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Klimawandel: Kommt die Lösung aus dem All?

CERN-Forscher benutzen diese Zielscheibe für ihre Arbeit. Cern

Forscher der europäischen Organisation für die Kernforschung (CERN) in Genf untersuchen, wie die kosmische Strahlung die Umwelt beeinflussen kann.

Mit einem wegbereitenden Experiment soll herausgefunden werden, wie die Sonne und kosmische Strahlen die Entwicklung von tiefliegenden Wolken und damit möglicherweise den Klimawandel beeinflussen.

Vor über zwei Jahrhunderten bemerkte der britische königliche Astronom William Herschel einen Zusammenhang zwischen den Sonnenflecken – ein Indikator für Sonnenaktivität – und dem Weizenpreis in England. Wenn wenige Flecken beobachtet wurden, stiegen die Preise.

Doch bis vor kurzem gab es wenige Anhaltspunkte, um diese These zu stützen. Heute wird in einem bescheiden aussehenden Gebäude am CERN in Genf – einige würden es sogar als Bruchbude bezeichnen – das Projekt Cloud (Cosmics Leaving Outdoor Droplets) durchgeführt. Es soll dabei helfen, zu verstehen, wie die Sonne das Klima beeinflusst.

Vor einem Jahrzehnt haben dänische Wissenschafter erstmals angedeutet, dass kosmische Strahlen, verursacht durch explodierende Sterne (Supernovas), die Bildung von tiefliegenden Wolken anregen können.

Die Theorie ist, dass die Bildung von Schwebestoffen beschleunigt wird, wenn diese Strahlen die Erdatmosphäre durchdringen. Diese könnten dann die Basis für Wolkentröpfchen bilden.

Eine Wolke mit einer grösseren Anzahl von Tröpfchen reflektiert das Sonnenlicht besser und ist langlebiger, was zu einem kühlenden Effekt führt. Laut Experten können Abweichungen von wenigen Prozenten bereits einen grossen Einfluss auf das Klima der Erde haben.

«Wir wollen reproduzieren, was in der Atmosphäre geschieht», sagt Jasper Kirby, Leiter des Cloud-Teams am CERN. «Wir wollen den Weg vom kosmischen Strahl zu einem Wolkentröpfchen verstehen, und in welchen Teilen der Atmosphäre dieser Vorgang stattfindet.»

Erdatmosphäre

Am CERN wird dazu ein hochenergetischer Partikelstrahl, der die kosmische Strahlung simuliert, in den Prototyp einer so genannten Reaktionskammer gerichtet, welche die Erdatmosphäre nachbildet. Zum definitiven Detektorgerät, das 2010 in Betrieb genommen werden soll, werden eine weiter entwickelte Reaktionskammer und eine Wolkenkammer gehören.

Durch Regulierung von Temperatur und Luftdruck in der Kammer können die Forscher verschiedenste Bedingungen simulieren, wie sie in unterschiedlichen Höhen und geografischen Breitengraden vorkommen. Sie hoffen herauszufinden, welche Bedingungen zur Bildung von Schwebestoffen führen.

Am interdisziplinären Projekt sind 18 führende Institute beteiligt, darunter auch das Schweizer Paul Scherrer Institut (PSI). Erstmals wurde dabei ein Teilchenbeschleuniger eingesetzt, um das Klima zu verstehen.

Langer Weg

Es habe mehr als zehn Jahre gedauert, um einige vorgefasste Meinungen beizulegen, sagt Kirby. «Mit einem interdisziplinären Projekt wie Cloud ist das Studiengebiet ein wenig vor seiner Zeit», erklärt er gegenüber swissinfo. «Die Finanzierung war schwierig, weil dieses nicht den üblichen Schemata entspricht.»

Ein weiteres Problem ist die grosse Skepsis in der wissenschaftlichen Gemeinschaft gegenüber einem Zusammenhang zwischen kosmischer Strahlung und Klima.

«Diese Verbindung ist im Moment nicht richtig nachgewiesen», sagt Urs Neu vom Schweizer Forum für Klimawandel (Proclim). «Es gibt zu viel Unsicherheit, ob diese Strahlung einen Einfluss hat oder nicht.»

Globale Erwärmung

«Die Theorie der kosmischen Strahlen wurde von Leuten benutzt, die einen Einfluss des Menschen auf die Klimaerwärmung bestreiten», betont Neu.

Doch im Cloud-Team glaubt niemand daran, dass die Strahlen allein die Umwelt beeinflussen. «Wenn sie einen Einfluss haben, sind sie nur Teil eines Klimawandel-Cocktails», sagt Kirby. «Die Frage ist, wie gross dieser Anteil ist.»

Erste Ergebnisse der Versuche mit dem Cloud-Prototyp sollen nächsten Sommer veröffentlicht werden. Daten des gesamten Projekts werden frühestens 2010 erwartet.

swissinfo, Scott Capper, Genf
(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

CERN wurde 1954 von 12 Staaten gegründet, darunter auch der Schweiz. Heute sind 20 Staaten Mitglied.

Rund 6500 Wissenschafter – rund die Hälfte aller Partikelphysiker der Welt – aus über 500 Instituten und Universitäten haben Zugang zu CERN.

CERN baut derzeit den Large Hadron Collider (LHC), der 2007 in Betrieb genommen werden soll. Mit Kosten von rund 3 Mrd. Fr. wird er der weltweit stärkste Teilchenbeschleuniger sein. Man erhofft sich davon vertieftes Wissen über das Universum.

Am CERN wurde 1989 das World Wide Web vom britischen Experten Sir Tim Berners-Lee unter dem Namen Enquire entwickelt.

Am Cloud-Projekt arbeitet ein interdisziplinäres Team von 18 Instituten und Universitäten aus 9 europäischen Ländern und den USA.
Dazu gehören das Paul Scherrer Institut, das California Institute of Technology und verschiedene deutsche Max-Planck-Institute.
Das Experiment bringt Atmosphären-, Solar-, Strahlen- und Partikelphysiker zusammen.
Es ist das erste Mal, dass ein Teilchenbeschleuniger für die Atmosphären- und Klimaforschung eingesetzt wird.

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