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KI bei Anstellungen und Entlassungen: Nützliches Tool oder Gefahr?

Ein Personalverantwortlicher schüttelt einem Bewerber am Schreibtisch die Hand
Keystone / Westend61 / Bartek Szewczyk

Künstliche Intelligenz (KI) verändert nicht nur, wie wir arbeiten. Sie beeinflusst auch, wer die Arbeit verrichtet, und redet mit bei Rekrutierungen, Beförderungen oder Entlassungen. Das hat Befürchtungen geweckt, dass selbstlernende Maschinen zunehmend die Karrierewege diktieren.

Unternehmen, Personalvermittlungen aber auch Arbeitsuchende experimentieren zunehmend mit Künstlicher Intelligenz (KI). Die Algorithmen können Stellenbeschreibungen verfassen und Bewerbungsunterlagen filtern, um die besten Kandidierenden zu finden.

Sie können auch dabei helfen, Schulungsprogramme zu erstellen, indem sie ermitteln, wo Angestellte möglicherweise Defizite bei ihren Fähigkeiten haben.

KI kann auch bei der Stellensuche helfen, indem die Tools Lebensläufe oder Anschreiben verfassen. Manche Apps bereiten Kandidierende darauf vor, bei Vorstellungsgesprächen und Ferntests die richtigen Antworten zu geben.

Wachsendes Bewusstsein

Gleichzeitig wächst das Bewusstsein dafür, dass KI nicht immer eine Hilfe ist – und nicht selten auch Probleme schafft. So hat laut der Financial TimesExterner Link selbst der KI-Gigant Anthropic aus dem Silicon Valley Bewerber:innen aufgefordert, den Einsatz der Technologie beim Erstellen ihrer Bewerbungsdossiers einzuschränken.

Denn im Mittelpunkt jeder Arbeitsbeziehung stehen letztlich die Menschen, die miteinander in Kontakt treten und ihre eigene Intuition nutzen müssen, wenn sie Entscheide treffen.

«Der Kampf von Maschine gegen Maschine trägt nicht dazu bei, die Probleme des Arbeitskräfte- und Fachkräftemangels zu lösen», sagt Liana Melchenko, Vorstandsmitglied der ISACA Foundation, die 2020 gegründet wurde, um die Diversität in der Tech-Branche zu fördern, gegenüber SWI swissinfo.ch.

«Die Arbeitgeber:innen erkennen das langsam», so Melchenko. «Sie achten verstärkt auf kreatives Denken, komplexe Problemlösungen, Lernfähigkeit und emotionale Intelligenz. Die wertvollsten Qualitäten eines Bewerbers, einer Bewerberin sind die, die sie menschlich machen.»

KI hat unangenehme Fragen mit sich gebracht: über die Vertraulichkeit persönlicher Daten und inwiefern Maschinen in der Lage sind, Mitarbeitende mit Würde und Empathie zu behandeln.

Grundlegender Wandel der Arbeit

Es gibt Beispiele von schlecht programmierten KI-Systemen, die Diskriminierung reproduzieren. So hat Amazon 2018Externer Link ein Rekrutierungstool wieder abgesetzt, nachdem es Frauen ungleich behandelt hatte.

+ Wie KI die Berufswahl junger Menschen beeinflusst

Bedenken geweckt hat auch der Einsatz von KI, um Emotionen von Menschen anhand von Videomaterial zu beurteilen – weil die Maschinen damit in sensible persönliche Bereiche vordringen.

Strengere Regulierung gefordert

Auf der ganzen Welt debattieren Politiker:innen darüber, wie man mit den Auswirkungen von KI auf die Rekrutierung und Überwachung von Mitarbeitenden umgehen soll – auch in der Schweiz.

«KI verändert die Arbeitswelt grundlegend», sagt Daniel Hügli, Vorstandsmitglied und Leiter des Sektors ICT bei der Gewerkschaft Syndicom.

«Eine strengere Regulierung ist unabdingbar, um die Rechte der Arbeitnehmenden zu schützen und ihnen ein Mitspracherecht bei der Einführung von KI-Systemen zu garantieren.»

Im Februar forderte SyndicomExterner Link, dass die Schweiz die Vorschriften der Europäischen Union für den Einsatz von KI am Arbeitsplatz übernimmt.

Dazu gehören Datenschutzmassnahmen, die vollständige Offenlegung davon, wann und wie KI eingesetzt wird, und ein Verbot von Systemen, welche die Emotionen von Menschen analysieren.

