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Ist das Loch im Schlauchboot bald Geschichte?

"Er hat ein knallrotes Gummiboot…" Doch was, wenn plötzlich die Luft draussen ist? plainpicture GmbH

Forscher der Empa sind dem unsinkbaren Schlauchboot einen wesentlichen Schritt näher gekommen. Eine neu entwickelte Doppelschicht kann selbständig und schlagartig Löcher stopfen. Die Vorlage für die Erfindung lieferte wie schon oft die Natur.

Eine lustige Fahrt auf dem See. Und plötzlich war da dieser Baumstamm… Ein Luftverlust in Schlauchbooten, Luftmatratzen oder Schwimmhilfen kann fatale Folgen haben.

Materialexperte Rolf Luchsinger von der Forschungsinstitution für Materialwissenschaften und Technologieentwicklung Empa hatte sich bereits seit einiger Zeit mit aufblasbaren Leichtbau-Strukturen beschäftigt. Diese so genannten «Tensarity»-Balken können beispielsweise als Behelfsbrücken oder -dächer eingesetzt werden.

Dabei stellte sich die Frage, wie verhindert werden kann, dass es durch ein Loch im Luftkissen zum Druckabfall kommt. Die Idee reifte, diese Strukturen resistent gegen solche Verletzungen zu machen. «Könnte eventuell die Biologie oder die Bionik da helfen?», fragte sich der Leiter des Center for Synergetic Structures in Dübendorf.

«Ich bin dann zu Biologen nach Deutschland gereist. Wir haben diskutiert und sind zum Schluss gekommen, dass Pflanzen weitgehend das gleiche Problem haben», sagt er gegenüber swissinfo.ch.

Fündig wurden die Biologen aus Freiburg im Breisgau bei einer Liane, der so genannten Pfeifenwinde, die in nordamerikanischen Bergwäldern lebt. Diese schafft es, Verletzungen ihrer verholzten Aussenhaut mit einer zweiten Schicht von innen rasch zu stopfen. Die Zellen des in der unteren Schicht liegenden Grundgewebes dehnen sich sehr schnell aus und verschliessen so die Wunde. Erst später tritt der eigentliche Heilungsprozess ein.

Über den Tellerrand hinaus

Nach dieser Erkenntnis holte Luchsinger noch Chemiker an Bord, die mit den Biologen der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg die biologischen und chemischen Aspekte der Liane unter die Lupe nahmen.

Den mechanischen Aspekt des Problems schrieb er an der Empa als Doktorarbeit aus. Das war der Zeitpunkt, an dem Markus Rampf ins Boot stieg. Der 29-jährige Material-Ingenieur aus dem bayrischen Wald hat zwar nie selber ein Schlauchboot besessen, war aber in seiner Kindheit und Jugend oft mit Kollegen auf Seen oder Flüssen unterwegs.

«Mich hat diese interdisziplinäre Arbeit interessiert. Über den Tellerrand hinauszublicken, mit Chemikern und Biologen zusammenzuarbeiten», sagt er gegenüber swissinfo.ch.

Das Spannende an seiner Doktorarbeit, die er in diesen Wochen abschliessen wird, sei es gewesen, eine Lösung für ein naheliegendes und verständliches Problem zu finden, «die auch noch elegant ist». «Luftverlust in der Luftmatratze hat wohl jeder schon einmal selber erlebt.»

Mechanisches Prinzip

Trotz der Zusammenarbeit mit Biologen und Chemikern ist das Prinzip der Selbstdichtung rein mechanisch. «Es findet keine chemische Reaktion statt», sagt Rampf. Das Loch in der Membran werde nicht verheilt, sondern lediglich gestopft. «Es wird nur der Luftaustritt verhindert.»

Weil aufblasbare Strukturen immer eine gewölbte Struktur hätten, sei allein durch die Krümmung bereits eine Vorspannung in den unteren Schichten vorhanden, so der Forscher. «Letztendlich funktioniert es ähnlich wie ein Ventil.»

Rampf fügte der Membran aus PVC eine Innenschicht hinzu, ein Zweikomponentenschaum aus Polyurethan und Polyester, der sich bei einer Verletzung schlagartig ausdehnt. So dringt dieser auch in das Loch in der Aussenschicht ein und stopft es. «Es ist eine Reparatur, keine Heilung», betont Rampf.

Überraschende Ergebnisse

Um die Funktionsweise zu testen, baute Rampf eine Vorrichtung, mit der man den Luftstrom messen kann, der aus einem Loch ausritt. Und er erreichte erstaunliche Resultate, allein durch den mechanischen Effekt: Nach der Punktierung beider Schichten konnte er keinen Luftstrom mehr messen, der aus dem Loch ausgetreten wäre.

Wegen der Messgenauigkeit der Maschine aber kann man nicht von einer vollständigen Dichtheit nach der Selbstreparatur reden. Für absolute Dichtheit ist immer noch eine klassische Reparatur nötig.

Im Vergleich zu einer unbeschichteten Membran spricht der Material-Ingenieur aber von einem extrem hohen Reparaturfaktor: «Wenn 0 keine Reparatur ist und 1 ein ganz versiegelter Riss wäre, erreichen wir 0,999.»

«Das war sicher die grosse Überraschung, dass es relativ schnell mit den richtigen Materialien sehr gut funktioniert hat», kommentiert Luchsinger den Forschungserfolg. «Wir erreichten sehr rasch Faktor 0,9 oder 0,95. Aber von da auf diese 0,999 zu kommen, war ein längerer Prozess, an dem Herr Rampf drei Jahre lang arbeitete.»

Als Beispiel für den Erfolg erwähnen die Forscher eine Luftmatratze mit 200 Litern Inhalt, die während der Nacht ein Loch erhält. Um darauf liegenbleiben zu können, müsste man sie alle fünf Minuten wieder aufpumpen. Mit der neuen Reparaturmethode hält sie acht Stunden – genügend Zeit, um durchzuschlafen.

Aus dem Labor auf den Markt

Nun ist die Empa daran, die Spezialbeschichtung auf den Markt zu bringen. «Wir sind aber immer noch im Labor-Massstab», sagt Luchsinger. «Der grosse Schritt wird die Übertragung in ein technisches Produkt sein, und der steht noch aus.»

Der Möglichkeiten wären da viele, angefangen mit Schlauchboot und Luftmatratze, aber auch Schwimmflügel für Kinder. «Letzthin hat mich jemand auf aufblasbare Partyzelte angesprochen», sagt Rampf. «Da könnte man sich das auch vorstellen.»

Auch für den Forscher steht nun der Schritt aus dem Labor an. Sein Doktorats-Vertrag mit der Empa ist abgelaufen. Er hat nun einen ähnlichen Kurs eingeschlagen wie seine Forschungsergebnisse: «Ich würde gerne mein Wissen in der Privatwirtschaft einbringen.»

Offiziell als Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt bekannt, verfügt die Empa über Forschungsstätten in St. Gallen und Dübendorf, Kanton Zürich.

Die Empa ist Teil des Bereichs der Eidgenössischen Technischen Hochschulen (ETH), zu dem auch das Paul Scherrer Institut, die Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL sowie das Wasserforschungsinstitut Eawag gehören.

Laut eigenen Angaben orientieren sich die Forschungs- und Entwicklungs-Aktivitäten der Empa «an den Anforderungen der Industrie und den Bedürfnissen der Gesellschaft und verbinden anwendungsorientierte Forschung und praktische Umsetzung, Wissenschaft und Industrie sowie Wissenschaft und Gesellschaft».

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