Kinder mit geistigen und körperlichen Schwächen und ihre Lehrkräfte und Betreuer begünstigt. Projektsumme: 73’000 Franken.

Totalrenovation des Notfall-Geburtssaales der Entbindungsklinik Camagüey: Die Entbindungsklinik Ana Betancourt de Mora in Camagüey verfügt über 500 Betten und rund 980 Angestellte. Pro Jahr gibt es rund 7000 Geburten. Die 1942 gebaute Klinik wird totalrenoviert. Projektsumme 46’000 Franken

Café Literario: Der neue von Camaquito unterstützte Ort der Begegnung junger kubanischer Menschen bietet eine Caféteria, eine Galerie für junge Künstler und einen Videosaal. Ein Internet-Café ist in Planung. Im Café Literario gibt es jede Woche Vorlesungen, Konzerte, Film-Debatten und Vorträge. Camaquito begleitet das Projekt. Projektsumme: 16’600 Franken.

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