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Klima und Gletscher im grössten Labor der Welt

Svalbard: Raus aus der Universität - Rein ins Freilandlaboratorium swissinfo.ch

Am 78. nördlichen Breitengrad befindet sich eines der grössten Zentren für Arktis- und Klimaforschung. Ein Schweizer Doktorand, der die Kälte nicht fürchtet, führt uns durch die Universität von Spitzbergen.

Auf der norwegischen Inselgruppe sind die Folgen der mutmasslichen Klimaveränderung sichtbar. Das Meereis ist nicht mehr so dick wie auch schon und die Winter nicht mehr so streng wie früher.

Von aussen gleicht die Forschungseinrichtung einem Raumschiff, dessen Wände sich dem eisigen Polarwind entgegenstemmen. Doch die Universität von Spitzbergen (UNIS) ist sicherlich nicht wegen ihrer Architektur von Interesse, sondern wegen ihrer Lage und ihrer Forschung. Sie gehört zu den wichtigsten Institutionen für Polar- und Klimaforschung auf der Welt.

Am Eingang treffen wir Sébastien Barrault, einen Forscher aus dem Wallis, der nach Spitzbergen gekommen ist, um seine Recherchen zur Thermik des Meereises voranzutreiben. Zusammen mit anderen Studenten und Professoren begrüsst er uns …. barfuss. «Dies ist eine Tradition von Spitzbergen, die auf die Zeit der ersten Mineure zurück geht: Die Schuhe müssen draussen bleiben.»

365 Tage im Jahr gefroren

Die 1993 eröffnete UNIS wird jedes Jahr von 300 Studenten besucht. Sie kommen aus ganz Europa nach Longyearbyen, dem Hauptort der Inselgruppe (Archipel).

«Dieser Ort ist unglaublich. Direkt vor der Tür der Uni befindet sich das grösste Labor der Welt», schwärmt Barrault. Auch Doug Benn, Professor für Glaziologie, unterstreicht den einzigartigen Charakter des skandinavischen Athenäums: «Ich weiss nicht, ob unsere Universität die beste in ihrem Fach ist, aber sicherlich liegen wir am nördlichsten. Das erlaubt uns, die Gletscher 365 Tage im Jahr zu erforschen.»

Für Barrault ist zudem die ständige Präsenz von internationalen Fachleuten in den Bereichen Klimatologie, Glaziologie und Meteorologie von entscheidender Bedeutung: «Es ist eine Plattform zum Kennenlernen von Experten und für den Wissensaustausch.»

Regen statt Schnee

Der Klimawandel ist in Spitzbergen ein dominierendes Thema. Dies erstaunt nicht. Denn in diesen Breiten, in direkter Nähe zum Polarkreis, werden die möglichen Folgen der Erderwärmung deutlich spürbar.

«Es reicht, den Fjord vor Longyearbyen zu beobachten: Seit zwei Jahren ist er nicht mehr komplett zugefroren», sagt Barrault, der einzige Schweizer Forscher auf dem Archipel. «Ist es eine Folge des Klimawandels oder nur ein Zufall?» fragt er und verweist darauf, dass es diese Situation schon zwei Mal in den letzten 80 Jahren gegeben habe.

Vorsicht bei der Interpretation der Phänomene ist angebracht. An der UNIS will man keinesfalls voreilige Schlüsse ziehen. «Wir haben keine Gewissheit, dass wir mit den direkten Folgen eines Klimawandels zu tun haben», sagt Universitäts-Direktor Gunnar Sand.

«Viele Indizien sprechen für die These des Klimawandels», fährt er fort und schaut aus dem Fenster. Ein leichter Regen breitet sich über der Insel aus. Dies ist ungewöhnlich für den Monat März, in dem normalerweise die Temperatur weit unter Null liegt.

In Spitzbergen hat man 2006 im Übrigen den weltweit grössten Temperaturanstieg gemessen. Er betrug fünf Grad.

