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Integration als Schlüssel der Ausländerpolitik

Simone Prodolliet, EKA-Sekretariatsleiterin und Integrationsspezialistin. swissinfo.ch

Die Ausländer- sprich Migrationspolitik in der Schweiz wird immer mehr vom Begriff der Integration bestimmt.

Zahlreiche Aspekte der Integration betreffen Schweizer genau so wie Ausländer, sagt Simone Prodolliet, Leiterin der Sekretariats der Eidgenössischen Ausländer-Kommission, im Gespräch mit swissinfo.

Die Eidgenössische Ausländerkommission EKA befasst sich seit Jahren intensiv mit Integrationsthemen – lange bevor im letzten März im Parlament über das neue Ausländergesetz (AuG) debattiert wurde.

Solche Themen gehen das ganze Land etwas an. So verweist die Leiterin des EKA-Sekretariats, Simone Prodolliet, unter anderem auf den Umgang der Schulen mit Hochsprache und Selektion, auf die Frage, ob sich die Schweiz als «Einwanderungsland» sehe, auf Infrastrukturen für Familien mit Kindern oder auf Herausforderungen in der Stadtentwicklung.

Vergleicht man beispielsweise die deutsche mit der lateinischen Schweiz, zeigen sich unterschiedliche Sensibilitäten. In der Deutschschweiz ist Sprache im öffentlichen Diskurs ein zentrales Element für Integration, in der Romandie ist dies weit weniger wichtig.

swissinfo: In der Deutschschweiz wird häufig von Deutschdefiziten von ausländischen Kindern gesprochen. Behindert das die Integration?

Simone Prodolliet: Die Sprache ist ein wichtiges Instrument zur Integration. Anderseits darf Integration nicht auf die Sprache reduziert werden. Der Zugang zu Schule, Arbeit, Gesundheitswesen und anderen gesellschaftlichen Bereichen ist mindestens so wichtig wie die Sprache.

Es ist aber tatsächlich schwieriger, sich in der Schweiz Deutschkenntnisse anzueignen, da im Alltag Mundart gesprochen, in der Schule dagegen die Hochsprache verwendet wird. In der lateinischen Schweiz steht dies nicht im Vordergrund, obschon etwa auch im Tessin Dialekt gesprochen wird.

swissinfo: Stimmt denn die Behauptung, dass in der Romandie geschulte jugendliche Ausländer bessere Voraussetzung fürs Berufsleben in ihrer Umgebung haben als Ausländer in der Deutschschweiz?

S. P.: Das dürfte zutreffen, weil die Arbeits- und Alltagssprache dieselbe ist. In der Stadt Basel hat man deshalb begonnen, in den Kindergärten nur noch hochdeutsch zu sprechen. Laut den Kindergärtnerinnen hat man damit gute Erfahrungen gemacht. Nicht nur die ausländischen Eltern seien zufrieden, auch viele Schweizer.

swissinfo: Wie lange wird es noch dauern, bis die öffentliche Meinung in der Schweiz den Umstand akzeptiert, dass dieses Land eigentlich zum Einwanderungsland geworden ist?

S. P.: In der Ausländerpolitik wurde bisher davon ausgegangen, dass die Schweizer bestimmen, wer kommen darf und wer wieder gehen muss. Diese Einstellung wird sich nicht ändern, solange dies auch von offizieller Seite nicht anders kommuniziert wird.

swissinfo: Ist dieses Denken heute noch realistisch?

S. P.: Die Ausländer haben heute einen weniger prekären Status als in den 70er-Jahren, als während dem Ölschock viele wieder gehen mussten. Ich stelle mir vor, dass sich die Schweiz nur für bestimmte ganz spezifische oder hochqualifizierte Berufsgruppen als Einwanderungsland sieht. Dazu besteht auch eine Bereitschaft.

