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Kaum im Land, und schon ein Kalb gerissen

Bären fressen meist Pflanzen und Früchte, verschmähen aber auch Fleisch nicht. Keystone

Gerade erst in die Schweiz eingewandert, hat der Braunbär schon ein Kalb gerissen. Dessen Kadaver wurde am Samstag im Ofenpass-Gebiet gefunden.

Noch nimmt’s der Viehbesitzer gelassen. Die «Ko-Habitation» von Bauern und Hirten mit Meister Petz wird nicht problemlos sein.

Der in die Schweiz eingewanderte Braunbär hat wenige Tage nach seiner Ankunft im Bündnerland ein Kalb gerissen. Jäger fanden den angefressenen Kadaver am Samstagmorgen in der Nähe des Ofenpasses, wie der zuständige Wildhüter Medienberichte bestätigte.

Der Kadaver des sieben Tage alten Kalbes wurde oberhalb von Tschierv im Münstertal (GR) auf einer Alp entdeckt, wie Wildhüter Jon Gross am Sonntag sagte. Gross fotografierte den Kadaver. Der Bär hatte dem Tier Prankenhiebe auf den Kopf und auf den Rücken verpasst und es auf den Rücken gelegt.

Oberschenkel und Eingeweide gefressen

Er frass danach den rechten Oberschenkel des Kalbes und auch dessen Eingeweide. Die Spuren am Kadaver hätten sofort auf einen Bären hingedeutet, sagte Gross, der von den Jägern zum Fundort gerufen wurde. Eine genauere Obduktion bestätigte später diesen Anfangsverdacht.

Bevor Gross nun über allfällige Abschreckungsmassnahmen nachdenkt, will er beobachten, wie der Bär sich verhält und was er tut. Befinde sich ein Bär in der Nähe, müsse man mit Rissen rechnen. Auch in Italien hätten Bären einzelne Schafe getötet.

Anderseits erinnerte der Wildhüter daran, dass sich Bären zu 80% vegetarisch ernähren. Im Fall des nun getöteten Kalbes habe sich wohl die Mutterkuh zu weit entfernt, worauf der Bär die Gelegenheit genutzt habe.

Bauer Fadri Conrad, dem das Kalb gehört hatte, nimmts jedoch laut dem «SonntagsBlick» gelassen. Man habe damit rechnen müssen. Er habe eher daran gedacht, dass sich der Bär ein Schaf packe.

Doch nicht alle Bauern reagieren so gelassen wie Conrad.

Verhaltens-Faltblatt im Münstertal

Zur Information von Bevölkerung und Touristen wird derzeit im Münstertal ein Faltblatt verteilt, auf dem die wichtigsten Verhaltensregeln im Falle einer Begegnung mit dem Bären aufgelistet sind.

Besonders wichtig ist es laut Gross, dass sich Wanderer dem Bären durch Geräusche bemerkbar machen. Im Normalfall suche er dann von sich aus das Weite. Weder darf der Bär gefüttert noch dürfen essbare Abfälle liegen gelassen werden.

Dies würde dazu führen, dass er sich an die Menschen gewöhnt und dann eventuell in der Nähe der Dörfer auftaucht.

Der erste Bär in der Schweiz seit rund 100 Jahren war am vergangenen 25. Juli erstmals in der Nähe des Nationalparkes gesehen worden.

Von der Ofenpass-Strasse aus gesehen

Am vergangenen Donnerstag gelang es dann einem Praktikanten des Nationalparkes, den Bären zu fotografieren und damit den Beweis dessen Ankunft in der Schweiz zu erbringen.

Seither konnte der Bär an mehreren Stellen beobachtet werden. Wildhüter Gross und mit ihm rund hundert Schaulustige sahen in am Samstagabend bei Tschierv von der Ofenpassstrasse aus.

DNA-Analysen von auf Schweizer Boden gefundenen Haaren und Speichel des Einwanderers sollen laut Gross nun zeigen, ob noch andere bekannte Risse auf das Konto des Schweizer Braunbären gehen und welche Wanderungen das Raubtier bisher zurücklegte.

Gummischrot als Abschreckung stehe derzeit nicht zur Diskussion. Dieses Mittel könnte allenfalls eingesetzt werden, falls der Bär allzu zutraulich werde und in die Gemeinden und Dörfer herunterkomme.

«Bär-Konzept» beim Bundesamt schon in Vorbereitung

Den Bauern soll wegen der Rückkehr des Raubtiers kein Schaden entstehen. Sollte der Braunbär weitere Tiere reissen, werden die Viezüchter von Bund und Kantonen vollumfänglich entschädigt.

Laut Angaben des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) ist ein Konzept in Vorbereitung. Entsprechende Regelungen gelten für Wolf und Luchs, die schon seit mehreren Jahren wieder in Graubünden heimisch sind.

swissinfo und Agenturen

Bundesrat Moritz Leuenberger, der sich zur Zeit in Graubünden in den Ferien aufhält, findet die Rückkehr des Bären in die Schweiz als «positiv für die Biodiversität».

Auch Pro Natura und der WWF freuen sich über die Rückkehr.

Für Joanna Schönenberger vom WWF wirkt sich die Anwesenheit des grossen Raubtiers «nützlich für den Menschen» aus.

Denn es gebe zu viel Rotwild und Wildschweine, die Schäden anrichten, zum Beispiel indem sie junge Triebe von Bäumen fressen.

Der Braunbär ist wahrscheinlich von der italienischen Region Trentino in den Schweizer Nationalpark eingedrungen.
Das Trentino befindet sich rund 50 km von der Schweizer Grenze entfernt.
Dort leben rund ein Dutzend Braunbären.
In ganz Europa wird ihre Anzahl auf 50’000 geschätzt. 25 Bären leben in Österreich.

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