Kritischen Geist beibehalten

In den Gängen der Uni treffen wir Anne Hormes. Die deutsche Glaziologin ist soeben in Spitzbergen eingetroffen. Zuvor hat sie sich für eine Weile in Skandinavien und vier Jahre an der Universität Bern aufgehalten.

«Ich konnte auch in der Schweiz feststellen, dass die Gletscher, vor allem die grossen, sehr langsam auf Veränderungen reagieren, vielleicht nach 30 oder 40 Jahren. Man muss also sehr vorsichtig sein, wenn man die Gletscher als Indikatoren des Klimawandels heranzieht», sagt Hormes.

«Als Forscher müssen wir Daten liefern und dabei immer einen kritischen Geist bewahren», betont die Deutsche. Einzig die hohen Konzentrationen von CO2 in der Luft sei bisher ein erwiesenermassen atypisches Phänomen.

Aus ihrem Wunsch, eines Tages in die Schweiz zurückzukehren, macht sie keinen Hehl. «Zumindest bevor alle Schweizer Gletscher geschmolzen sind», meint sie ironisch.

Kein CO2 bis 2025

In Spitzbergen werden nicht nur Eis, Schnee und Klima untersucht. Man will die Zukunft mitgestalten. Selbst wenn man ganz im Norden ist, will man als Beispiel für die ganze Welt dienen. «Wir wollen die erste CO2-freie Region der Welt sein», sagt der UNIS-Direktor.

Diesem Ziel liegt die Idee zugrunde, auf Diesel und Benzin zu verzichten und nur noch Wasserstoff zu verwenden. Dieser sollte der einzige Treibstoff für Motorschlitten, Autos und Busse (insgesamt 4000 bis 5000 Fahrzeuge) werden. Und dies bis 2025.

Für die mit Kohle betriebenen Kraftwerke ist geplant, innovative Filter einzusetzen, den Kohlenwasserstoff abzusondern und in der Erde einzulagern. «Diese Schritte sind bei uns keine ökologische Notwendigkeit. Wir wollen einfach allen Ländern beweisen, dass dies möglich ist», meint Gunnar Sand.

swissinfo, Luigi Jorio, Spitzbergen
(Übersetzung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Der Archipel Spitzbergen ist rund eineinhalb Mal so gross wie die Schweiz (60’000 km2). Hier leben rund 2500 Personen, die meisten in der Hauptstadt Longyearbyen auf der Insel Spitzbergen, deren Name mittlerweile für die ganze Inselgruppe steht.

Spitzbergen war früher vor allem ein Stützpunkt für den Walfang (17. und 18.Jahrhundert). Später wurde es zu einem Ausgangspunkt für Arktis-Expeditionen.

Die wichtigsten Wirtschaftszweige sind der Abbau von Kohle, Fischfang, Jagd und Tourismus. Vor Ort sind auch viele Polarforscher unterschiedlicher Nationalitäten: Norweger, Russen, Polen, Deutsche, Franzosen, Italiener und US-Amerikaner.

Gemäss neuesten Forschungsergebnissen könnte das arktische Eis bis 2050 verschwinden.

Ende 2005 hat sich das Polareis auf eine Fläche von 5,5 Mio. Quadratkilometer reduziert. Anfang der 1990er-Jahre waren es noch 8 Mio. km2.

Die Erderwärmung hat für die arktischen Regionen nicht nur negative Auswirkungen (Ansteigen des Meeresspiegels, Veränderung der Meeresströmungen, ökologischer Einfluss auf einige Tierarten), sondern vermutlich auch positive. Neue Landwirtschaftsflächen entstehen (Grönland), der Zugang zu bisher nicht zugänglichen Rohstoffen wird erleichtert und es eröffnen sich neue Meeresstrassen im Norden.

Um die Eigenschaften der Pole und die Auswirkungen aufs Klima zu untersuchen, wurde der Zeitraum 2007-2009 zum Internationalen Polarjahr erklärt.

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