Jeanne Hersch im Alter von 89 Jahren verstorben
Die Genfer Philosophin Jeanne Hersch ist in der Nacht von Sonntag auf Montag (05.06.) gestorben, wie die philosophische Fakultät der Universität Genf mitteilte. Sie wäre im Juli 90 geworden.
Die vom deutschen Philosphen Karl Jaspers stark beeinflusste Denkerin hatte mit ihren dezidierten Stellungnahmen zu politischen Fragen der Zeit immer wieder für Aufsehen und Widerspruch gesorgt. Mit Stellungnahmen für Landesverteidigung und Kernenergie und gegen Drogenfreigabe erwarb sie sich den Ruf der «Rechtslastigkeit».
Hersch engagierte sich aber auch direkt in der Politik: in ihrer Arbeit bei der Unesco und als politische Beraterin und Delegierte, etwa beim Kulturforum der KSZE 1985. Daneben wurde sie durch ihre Essaysammlungen wie «Die Unfähigkeit, Freiheit zu ertragen» und «Die Hoffnung, Mensch zu sein» weiteren Kreisen bekannt.
Bildung als Grundlage der Freiheit
Jeanne Hersch wurde am 13. Juli 1910 in Genf geboren. Ihre Eltern waren osteuropäische Intellektuelle jüdischer Abstammung. Schon als Kind erkannte sie, dass Bildung unabdingbar ist, um «den Menschen die für ihre Freiheit notwendige Entwicklung zu sichern». Möglichst Viele sollten ihr höchstes Niveau als Menschen erreichen, autete fortan ihre Devise.
Jeanne Hersch studierte deutsche Literatur, hörte Karl Jaspers in Heidelberg und Martin Heidegger in Freiburg und arbeitete nach dem Abschluss zunächst als Gymnasiallehrerin. 1956 bis 1977 war sie Professorin für systematische Philosophie an der Universität Genf.
1966-68 leitete sie die Abteilung für Philosophie der Unesco in Paris und vertrat danach die Schweiz im Unesco-Exekutivrat. Sie erhielt zahlreicheAuszeichnungen, so 1973 den Preis der Stiftung für Freiheit und Menschenrechte, 1979 den Montaigne-Preis, 1985 den Preis Max Petitpierre, 1992 den Karl-Jaspers-Preis, 1993 den Ehrendoktor der Universität Oldenburg und 1998 den Ehrendoktor der Universität Lausanne.
Philosophie akademisch und praktisch
«Jaspers-Schülerin», wie sie immer wieder bezeichnet wird, war Hersch streng genommen nicht, da sie nur zwei Semester (1932/33) bei dem deutschen Existenzphilosophen studiert hat. Ihre «Gefolgschaft» gründete vielmehr auf einer genuinen Verwandtschaft ihres Denkens mit dem von Karl Jaspers.
Ihre Essays und Vorträge wurden in Buchform Bestseller. Darin hat sie immer wieder das grosse Problem der existenziellen Freiheit und Selbstentfaltung der Gefährdung durch politische und gesellschaftliche Entwicklungen gegenübergestellt.
Kaum ein Thema blieb unbeachtet Kaum ein Thema – von der Euthanasie bis zum Schwangerschaftsabbruch, von den Menschenrechten bis zu Europa, von bildender Kunst bis zur Kopp-Affäre – blieb von ihr unbeachtet. «Einen Lichtstrahl in den Brunnen hinabsenden», hat sie ihren aufklärerischen Impetus einmal umschrieben.
Eigenwillig wie ihre Philosophie und ihr Sprachstil war auch ihre politische Stellung. 1939 trat sie der Sozialdemokratischen Partei bei, die sie als «Schule des demokratischen Denkens» betrachtete. «Es gibt keine Wahrheit, ausser ich engagiere mich dafür», sagte sie einmal, und definierte ihre Positionen stets aus der Philosophie heraus und nicht «parteikonform».
swissinfo und Agenturen
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