Wegen dem freien Personenverkehr mit der EU hat sich aus den Nachbarländern eine gewisse Einwanderung ergeben. In der Schweiz hat man das Gefühl, das genüge.

swissinfo: Würden Infrastrukturen wie Tagesschulen die Integration erleichtern?

S. P.: Ja, denn wir sehen innerhalb der Schweiz grosse Unterschiede. Das Tessiner Modell gilt als landesweit wegweisend. Dort lernen seit vielen Jahren alle Kinder schon ab dem 3. Lebensjahr den sozialen Umgang mit anderen und kommen frühzeitig mit Schweizer Institutionen in Kontakt.

Es entlastet die Mütter und fördert die soziale Kommunikation. Solche Institutionen sind enorm wichtig für die Integration.

swissinfo: Ein Schwerpunkt der Integrationspolitik wird dieses Jahr auf das «Habitat» gelegt. Was bedeutet dies für die Integration?

S. P.: Über die Wohnformen und die Probleme des Zusammenlebens werden sehr viele Institutionen angesprochen, die sich bisher kaum mit Integration auseinandergesetzt haben. Etwa die Hauswarts-, die Hauseigentümer-Verbände oder die Verbände der Immobilienverwaltungen.

Die Schweiz ist ein Mieterland. Viele Zugewanderte kennen sich da nicht aus und wissen nicht, welche Rechte und Pflichten sie haben. Da gibt es Möglichkeiten der Sensibilisierung für die Zugewanderten, aber auch für Akteure wie Hauseigentümer und Immobilienverwaltungen.

swissinfo: Wie steht es mit der Integration im Arbeitsmarkt?

S. P.: In öffentlichen Institutionen und Verwaltungen beträgt der Anteil der beschäftigten Ausländer nur 5%. Diese Institutionen haben Mühe, sich bei der Mitarbeitendensuche an bestimmte Bevölkerungsschichten zu wenden – nicht nur an ausländische.

Von der EKA her möchten wir anregen, dass über die öffentlichen Verwaltungen hinaus generell auch zivilgesellschaftliche Institutionen wie Vereine, Freizeitclubs oder Jugendverbände ebenfalls Integrationsprozesse in Gang setzen.

Gerade weil die Vereine etwas so Schweizerisches sind, können sie zur Integration der Migrantinnen und Migranten, die im direkten Umfeld leben. Die EKA kann solche Projekte auch finanziell unterstützen.

swissinfo, Alexander Künzle

Die Eidgenössische Ausländerkommission EKA wurde 1970 als Expertenkommission des Bundesrates gegründet.

Sie ist dem Eidg. Justiz- und Polizeidepartement zugeordnet. Ihre 30 Mitglieder sind hälftig Personen mit einem Migrations-Hintergrund und Schweizer.

Die EKA ist eine ausserparlamentarische Kommission, deren Mitglieder vom Bundesrat gewählt sind.

Sie befasst sich mit Fragen, die sich aus dem Zusammenleben der schweizerischen und ausländischen Bevölkerung ergeben.

Sie nimmt Stellung zu aktuellen Migrationsfragen und berät den Bundesrat bei integrationspolitischen Fragen.

Seit 2001 gibt es einen Integrationskredit, mit dem Projekte in verschiedenen Bereichen finanziell unterstützt werden können.

Simone Prodolliet ist seit über 10 Jahren im Bereich der Migrationsarbeit in der Schweiz tätig.
Die Ethnologin war unter anderem fünf Jahre für die Fachstelle Migrationspolitik bei Caritas Schweiz verantwortlich.
2001 wechselte sie in das Sekretariat der Eidg. Ausländerkommission EKA, wo sie sich mit den Grundlagen zur Integration beschäftigt.
Sie publizierte ein Buch «Blickwechsel. Die multikulturelle Schweiz an der Schwelle zum 21. Jahrhundert».
2003 übernahm Prodolliet die Leitung des EKA-Sekretariats, das dem Bundesamt für Migration angegliedert ist.

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