Unternehmen führen KI ein

Die Schweiz geht ihren eigenen, bedächtigen Weg in Richtung KI-Regulierung. Sie hat die Konvention des Europarats über Künstliche Intelligenz und Menschenrechte, Demokratie und Rechtstaatlichkeit unterzeichnetExterner Link.

Es wird jedoch noch mindestens zwei Jahre dauern, bis die Schweizer Gesetze entsprechend angepasst sind.

Ein im Februar veröffentlichter BerichtExterner Link des Bundesamts für Kommunikation (Bakom) weist darauf hin, dass Schweizer Unternehmen, die im EU-Raum tätig sind, automatisch den strengen Vorschriften des KI-Gesetzes der EUExterner Link unterliegen, das im Juni 2024 verabschiedet worden ist.

+ Könnte Chinas Umgang mit KI ein Vorbild für die Schweiz sein?

Vorsichtiger Einsatz

Die KI-Tools beginnen allerdings gerade erst, sich in der Schweizer Arbeitswelt bemerkbar zu machen. Eine Umfrage von SWI swissinfo.ch unter Schweizer Unternehmen, darunter die Migros, Novartis, die Swisscom und Nestlé, ergab, dass die Firmen die Technologie nur schrittweise und mit Bedacht einsetzen.

Migros zum Beispiel, die grösste Detailhändlerin der Schweiz, hat einen Chatbot auf Whatsapp entwickelt, mit dem Schulabgänger:innen Fragen zu Lehrstellen stellen können, um mehr über die Lehrstellenangebote bei der Migros zu erfahren. Bei der Auswahl der Bewerber:innen spiele das Tool aber laut der Migros keine Rolle.

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Vorteile erkennen

«Unsere Rekrutierungsphilosophie besteht darin, dem menschlichen Element im Einstellungsprozess Priorität einzuräumen», so ein Sprecher von Nestlé. «Wenn wir KI-Programme einsetzen, folgen wir einem strengen Prozess, um sicherzustellen, dass sie für den Zweck geeignet sind.»

Im Allgemeinen gehen die Unternehmen also auf Nummer sicher. Gleichzeitig sind sie sich bewusst, dass KI effizienzsteigernd sein kann, wenn sie verantwortungsbewusst eingesetzt wird.

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Der Schweizer Personalvermittler Adecco etwa hat vor kurzem den Einsatz einer KI-gestützten Rekrutierungssoftware des amerikanischen Technologieunternehmens Bullhorn verdoppelt.

KI-Software im Rekrutierungsprozess kann auch in grossen Datenmengen rasch Muster erkennen, die sich dem menschlichen Auge entziehen. Die Systeme können die Punkte dann miteinander verbinden und in einem wechselseitigen «Gespräch» mit ihren menschlichen Betreuenden Verbesserungen vorschlagen.

Unternehmen und Arbeitnehmende sollten die Vorteile gut trainierter Algorithmen nutzen, sagt Ghislaine Couvreur, die bis Mai 2022 Vorsitzende der inzwischen aufgelösten Schweizer KI-Plattform Vima Link war.

Maschinen sollten den Menschen dienen

Vima Link war darauf spezialisiert, Persönlichkeitsmerkmale und Soft Skills zu identifizieren, vor allem im Einstellungsprozess. Das Unternehmen scheiterte aufgrund von Management-Problemen und ging 2023 Konkurs.

+ KI-Risiken: In der Schweiz stehen Angestellte schlechter da als in der EU

Couvreur räumt ein, dass die vollständige Einhaltung der EU-Regeln, einschliesslich des neuen KI-Gesetzes, das im August 2025 in Kraft treten wird, eine zusätzliche Herausforderung für die Plattform dargestellt hätte.

Sie ist jedoch nach wie vor überzeugt, dass die Technologie Vorteile bieten kann, wenn sie sorgfältig aufgebaut ist und genügend Kontrollmechanismen unterliegt. Vima Link etwa hatte einen Ethikrat ins Leben gerufen, der die Risiken abmildern soll und angemessene Leitlinien vorgibt.

«KI-Systeme funktionieren nur, wenn sie den Menschen dienen und ihre Erfahrungen verbessern», sagt Couvreur gegenüber SWI swissinfo.ch. «Auf diese Weise können sie den Mitarbeiter:innen helfen, besser zu verstehen, wie sie arbeiten und wie sie von anderen wahrgenommen werden.»

Doch es wird eine Herausforderung bleiben für die KI-Entwickler:innen, die Arbeitnehmenden davon zu überzeugen, dass solche Systeme objektiv sind.

Editiert von Gabe Bullard/sb, Übertragung aus dem Englischen: Meret Michel

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