Kinderrechte: Schweiz kann mehr tun
Kinder sind verletzlich und die Gesellschaft muss ihre Interessen ernst nehmen. Dies ist die zentrale Botschaft des internationalen Kindertags.
Nichtregierungs-Organisationen wollen den Bund am 20. November auf die 1997 gemachten Versprechen gegenüber Kindern aufmerksam machen.
Am Freitag haben über 4000 Kinder bereits den Ton angegeben für den Tag der Kinderrechte vom 20. November. Schon zum achten Mal haben sie in der ganzen Schweiz im Rahmen der Aktion «Strassenkind – für einen Tag» kleinere Arbeiten verrichtet.
Sie putzten Schuhe, reinigten Windschutzscheiben, verkauften Blumen und Zeitungen. Damit demonstrierten sie ihre Solidarität mit Millionen von weniger privilegierten Kindern, die sich auf der Strasse durchschlagen müssen, um zu überleben.
Das Geld, welches die Kinder für ihre Dienste einnehmen, kommt jenen rund 10’000 Kindern zu Gute, die im Rahmen des Projekts «Strassenkinder» der Stiftung Terre des Hommes betreut werden. Derartige Projekte laufen in neun Ländern. 2004 kamen auf diese Weise rund 230’000 Franken zusammen.
Terre des Hommes war ausserdem auch verantwortlich für das Rahmenprogramm: Zusammen mit Zirkusschulen hatte sie Strassenkünstler, Jongleure und Akrobaten organisiert, die in verschiedenen Schweizer Städten auf den Kinderrechtstag aufmerksam machten.
Schlechte Schülerin
Diesen Sonntag feiert die UNO-Konvention für die Rechte des Kindes ihren 16. Geburtstag. Die Schweiz hat diese 1997 ratifiziert. Seither muss sie der UNO alle fünf Jahre einen Bericht abliefern, der die Fortschritte in diesem Bereich festhält. 2007 ist der nächste fällig.
Doch die Schweiz sei keine gute Schülerin, meint der Walliser Jean Zermatten, Anwalt und Mitglied des UNO-Ausschusses für die Rechte des Kindes. Diese internationale Konvention solle Minderjährige in Rechtsfragen Erwachsenen gleichstellen und nicht als «kleine Erwachsene» behandeln.
Das sei in der Schweiz noch nicht der Fall, sagt er gegenüber swissinfo. Ausserdem «gibt es zu wenig Kinderkrippen. Und die Schweiz ist eines der wenigen Länder, die kein Ministerium für Kinder oder Familien haben». Daneben seien grosse Unterschiede bei den Kinderzulagen zwischen den Kantonen festzustellen.
Netzwerk wird aktiv
Das Schweizer Netzwerk für Kinderrechte, dem 40 Nichtregierungs-Organisationen (NGO) angehören, hat dieses Jahr nun in einem Zwischenbericht eine Auslegeordnung gemacht, um das Thema im Vorfeld des nächsten Berichts an die UNO vorwärts zu treiben.
«Es ist Zeit, den Bund an seine Versprechen zu erinnern», sagt Muriel Langenberger, Mitglied des Netzwerks und Verantwortliche für die Programme von Terre des Hommes. «Vor allem an das Versprechen, einen Aktionsplan für die Rechte des Kindes auszuarbeiten, welche die eigentliche Basis der Konvention darstellen.»
Rahmengesetz gefordert
«Wir beginnen damit, dass wir vom Bund die Ausarbeitung eines Rahmengesetzes verlangen, um auf nationaler Ebene zu reglementieren und zusammenzufassen, was derzeit ein wenig überall in der Bundesverwaltung und den Kantonen für die Kinderrechte gemacht wird», betont Langenberger.
Anschliessend schlägt das Netzwerk einen Katalog mit zehn Prioritäten vor, um besonders die Diskriminierung zu bekämpfen, beispielsweise im Bereich der internationalen Adoption und des Asylwesens.
«Wir haben 1000 unbegleitete Kinder, die pro Jahr in die Schweiz einreisen. Viele sind ohne Papiere, zurückgewiesen und mit unsicherer Zukunft. Sie sind daher Freiwild für unzählige Ausbeutungen.»
Gesundheit, Gewalt, Armut
Einige Forderungen betreffen auch die Gesundheit: Unterernährung und Fettleibigkeit, Alkohol und Drogen oder Suizid-Prävention (Suizid ist nach den Unfällen die zweithäufigste Todesursache).
«Ausserdem verlangen wir Studien betreffend Gewalt und sexuellen Missbrauch», erklärt Langenberger. «Laut einem Bericht aus dem Jahre 1999 ist eines von fünf Mädchen und einer von zehn Knaben davon betroffen. Doch es scheint, dass die Realität noch schlimmer ist. Daher müssen wir mehr darüber wissen.»
Gegenwärtig ist das Bundesamt für Gesundheit (BAG) daran, ein nationales Zentrum für Gewaltprävention auf die Füsse zu stellen. Ein erster Schritt, sagt Langenberger.
Ein weiteres Problem ist die Armut. «Nicht alles ist Gold, was glänzt, auch in unserem Schlaraffenland nicht: 230’000 Kinder müssen in der Schweiz unter dem Existenzminimum leben, häufig sind es Kinder von Alleinerziehenden.»
Massnahmenkatalog
Der Zwischenbericht für Kinderrechte wurde dem Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) übereicht, dem Ansprechpartner des Netzwerks. Er beinhaltet einen Massnahmenkatalog, der nächstes Jahr der Landesregierung unterbreitet werden soll, damit sie diesen in ihrem Bericht an die UNO im Jahr 2007 berücksichtigen kann.
Es wird jedoch noch immer nicht der Aktionsplan sein, den sich das Netzwerk wünscht, denn die Regierung hat bereits angekündigt, die Zeit bis 2007 sei zu kurz, um noch grosse Änderungen vorzunehmen.
swissinfo, Isabelle Eichenberger
(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
Über 4000 Kinder haben am Freitag in der ganzen Schweiz den Kinderrechtstag angekündigt, indem sie auf Initiative von Terre des Hommes in den Strassen gearbeitet haben.
Ausser Somalia und den USA haben alle Länder der Welt die UNO-Konvention für die Rechte des Kindes ratifiziert.
Sie ist seit dem 20. November 1989 in Kraft. Dieser Tag gilt seither als Tag der Kinderrechte.
Die Schweiz hat die Konvention 1997 ratifiziert.
Alle 5 Jahre muss sie der UNO einen Bericht über die erreichten Fortschritte einreichen. Der erste war 2002 abgegeben worden, der zweite ist 2007 fällig.
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