Kleine Glücksmomente beim Warten auf den Tod
Alltag im Altersheim und in einer Kinderkrippe – unter einem Dach. Der Film "Que sera?" von Dieter Fahrer zeigt, wie es in der Welt der Alten und der Kinder zu und her geht.
Ein sensibles Werk über kleine Menschen, die das Leben noch vor sich haben, und über alte, denen nur noch das Warten auf den Tod bleibt.
«Die Alten haben sehr viel Zeit. Der Tag ist lang. Sie warten auf das Mittagessen, warten auf den Tee, warten auf den Abend, warten auf Besuch, warten letztendlich auf den Tod», sagt der Schweizer Regisseur und Kameramann Dieter Fahrer, der am Filmfestival «Visions du réel» in Nyon seinen Film «Que sera?» im internationalen Wettbewerb zeigt.
Über ein halbes Jahr lang hat Fahrer den Alltag im Berner «Domicil für Senioren Schönegg» mit seiner Kamera eingefangen. Der oft trostlose Alltag alter Menschen wird uns in unspektakulärer Art und Weise vor Augen geführt.
Wir lernen Frau Suter kennen, die in ihrem schrillen Baslerdialekt die Leute oft vor den Kopf stösst, oder Frau Baumann, die uns sagt, dass auch im Alter der Wunsch nach Liebe bleibe, aber man lernen müsse, zu verzichten. Wir begegnen dem fragil wirkenden Herrn Zürcher, der lieber nicht wissen will, was auf ihn zukommt und Frau Fischer, die gute Seele des Hauses, die sich um alle kümmert und im Film ihren 90. Geburtstag feiert.
Wir sind dabei, als Frau Mischler in hohem Alter langsam stirbt. Und wir treffen Frau Bloch, die schweren Herzens in das frei gewordene Zimmer der Verstorbenen einzieht und keinen Kontakt zu den anderen Insassen findet.
Zwei Welten
«Am tiefsten berührt war ich immer da, wo ich das Gefühl hatte, es wäre noch etwas möglich. Es machte mich traurig zu sehen, wie wenig in der Realität dieser alten Menschen noch möglich war.»
Um einiges fröhlicher geht es im oberen Stock des Altersheims zu und her, wo die Kinderkrippe «MixMax» untergebracht ist. Da wird gespielt und getobt, gesungen und gebastelt, gestritten und geweint.
In diesem Generationen-übergreifenden Projekt, das in dieser Form in der Schweiz einmalig ist, kommt es nur beschränkt zu Kontakten zwischen Alt und Jung. Zwar basteln und backen Kinder und Altersheim-Insassen ab und zu zusammen, für die meisten alten Menschen aber ist die Kinderwelt in weite Ferne gerückt.
«Was machen diese Kinder da?» schreit Frau Suter zu Beginn des Films empört und versteht die Welt nicht mehr.
Für den Berner Filmautor ist das Projekt in der Schönegg trotzdem ein kleiner Anfang: «Es gibt wunderschöne Momente zwischen den kleinen und den alten Menschen, aber es sind eben nur Momente. Sie ändern nichts an der Situation, dass alte Menschen ausgegrenzt werden. Wir haben uns von der Grossfamilie verabschiedet, aber nichts Neues geschaffen.»
Für ein würdiges Altern
«Wir sind heute am Punkt angelangt, wo wir sagen müssen: Hoppla! Unsere Gesellschaft ist ‹überaltert›. Es ist offensichtlich, dass es so nicht mehr weiter gehen kann», so Fahrer.
«Que sera?» greift ein hochbrisantes Thema unserer Zeit auf. Wir müssen uns mit Krankheit, Leiden, Einsamkeit, Isolation, Langeweile, Schwermut, Verzicht, Vergänglichkeit und Tod auseinandersetzen.
Fahrers Werk ist, trotz einigen lustigen und fröhlichen Episoden, ein trauriger Film, der nachdenklich stimmt und ein ohnmächtiges Gefühl hinterlässt. Ein Film, der für Würde gegenüber Menschen wirbt, die in unserer Hochleistungs-Gesellschaft unsichtbar geworden sind.
Typischer Film für Nyon
Für Jean Perret, seit 10 Jahren Direktor von «Visions du réel», ist «Que sera?» ein typischer Film für das Filmfestival von Nyon. «Er erzählt eine echte Geschichte mit starken Figuren, ist nuanciert und beschönigt das Leben der alten Menschen nicht. Stattdessen zeigt er, wie schmerzhaft es sein kann, alt zu sein, die Schönheit zu verlieren und keine Kontakte mehr zu haben.»
Laut Perret erfasst Dieter Fahrer die Situation der alten Menschen mit viel Respekt und Sensibilität. Wichtig sei die Ethik des Blickes. «Que sera? ist ein Film, der weh tut.»
swissinfo, Gaby Ochsenbein
Die 10. Ausgabe von «Visions du reel» zeigt 120 Filme aus 32 Ländern.
19 Filme stehen im internationalen Wettbewerb, darunter zwei Schweizer Produktionen: «Que sera?» von Dieter Fahrer und «Namibia Crossings – Spiritis and Limits» von Peter Liechti.
Im Sommer 2002 hielt die Kindertagesstätte «MixMax» Einzug im Berner «Domicil für Senioren Schönegg».
Es ist das bisher einzige Projekt dieser Art in der Schweiz.
Dieter Fahrer hat von November 2002 bis Juli 2003 in der Schönegg gefilmt und 90 Stunden Material zusammengetragen.
Dieter Fahrer ist 1958 in Bern geboren.
Seine bisherigen Filme: «Aus heiterem Himmel» (1991) und «Jour de nuit», den er im Jahr 2000 in Nyon zeigte und dafür den Berner Filmpreis erhielt.
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