Homosexuelle: kein Run aufs Standesamt
Im letzten Jahr haben in der Schweiz nur gut 2000 homosexuelle Paare von der neuen Möglichkeit Gebrauch gemacht, ihre Partnerschaft registrieren zu lassen. Besonders zurückhaltend waren die Frauen.
Nur ein Viertel der eingetragenen Partnerschaften entfielen auf lesbische Paare. Zürich machte seinem Ruf als Hochburg der Homosexuellen Ehre: hier registrierten sich 700 gleichgeschlechtliche Paare.
«Man darf nicht vergessen, dass es sich bei der eingetragenen Partnerschaft um einen Zivilstand handelt, der dem Arbeitgeber gemeldet werden muss – wie alle verheirateten Personen», ruft Sylvie Berrut, Westschweizer Sekretärin der Lesbenorganisation LOS, in Erinnerung.
Sowieso schon benachteiligt in der männlichen Arbeitswelt, sähen die Lesben in der eingetragenen Partnerschaft ein zusätzliches Hindernis, sagt Berrut. Für Lesben sei die Regelung von Nachfolge- oder Erbfragen zudem weniger wichtig, zumal Frauen weniger verdienten als Männer.
Manche Lesben drückt der Schuh woanders. «Viele empört es, dass sie als eingetragenes Paar keine Kinder adoptieren dürfen», sagt Barbara Lanthemann, Präsidentin der Walliser Homosexuellen-Vereinigung Alpagai. Das Gesetz, das homo- mit heterosexuellen Paaren gleichstellen sollte, sei mit dieser Diskriminierung ergänzt worden.
Der geringe Enthusiasmus seitens der Lesben reicht indes nicht aus, um die vom Bundesamt für Statistik festgestellte geringe Nachfrage nach eingetragenen Partnerschaften zu erklären.
Durchschnittlich werden pro Jahr 40’000 Hetero-Heiraten registriert. In Studien wird der homosexuelle Bevölkerungsanteil auf 5 bis 10% geschätzt. Die 2003 Partnerschaftseinträge des letzten Jahres zeigen, dass vergleichsweise wenige Homosexuelle diesen Schritt wagen.
«Coming out» unverzichtbar
«Schwule und Lesben haben noch immer rechtlichen Nachholbedarf», sagt Jean-Paul Guisan, Westschweizer Sekretär der Schwulenorganisation Pink Cross. «Man darf aber auch nicht die Zahl der Personen überschätzen, die ihr Coming out hinter sich haben.»
Offen zu seiner Homosexualität zu stehen sei indes ein unverzichtbarer Schritt auf dem Weg zum Standesamt.
Homosexualität habe während Jahrhunderten als Sünde gegolten, und für gewisse Menschen sei dies auch heute noch so. Beleidigende Ausdrücke seien auf den Schulhöfen noch immer geläufig, unterstreicht Guisan.
Junge weniger interessiert
Die junge Homosexuellen-Generation, die eher offen zu ihrer Ausrichtung steht, hat noch kein grosses Interesse an eingetragenen Partnerschaften, wie Beatrice Rancetti, Präsidentin des Schweizerischen Verbandes für Zivilstandswesen, feststellt.
Im Gegensatz zu den Älteren, die noch erheblich diskriminiert worden seien, sähen die Jungen die Vorteile (Pensionskasse, Erbrecht, Besuchsrecht im Spital) einer eingetragenen Partnerschaft noch kaum, erklärt Jean-Paul Guisan.
Die Eintragung einer Partnerschaft bedeute zudem nicht Familienbildung wie bei einer Heirat. Viele junge heterosexuelle Paare entschlössen sich bei der Geburt eines Kindes zum Gang aufs Standesamt.
«Viele homosexuelle Paare fürchten sich auch von der Vorstellung, dass eine Trennung mit einer Scheidung vor Gericht verbunden ist», erklärt Rancetti.
Die eingetragene Partnerschaft ist, wie die Heirat, auch aus Steuergründen nicht unbedingt attraktiv. Er sei gespannt auf die Auswirkungen der Steuerreform, welche die Benachteiligung verheirateter oder eingetragener Paare gegenüber Konkubinatspaaren aufheben soll, sagt Guisan.
«Seriöse» Partnerschaften
Diejenigen, die sich eintragen lassen, «sind meist schon jahrelang zusammen», sagt Pierre Schneider, Zivilstandsbeamter in Vevey im Kanton Waadt. «Wenn ich die Gefühle der männlichen oder weiblichen Paare füreinander sehe, bin ich überzeugt, dass meine Arbeit Sinn macht.»
Seine Kollegin Catherine Bastian bestätigt: «Die Eintragungs-Zeremonien sind oft authentischer als Eheschliessungen.» Sie habe noch nie Zweifel an der Aufrichtigkeit der Liebe gleichgeschlechtlicher Paare gehabt – im Unterschied zu gewissen Eheschliessungen, bei denen sie den Eindruck gehabt habe, es handle sich um Scheinehen.
swissinfo und Fabien Gysel, SDA
Seit dem 1. Januar 2007 können homosexuelle Paare in der Schweiz ihre Partnerschaft auf dem Zivilstandsamt registrieren lassen. Das Schweizer Volk hatte einem entsprechenden Gesetz im Mai 2005 mit einem Ja-Stimmenanteil von 58% zugestimmt.
In den meisten Bereichen stellt das Gesetz die eingetragene Partnerschafte der Ehe gleich. Ausgenommen ist jedoch das Recht, Kinder zu adoptieren oder auf Verfahren der Fortpflanzungsmedizin zurückzugreifen.
Weitere Unterschiede zur Ehe: kein gemeinsamer Name, kein gemeinsames Bürgerrecht und kein Anspruch auf erleichterte Einbürgerung des Partners.
Eingetragene Partnerschaften landesweit: 2003
davon im Kanton Zürich: 702
Kanton Waadt: 235
Kanton Bern: 204
Kanton Genf: 163
Kanton Jura: 15
377 Partnerschaften wurden im Januar 2007 registiert. Danach nahm das Interesse stetig ab. Im Dezember lag die Anzahl bei noch 65.
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