Italienisches Nabelschnurblut fliesst ins Tessin
In Italien ist die private Einlagerung von so genanntem Nabelschnurblut verboten. Viele italienische Mütter weichen daher in die Schweiz aus.
Die Schweizer Stammzellenbank SSCB in Lugano profitiert vom Trend mit der «biologischen Lebensversicherung» und macht Millionengeschäfte. Mit Stammzellen hofft man, eventuell auftretende Krankheiten später heilen zu können.
«Ich dachte, dass es die beste Investition für meine Tochter sei», erklärte die Journalistin Caterina Ruggeri (38) kürzlich im italienischen Wochenmagazin Panorama. Gemeint war der Entscheid der Italienerin, nach der Geburt ihrer mittlerweile zweijährigen Tochter Angelica das Nabelschnurblut in der Stammzellenbank SSCB von Lugano einzulagern.
Mit ihren Aussagen macht sich Ruggeri im südlichen Nachbarland zur Werbeträgerin der privaten Firma Swiss Stem Cells Bank (SSCB) in Lugano, die Mitte 2005 ihren Betrieb aufnahm. Ruggeri gehörte zu den ersten Kunden.
Viele Italienerinnen eifern ihrem Beispiel inzwischen nach. Von den knapp 4000 eingelagerten und bei minus 190 Grad eingefrorenen Spenden an Nabelschnurblut stammen gemäss SSCB-Direktor Luciano Gilardoni zirka 2500 aus Italien. Und täglich kommen mehr hinzu.
In Italien verboten
Der Drang italienischer Frauen und Paare, Nabelschnurblut ihrer Kinder in der Schweiz zu deponieren, hat einen einfachen Grund: In Italien ist das «Private banking» – die Einlagerung von autologem Nabelschnurblut – verboten.
Dies hat damit zu tun, dass es 16 öffentliche Nabelschnur-Blutbanken gibt. Eltern von Neugeborenen werden aufgefordert, Spenden an diese öffentlichen Banken zu leisten. Das «Private banking» hingegen gilt als eigennützig.
Zudem gehen die Meinungen in der Wissenschaft über den Nutzen der «Eigenkonservierung» auseinander. Wie nützlich ist dies? Fraglos haben die im Nabelschnurblut enthaltenen Stammzellen ein enormes Potential. Denn es sind Zellen, die sich noch nicht in einer spezifischen und endgültigen Funktion differenziert haben, zum Beispiel als Haut- oder Leberzellen.
Privates «Ersatzteillager»
Daher werden diese für Transplantationen verwendet. Sie können beispielsweise Blutkrankheiten wie Blutkrebs oder genetische Krankheiten kurieren. Im Regelfall wird allerdings auf die öffentlichen Nabelschnurbanken zurückgegriffen. Die erfolgreiche Verwendung von eigenem Nabelschnurblut ist nur in ganz wenigen Fällen dokumentiert.
Gleichwohl sind viele Eltern überzeugt, mit dem Einlagern von Nabelschnurblut ihren Kindern sozusagen ein privates Ersatzteillager zu hinterlassen. Gianni Soldati, wissenschaftlicher Leiter der SSCB, sagt: «Die klinischen Fortschritte in diesem Bereich sind gewaltig.»
Bereits würden Herzkrankheiten, namentlich Herzinfarkte, mit Stammzellen therapiert. Beim Einsatz von autologem Nabelschnurblut werde sich zudem nie die Frage nach der Verträglichkeit stellen. Diese Haltung vertritt auch die deutsche «Privatbank» Vita34 aus Leipzig.
Boomendes Geschäft
Sicher ist: Das Schweizer Stammzellenzentrum in Lugano boomt. Und es braucht, dank seiner italienischen Kunden, gar nicht viel Reklame zu machen. «Das spricht sich schnell herum», sagt Gilardino.
