Keine Uni-Gebühren «nach Leistungsprinzip»
Semestergebühren, die je nach Leistung tiefer oder höher sind: Diese Idee des Wirtschaftsdachverbands sorgt an den Universitäten für Kopfschütteln. Und die Studierenden würden lieber endlich über Stipendien diskutieren.
«Für uns ist dieser Vorschlag nicht einmal eine mögliche Diskussionsbasis», sagt Benoît Gaillard, Co-Präsident des Verbands der Studentenverbindungen der Universität Lausanne. «Das ist nur eine Provokation, wie sie Economiesuisse von Zeit zu Zeit lanciert.»
Eine Kurzumfrage des universitären TV-Senders Uniflash an der Universität Freiburg bestätigte die Position des Studentenverbands: Uni-Gebühren nach Leistung seien ungerecht. Falls diese unterschiedlich ausfallen sollten, dann eher je nach Einkommen der Eltern.
Und die Studierenden sind mit ihrer Haltung nicht allein. Daniel Schönmann, Generalsekretär der Uni Freiburg, sieht in der Idee des Wirtschaftsdachverbandes «den blinden Glauben in ein System von Prämien», einen Mechanismus, der ausserdem «nicht einmal in der Privatwirtschaft wirklich funktioniert».
Die Rektorenkonferenz der Schweizer Universitäten haben sich noch nicht zum Vorschlag geäussert. Doch gemessen an dem, was er bisher gehört habe, meint Schönmann, «dass der Vorschlag niemanden beeindruckt hat».
Umso mehr, als der Anstieg der Einnahmen für die Universitäten praktisch bedeutungslos wäre. Weniger als 10% der Einnahmen der Universität Freiburg stammen aus den Semestergebühren.
Benoît Gaillard ist sogar überzeugt, dass der Effekt eines Anstiegs der Einnahmen durch die Anzahl Studierenden, die sich die Uni nicht mehr leisten können, hinfällig würde.
Wissen dient allen
In der Logik des Wirtschaftsverbands würden die gut ausgebildeten Studierenden einen guten Job ergattern und als erste vom Studium profitieren, das teilweise von der Allgemeinheit finanziert werde. Deshalb sei es gerecht, dass sie aus dem eigenen Sack etwas ans Studium bezahlten.
Ein Argument, das Benoît Gaillard in Rage versetzt. Für ihn ist das Bildungsniveau ein soziales, nicht ein individuelles Gut. «Eine gut ausgebildete Person wird vielleicht eines Tages eine Firma gründen, die Arbeitsplätze für andere Leute schafft.»
«Das durchschnittliche Bildungsniveau korreliert sehr stark mit dem Wohlstands- und Produktionsniveau sowie mit der Wohlfahrt», sagt der Studentenführer. Die Hochschulen müssten deshalb dazu beitragen, dass sich «das Wissen erhöht, das der Gesellschaft zur Verfügung steht», anstatt Marktprinzipien einzuführen.
«Wir wollen keine ökonomische Selektion der Studierenden», bestätigt Daniel Schönmann von der Uni Freiburg. «Die Leistungsfähigsten sollen studieren können, nicht die Reichsten.»
Ausserdem würde das von Economiesuisse vorgeschlagene System wieder jene belohnen, die ihren Abschluss schon haben. «Das ist eine Entschädigung im Nachhinein», bedauert Gaillard. Man täte besser daran, sich über ein Stipendienwesen Gedanken zu machen, das auch jene Studenten unterstütze, die sich nicht vollzeitlich dem Studium widmen könnten, sondern daneben noch für den Gelderwerb arbeiten müssten.
Der Preis für das Ausgezeichnete
Motivations-Stipendien sind nicht unbedingt das, was die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) in Zürich soeben angekündigt hat. Gestützt auf das Modell der ETH Lausanne schlägt sie vor, denjenigen Studierenden das Masterjahr zu finanzieren, die ihre Fähigkeiten bereits beim Bachelor unter Beweis gestellt haben.
Rund 40 solcher Stipendien sollen auf diese Art jedes Jahr gewährt werden und zwar in Höhe von bis zu 21’000 Franken. Das entspricht den Lebenshaltungskosten während eines Jahres in der Stadt Zürich.
«Man präsentiert uns diese Idee als eine aussergewöhnliche Neuigkeit», kommentiert Benoît Gaillard. «Aber es ist nichts anderes als ein Angebot für Einzelne, sich vollzeitlich dem Studium widmen zu können. Ein Beweis dafür, dass das geltende Stipendiensystem es einem werktätigen Studenten nicht ermöglicht, eine ausgezeichnete Leistung zu erbringen.»
Die Zahlen zeigen sogar, dass es auch für eine durchschnittliche Leistung nicht ausreicht. Im nationalen Durchschnitt beträgt ein Stipendium 500 Franken pro Monat, allerdings mit grossen Unterschieden in den Kantonen. Einige Kantone ziehen es vor, das Geld zu leihen anstatt zu vergeben, so dass ein junger Uni-Absolvent seine Erwerbstätigkeit mit einigen zehntausend Franken Schulden beginnen muss.
Ein Schlüsselgesetz zur Hand
«Wir haben ein Problem mit dem Stipendienwesen», bestätigt Daniel Schönmann. Er bedauert, dass der Zugang zur Universität immer noch zu sehr vom ökonomischen Hintergrund der Studierenden abhängt.
Im letzten Jahr haben die Studenten entschieden, den Stier bei den Hörnern zu packen. Der nationale Studentenverband hat einen pfannenfertigen Gesetzesentwurf erarbeitet, der die 26 kantonalen Reglemente endlich vereinheitlichen würde. Das Stipendienwesen ist nämlich immer noch Sache der Kantone.
Für das Projekt haben sich allerdings nur die linken Parteien interessiert. Während der Kampagne für die Parlamentswahlen waren die andern Parteien zu sehr damit beschäftigt, ihrer traditionellen Wählerschaft zu gefallen.
Heute versuchen die Studierenden die kantonalen Bildungsminister zu überzeugen, ihren Entwurf im Rahmen des Konkordats in Betracht zu ziehen, um wenigstens eine gemeinsame Grundnorm zu erlangen – oder mit andern Worten: Der Weg ist noch lang.
swissinfo, Marc-Andrée Miserez
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub und Peter Siegenthaler)
In der Schweiz hat rund ein Viertel der Bevölkerung ein Hochschuldiplom, prozentual etwa gleich viele wie in Frankreich und mehr als in Deutschland oder Österreich (ca. 20%). Höher ist der Anteil in Ländern wie Kanada, den USA, Skandinavien oder Südkorea (30 – 50%).
Die Gebühren an Schweizer Unis sind mit 1000 bis 2000 Franken pro Jahr tief (Uni Tessin: 4000 Fr.). In Japan, Korea oder den USA betragen sie zwischen 5000 und 10’000 Franken.
Trotzdem bleiben Schweizer Studierende im Schnitt «arm». Anrecht auf ein Stipendium oder ein zinsloses Darlehen hat, wenn die Eltern nicht genug verdienen.
Einer von sechs Studenten erhält etwas mehr als 6000 Fr. pro Jahr, ein seit 1993 unveränderter Betrag. Weil pro Monat 1500 Fr. zum Leben gebraucht werden, arbeiten etwa 80% der Studierenden nebenbei.
Laut Zahlen der OECD 2005 ist die Schweiz geizig bei der Vergabe von Stipendien. Sie machen knapp 3% des gesamten Bildungsbudgets aus, zehnmal weniger als in Dänemark, fünfmal weniger als in Österreich, Italien und Deutschland und dreimal weniger als in Frankreich.
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