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Keine Entwicklung ohne Ingenieure

Ingenieure sind vielerorts gefragt, auch auf der Baustelle des Gotthard-Basistunnels bei Sedrun. Keystone

Im Sog der günstigen internationalen Konjunktur wächst auch die Schweizer Wirtschaft. Viele Unternehmen bauen ihre Kapazitäten aus und schaffen neue Arbeitsplätze. Es fehlt aber an Ingenieuren.

Technologiekonzerne und KMU suchen Ingenieure global, finden sie nicht in Europa, sondern in Indien, China und anderswo.

«ABB Schweiz kann 100 Positionen für Ingenieure nicht besetzen», berichtete Renato Merz, der Personalchef von ABB Schweiz, an einer Informations- und Rekrutierungstagung von Swiss Engineering (STZ) und dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI).

«Wir stellen Ingenieure auf temporärer Basis an», führte Merz aus. In der Schweiz fehlten schätzungsweise mehr als 5’000 Ingenieure.

In Deutschland sind die Verhältnisse noch prekärer: «Es fehlen vielleicht 100’000 Ingenieure im Land», erklärte VDI-Direktor Willi Fuchs an der Veranstaltung im Kongresshaus in Zürich.

Traditionelle Entwicklungs-Standorte unter Druck

Die globale Nachfrage nach Entwicklungsleistungen steigt von heute 800 Mrd. US-Dollar pro Jahr auf 1100 Mrd. im Jahre 2020. Die IT-, Software- und Telekommunikations-Branchen dominieren diesen Trend.

An traditionellen Entwicklungsstandorten wie der Schweiz und Deutschland verschärft sich der Mangel an Ingenieuren. Dieser Trend führt zu einer rasanten Abwanderung von hoch qualifizierten Entwicklungsleistungen in Schwellenländer und hin zu den aufstrebenden Märkten von Indien und China.

Transnationale Technologiefirmen suchen hoch qualifizierte Ingenieure immer häufiger auf neuen Wachstumsmärkten in Asien und in Lateinamerika. Durch Offshoring fliessen bereits jetzt Entwicklungsleistungen von rund 1,5 Mrd. US-Dollar pro Jahr nach Indien.

Was ins Offshoring geht, bleibt im Offshoring

Durch das Offshoring verschwindet in den Industrieländern ein Teil der wissensintensiven Wertschöpfung. «Auf diesem Hintergrund besteht die Gefahr, dass der Mangel an Ingenieuren bei uns die Grundlagenforschung beeinträchtigt, Innovationen nicht mehr umgesetzt werden, interessante Produkte nicht mehr zur Marktreife gelangen und keine zusätzlichen Arbeitsplätze entstehen», so Willi Fuchs vom VDI.

Die Experten in Zürich waren sich darüber einig, dass die grosse Nachfrage nach Ingenieuren Bedrohung und Chance zugleich ist.

Die beiden Fachverbände sehen einen Nachholbedarf, das Image und das Berufsbild des Ingenieurs aufzuwerten. «Wir suchen interdisziplinär geschulte, systemisch denkende Ingenieure, die auf der Suche nach der besten Lösung auch emotionale Prozesse in ihre Arbeitstechnik mit einbeziehen», fasste ABB-Personalchef Merz das Anforderungsprofil des künftigen Ingenieurs zusammen.

Willi Fuchs vom VDI forderte, bei der Nachwuchsförderung müssten Politik, Schulen, Universitäten und Wirtschaft enger zusammenarbeiten. Das Technologie-Verständnis sollte an den Schulen intensiver gefördert und Frauen für die Welt der Technik und der neuen Technologien gewonnen werden, so Fuchs weiter.

Höhere Löhne – mehr Ingenieure?

Ingenieure sind im Vergleich zu anderen akademischen Berufen wie Anwälte oder Ärzte weniger gut bezahlt. Kann der Mangel an Ingenieuren durch höhere Löhne wettgemacht werden? Die Experten winken ab. «Der Ingenieur muss wirtschaftlich denken. Es nützt ihm nichts, wenn er kurzfristig mehr verdient, aber sein Unternehmen dadurch die Konkurrenzfähigkeit verliert», meinte Fuchs.

ABB-Personalchef Merz ist überzeugt, dass mit der Einführung eines Bonus-Systems für Ingenieure neue Anreize geschaffen werden könnten, besonders kreative Lösungen zu belohnen. Zudem müssten die Unternehmen neue Anreize für die berufsbegleitende Weiterbildung schaffen.

Laut den Fachleuten erfordert die zunehmende Mobilität von Ingenieuren und Technikern in Europa eine bessere Validität von Zeugnissen und Titeln, ohne Einbussen in der Qualität bei der Ausbildung in Kauf zu nehmen. Die Rede war von einer so genannten «Ingenieurkarte».

Hohe Regelungsdichte, wenig Klarheit

Die hohe Regelungsdichte hat die einheitliche Anerkennung von Ausbildungstiteln bisher verhindert. Die linke Hand scheint oft der rechten nicht zu vertrauen. Das gilt auch für die Schweiz.

Vielleicht schafft das Bologna-System ab 2008 mehr Klarheit und Durchblick. Ein Beispiel: In der Schweiz braucht es für Masterstudiengänge an Fachhochschulen eine Bewilligung des Bundes. Für Universitäten und die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) bedarf es keiner bundesrechtlichen Bewilligung.

Andreas Hugi, Generalsekretär von Swiss Engineering: «Diese Einschränkung zeugt nicht von einem grossen Vertrauen des Bundes in die Fachhochschulen.»

swissinfo, Erwin Dettling, Zürich

In der Schweiz fehlen rund 5000 Ingenieure.

Allein die ABB Schweiz kann 100 Positionen für Ingenieure nicht besetzen.

In Deutschland fehlen etwa 100’000 Ingenieure.

1999 vereinbarten 29 europäische Staaten an einer Konferenz in Bologna die Schaffung des «Hochschulraumes Europa», der 15 Millionen Studenten umfasst.

Der Erklärung von Bologna gehören mittlerweile 45 Staaten an. Der europäische Hochschulraum reicht von Lissabon bis Wladiwostok.

Ab 2010 sollen im gemeinsamen europäischen Hochschulraum Studienleistungen und -abschlüsse international vergleichbar sein.

Die schweizerischen Fachhochschulen stellten bereits im Herbst 2005 auf das Bologna-System um, indem sie Bachelor-Lehrgänge einführten.

Die Master-Lehrgänge sollen bis 2008 folgen.

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