Kontingente für Europäer fallen
Bürger aus 20 europäischen Ländern der EU- und EFTA-Staaten haben ab 1. Juni uneingeschränkten Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt. Die bisherige Kontingentierung wird aufgehoben.
Nach einem Jahr kann die Schweiz die Kontingentierung wieder einzuführen, sollte die Zahl der Zuzüger zu hoch sein. Ein Referendum rechtsnationaler Europa-Gegner erscheint wahrscheinlich.
Fünf Jahre nach Inkrafttreten der bilateralen Abkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und der Schweiz kommen Angehörige der 15 alten EU-Mitgliedstaaten, von Malta und Zypern sowie der EFTA-Staaten (Island, Norwegen, Liechtenstein) zum ersten Mal in den Genuss der vollständigen Personenfreizügigkeit. Die neue Phase beginnt am 1. Juni.
Bis anhin gab es ein jährliches Kontingent für Aufenthaltsbewilligungen von Personen aus diesen Ländern, die in der Schweiz arbeiteten. Die Aufhebung der Kontingente wird allerdings versuchsweise eingeführt, vorerst für ein Jahr.
Schutz- oder Ventilklausel
Sollte sich im Verlaufe des ersten Jahres (bis 31. Mai 2008) eine hohe Zuwanderung aus den 15 alten EU-Ländern ergeben (über 10 Prozent mehr als im Durchschnitt der drei vorangegangenen Jahre), so würde das Freizügigkeitsabkommen der Schweiz dank einer Schutzklausel ermöglichen, ab dem 1. Juni 2008 wieder Kontingente einzuführen. Dies für die Dauer von zwei Jahren.
«Es ist keineswegs auszuschliessen, dass die Grenzwerte zur Anwendung der Schutzklausel überschritten werden», räumt Dominique Boillat, Sprecher des Bundesamtes für Migration, ein. Die Schweiz sei aber keineswegs verpflichtet, die Kontingente wieder einzuführen.
Laut der Sprecherin des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), Rita Baldegger, hat die bisherige Personenfreizügigkeit positive Auswirkungen gezeitigt: «Die Massnahme erwies sich als Beitrag zum Wirtschaftswachstum; die Unternehmen konnten so die nötigen qualifizierten Arbeitskräfte finden.»
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Freier Personenverkehr
Starke Nachfrage nach Daueraufenthaltsbewilligungen
Tatsächlich war die Nachfrage nach Daueraufenthaltsbewilligungen – das Kontingent betrug 15’000 pro Jahr – jeweils in kürzester Zeit aufgebraucht. Teilweise waren die quartalsweise freigegebenen Kontingente (3750) in 41 Minuten abgebucht.
Weniger stark war die Nachfrage für Kurzaufenthalter (bis ein Jahr Aufenthalt). Von den 115’500 pro Jahr) zur Verfügung stehenden Bewilligungen wurden jeweils nur zwischen 55 und 90 Prozent beansprucht.
Für die Monate Juni und Juli 2007 rechnet das Bundesamt für Migration mit einer starken Nachfrage nach Bewilligungen. «Die Nachfrage dürfte sich aber hauptsächlich auf Daueraufenthaltsbewilligungen richten», meint Boillat.
Zuversicht trotz Aufhebung der Kontingente
Diese Ansicht wird von Rita Baldegger geteilt. «Die Aufhebung der Kontingente wird eine Reihe von Kurzaufenthalter-Bewilligungen auf Daueraufenthalts-Bewilligungen verlagern. Damit wird vor allem der Status von Personen, die bereits in der Schweiz arbeiten, normalisiert», so die SECO-Sprecherin. Ihrer Meinung nach wird die Gesamtzahl der EU-Bürger in der Schweiz nicht stark ansteigen.
«Wir sehen keinen Grund zur Sorge wegen der Aufhebung der Kontingente», fährt Baldegger fort, «weil es sich bei den Zuzügern um gut ausgebildete Fachkräfte handelt, die auch unter ökonomisch ungünstigeren Vorzeichen Arbeit fänden.»
Referendum in Sicht
Mit Ausnahme von Malta und Zypern betrifft die Aufhebung der Kontingente nicht die 10 neuen EU-Länder, die 2004 zur Gemeinschaft gestossen sind. In ihrem Fall wird die vollständige Personenfreizügigkeit erst ab 2011 umgesetzt.
Für Bulgarien und Rumänen, die 2007 der EU beigetreten sind, muss das Personenfreizügigkeits-Abkommen neu ausgehandelt werden. Ein Termin ist noch nicht vereinbart worden.
Nächstes Jahr wird sich auch das Eidgenössische Parlament erneut mit der Personenfreizügigkeit befassen müssen. Die national-konservative Schweizer Volkspartei (SVP) hat dann Gelegenheit, das Referendum zu ergreifen. Es erscheint als wahrscheinlich, dass das Volk das letzte Wort haben wird.
swissinfo, Andrea Tognina
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Die zweite Phase der Bilateralen Abkommen bringt auch Neuerungen für den Status von Grenzgängern. Bisher mussten diese ihren Wohnsitz in der Grenzzone haben. Ab dem 1. Juni 2007 entfallen diese Grenzzonen. Die Grenzgänger-Bewilligung wird also auch dann erteilt, wenn der Wohnort ausserhalb dieser Zonen liegt.
Die Grenzgänger können zudem in der ganzen Schweiz arbeiten. Bis anhin war auch der Arbeitsplatz auf das Grenzgebiet beschränkt.
Seit 2002 ist die Zahl der Grenzgänger in der Schweiz um 30’000 Personen angestiegen. Das Total erreichte letzten Dezember 190’000 Grenzgängerinnen und Grenzgänger.
Mehr als die Hälfte der Grenzgänger stammt aus Frankreich, danach folgen Italiener und Deutsche.
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