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Jeder fünfte Schweizer ist Ausländer

Die Schweizer Bevölkerung wird immer multikutureller - die Integration wird immer wichtiger. Keystone

Die 1,5 Mio. Ausländer und Ausländerinnen, die in der Schweiz leben, wollen das Schicksal des Landes aktiv mitgestalten.

Das Forum für die Integration der Migrantinnen und Migranten stellte an einer nationalen Versammlung am Samstag seine Charta für die Integration in Politik und Zivilgesellschaft vor.

«Man spricht viel von den Migrantinnen und Migranten, aber nicht viel mit ihnen», erklärt Claudio Micheloni, Generalsekretär des Forums für die Integration der Migrantinnen und Migranten (FIMM) im Vorfeld der Tagung. «Wir haben genug davon, nur Diskussionsobjekt zu sein. Wir wollen zeigen, dass wir auch Menschen sind, die sich ausdrücken können, mit denen man sprechen kann.»

Der Rahmen ist gegeben: Die Versammlung wird nicht nur eine etwas breiter angelegte Generalversammlung des FIMM, das seit November 2000 Dachverband der verschiedenen MigrantInnen-Verbände ist und in dem rund fünfzig Nationalitäten vertreten sind.

Für die Organisatoren ist es eine Gelegenheit, bekannt zu werden, einen Dialog zu führen und zu zeigen, dass die Ausländerinnen und Ausländer (von denen ein Viertel in der Schweiz geboren ist) nicht nur ein «Anhängsel» der Schweiz oder einfach Arbeitskräfte sind, sondern auch ein Teil der Gesellschaft.

«Es gibt eineinhalb Millionen von uns. Wir werden sicher da bleiben, unsere Kinder auch», stellt FIMM-Präsident Antonio Cunha fest. «Wir sind also ein aktiver Teil dieser Gesellschaft und ihrer Zukunft.»

Führende Köpfe

Aussenministerin Micheline Calmy-Rey nahm an der Versammlung in Olten teil. Ihr Kollege, Justiz- und Polizeiminister Christoph Blocher, war verhindert. Er liess sich durch den Vizedirektor des Bundesamtes für Migration (BFM), Mario Gattiker, vertreten.

Auch andere führende Köpfe aus der Politik hatten ihre Teilnahme angemeldet, so Doris Leuthard, Präsidentin der Christlichdemokratischen Volkspartei, Pierre-Yves Maillard, Vizepräsident der Sozialdemokratischen Partei und Aliki Panayides, stellvertretende Generalsekretärin der (rechtsbürgerlichen) Schweizerischen Volkspartei.

Und nicht zu vergessen Parlaments- und Regierungsmitglieder sowie hohe Beamte und Beamtinnen der Kantone, Kirchenmänner, Abgeordnete von NGO und Gewerkschaften wie auch eine grosse Gruppe ausländischer Diplomatinnen und Diplomaten in der Schweiz.

Eine Charta für die Integration

Im Zentrum der Diskussionen an der Vollversammlung und in thematischen Workshops steht die Integrations-Charta, ein provisorisches, vierseitiges Dokument, das aus mehrmonatigen Diskussionen hervorgegangen ist und die Werte festhält, auf die man sich innerhalb des FIMM einigen konnte.

«Es geht nicht um einen Katalog von Forderungen,» erklärt Cunha, «es geht vielmehr um die Prinzipien, die unseren Aktivitäten zugrunde liegen sollen und über die wir diskutieren wollen: Recht auf Grundeigentum, Stimm-, Wahl- und Wählbarkeitsrecht, Gleichberechtigung am Arbeitsplatz und bei der Ausbildung, soziale Rechte.»

In Religionsfragen spricht sich die Charta für ein «tolerantes Laientum» sowie die Aufnahme des interkulturellen Dialogs im Privatleben wie in der Öffentlichkeit aus. «So erstaunlich es scheinen mag, es war sehr einfach, zu einer Einigung zu kommen», versichert der FIMM-Präsident.