Das Tessiner Unternehmen macht aber auch aktive Werbung, indem es in Kliniken und bei Ärzten Broschüren auflegt. Darin werden Interessenten auf das Angebot hingewiesen, über das sie sich via kostenlose Info-Nummern informieren können.
Jeden Tag werden per Kurier ein Dutzend Päckchen verschickt, welche die Instrumente für die Entnahme von Nabelschnurblut nach der Geburt enthalten, aber auch «bürokratisches Material». Denn die Italiener brauchen für den Export des Nabelschnurbluts eine Bewilligung ihres Gesundheitsministeriums.
Für die SSCB ist das grosse Interesse an ihrer Dienstleistung jedenfalls ein gutes Geschäft. Die Einlagerung von Nabelschnurblut kostet für die Dauer von 20 Jahren genau 2900 Franken (plus Mehrwertsteuer). Mit den bisher eingefrorenen Spenden erzielte das SSCB in zwei Jahren folglich einen Umsatz von rund 12 Mio. Franken.
Neue Konkurrenz
Seit kurzem hat die SSCB allerdings Konkurrenz. Vor einigen Monaten nahm die Pro Crea Stem Cells SA in Lugano ihren Betrieb auf. Sie gehört zum gleichnamigen Fertilitätszentrum für kinderlose Paare im Parco Maraini von Lugano. Zudem bietet seit April 2007 in San Marino das Bioscience Institute die Einlagerung von autologem Nabelschnurblut an. Die kleine Republik San Marino untersteht nicht den italienischen Gesetzen.
Bei der Swiss Stem Cells Bank in Lugano gibt man sich ob dieser neuen Konkurrenz aus San Marino allerdings gelassen. «Das Vertrauen in das Schweizer Gesundheitssystem ist gewaltig», meint Gianni Soldati. Er ist überzeugt, dass auch im Falle einer allgemeinen Zulassung von privaten Stammzellenbanken in Italien weiterhin viele Italienerinnen das Nabelschnurblut in die Schweiz schicken würden.
swissinfo, Gerhard Lob in Locarno
Die Swiss Stem Cells Bank SA in Lugano ist die grösste private Nabelschnurblut-Bank der Schweiz.
Sie lagert das Blut seit 2005 in ihrem Cardiocentro. Seit wenigen Monaten baut auch die Pro Crea in Lugano eine private Nabelschnurblut-Bank auf.
Aktiv in der Schweiz ist zudem die amerikanische Cryo-Cell mit Sitz in Pfäffikon (SZ), welche das Nabelschnurblut jedoch in Mannheim (Deutschland) lagert.
Zudem wirbt die private deutsche Firma Vita34 mit Sitz in Leipzig aktiv um Schweizer Kunden.
Blut aus der Nabelschnur ist reich an Stammzellen, welche Blutzellen bilden und ersetzen können. Die Transplantation dieser Stammzellen kann eine Knochenmarktransplantation ersetzen, beispielsweise bei Kindern mit Blutkrebs (Leukämie).
Das in flüssigem Stickstoff eingefrorene Nabelschnurblut (NSB) kann Jahrzehnte konserviert werden. Der medizinische Nutzen privater NSB-Spenden zum Eigenbedarf ist bis heute umstritten.
Als Spezialfall gibt es gerichtete Spenden. Das Nabelschnurblut wird dann direkt einem erkrankten Familienmitglied zur Transplantation gegeben, beispielsweise einem durch Leukämie erkranktem Geschwister.
In der Schweiz gibt es in Basel und Genf öffentliche Nabelschnurblutbanken. Dort wird Nabelschnurblut anonym eingelagert. Die Stammzellen sind für alle Patientinnen und Patienten zugänglich, welches diese benötigen.
Daneben gibt es private Nabelschnurblutbanken. Diese lagern das Nabelschnurblut gesunder Neugeborener auf Wunsch der Eltern ein. Die Stammzellen stehen dann immer ihrem eigenen Kind zur Verfügung. Diese Dienstleistung des «Private Banking» kostet.
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