Die Charta hält weiter «die Vorrangstellung der Menschenrechte über ethnische und religiöse Partikularinteressen» fest. Sie verteidigt «die vollständige Gleichberechtigung» aller Menschen, ungeachtet ihrer Zugehörigkeit und ihres Ursprungs.

Helvetischer Kompromiss

In Bezug auf die kulturelle Zusammenarbeit will das FIMM mit dem guten Beispiel vorangehen. So bringen die italienischen, spanischen und portugiesischen Migranten ihre soziale Erfahrung zugunsten der neuen Nationalitäten und Ethnien ein, die erst seit kurzem in der Schweiz sind.

Und im Sinne eines gut schweizerischen Kompromisses sind diese neuen Migrantinnen und Migranten im Forum übervertreten, damit ihre besonderen Schwierigkeiten besser begreifbar werden.

So «werden ihre Probleme – wie zum Beispiel Rassismus gegen die Schwarzen, der im Herbst insbesondere mit der Genfer Polizei beraten werden soll – zu Themen für das FIMM als Ganzes und nicht nur für eine jeweilige Minderheit unter den Migranten», betont Armando Okito, der Vizepräsident des Forums.

Keine Eile

Knapp vier Jahre nach seiner Gründung kann das FIMM bereits einige Fortschritte verzeichnen. So gehört es heute zu den Organisationen, die mitreden können, wenn ein Gesetzesentwurf in die Vernehmlassung geht. Und seit sechs Monaten arbeitet es mit der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) zusammen.

«Bund, Kantone und Gemeinden haben bereits seit zwanzig Jahren Institutionen, die sich für die Integration einsetzen. Wir haben also Verbündete in der Politik, bei den Behörden, den Gewerkschaften, den Kirchen und den NGO», so Cunha.

Dazu nennt er die Pionierarbeit der EDK, die seit zwölf Jahren die Einschulung aller ausländischen Kinder zum Prinzip hat, ungeachtet des rechtlichen Status ihrer Eltern. Auch wenn sie illegal hier sind.

Der Realität ins Auge schauen

Natürlich sind die jüngsten Entwicklungen wie die doppelte Ablehnung der erleichterten Einbürgerung durch die Stimmbürger oder die Verschärfung des Ausländerrechts durch das Parlament für das FIMM betrüblich.

«Ich glaube nicht, dass man an der Zukunft dieses Landes bauen kann, indem man eine Realität verleugnet», glaubt Cunha. «Es wird eine immer stärkere Vermischung innerhalb Europas geben. Auch die Schweiz kann sich dem nicht entziehen. In dieser Beziehung muss man realistisch sein.»

Der Präsident des FIMM bleibt aber ruhig. «Wir haben keine Eile. Wir sind da, um an der Diskussion teilzunehmen, die zu einer Veränderung der Mentalität führen soll, und um Ängste und gewisse Trugbilder zu bekämpfen.»

swissinfo, Marc-André Miserez
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)

Schweizer Wohnbevölkerung 2004
Insgesamt: 7,42 Mio. Menschen
Ansässige Ausländer: 1,5 Mio. (20,2%)
Davon aus EU-25: 0,869 Mio.
Davon aus EU-15: 0,847 Mio.
Niedergelassene: 1,089 Mio.
Aufenthalter: 0,385 Mio.

Herkunft der ausländischen Bevölkerung der Schweiz 2003, Personen pro Land, gerundet:
312’000 Italien
214’000 Serbien und Montenegro
165’000 Portugal
151’000 Deutschland
120’000 andere europäische Länder
109’000 Asien
82’000 Türkei
79’000 Spanien
72’000 Frankreich
65’000 Afrika
61’000 Mazedonien
60’000 Amerika (Nord und Süd)
51’000 Bosnien
43’000 Kroatien
35’000 Österreich
3000 Australien/Ozeanien
3000 staatenlos oder unbekannte Nationalität

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