Lehrstellenmangel in beliebten Berufen
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund rechnet damit, dass 3000 bis 4000 der 77'000 diesjährigen Schulabgänger keine Lehrstelle finden werden.
Allerdings, so das Bundesamt für Berufsausbildung, fehle es vor allem bei den begehrten Berufen an Lehrstellen.
Ein Fünftel der Schulabgänger wird ein Brückenjahr einschalten. Die SGB fordert Gegenmassnahmen.
«Die Situation ist sehr ernst», sagte SGB-Zentralsekretär Peter Sigerist am Mittwoch an einer Medienkonferenz in Bern. Damit der Arbeitsmarkt funktioniere, genüge eine Übereinstimmung von Angebot und Nachfrage nicht. Das Angebot müsste 15 bis 20% höher sein als die Nachfrage.
Hier könne insbesondere die öffentliche Hand einen Beitrag leisten in Form von vermehrten Angeboten in Lehrwerkstätten, Handelsmittelschulen oder Fachmittelschulen. Dies wäre kurzfristig umsetzbar. Doch es fehle am politischen Willen.
Basislehrjahre gefordert
Der Berner SP-Nationalrat André Daguet, Mitglied der Unia-Geschäftsleitung, warf den bürgerlichen Parteien vor, konkrete Massnahmen wie die Förderung von Basislehrjahren jeweils abzublocken. Dabei wären Basislehrjahre auch im Sinne der Kleinen und Mittleren Unternehmen KMU.
Dass 20% der Schulabgänger ein Brückenjahr planen, beurteilt Sigerist kritisch. Die Nutzung der Brückenangebote sei zwar besser als nichts, aber die Jugendlichen würden dort in eine Warteschlange abgedrängt, die keine Perspektiven garantiere.
Höhere Jugendarbeitslosigkeit
Im Juli stieg die Jugendarbeitslosenquote nach Angaben des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco) auf 4,7%. Die tatsächliche Anzahl arbeitsloser Jugendlicher ist laut Sigerist aber noch höher.
Denn nur etwa die Hälfte der betroffenen Jugendlichen melde sich bei den Regionalen Arbeitsvermittlungsstellen (RAV). Dies belege eine Studie der Amosa (Arbeitsmarktbeobachtung Ostschweiz, Aargau und Zug). Die Zahlen seien ein Beleg für die Dringlichkeit von Gegenmassnahmen. Zudem werde sich die Situation in den kommenden zwei Jahren zuspitzen.
Bund: Keine Krise
Der Bund beurteilt die Lage anders: «Wir haben keine Lehrstellenkrise», sagte Ursula Renold, die interimistische Direktorin des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie (BBT) in einem Interview mit der «Mittelland-Zeitung» vom Montag. Sigerist bezeichnete diese Einschätzung als eine «zynische Verharmlosung der realen Situation».
Jacques Philippini, Sprecher des BBT sagte gegenüber swissinfo, dass das Bundesamt von einer angespannten Lage auf dem Lehrestellemarkt spreche. Es gebe genügend Stellen, allerdings nicht in den begehrten Berufen.
«Metzger oder auf dem Bau und im Gastgewerbe, da gibt es mehr offene Lehrstellen, als besetzt werden können», sagt Philippini.
Sollen denn die Schulabgängerinnen und Schulabgänger eine weniger begehrte Lehrstelle annehmen oder zuwarten?
Philippini verweist auf die Tatsache, dass das BBT keine Berufsberatung sei und auch keine Lehrstellen schaffen könne. «Das sind Bereiche der Kantone. Der Bund unterstützt Massnahmen zur Verbesserung der Situation auf dem Lehrstellenmarkt. Im Jahr 2004 mit 21 Mio. Franken.»
Die Nationale Vignette für Lehrbetriebe gehe in diese Richtung. Unternehmungen, die Lehrlinge ausbilden, erhalten diese seit Ende August 2004 von den kantonalen Berufsbildungsämtern; in der Regel mit der Zustellung des bewilligten Lehrvertrages. Betriebe, welche Lehrlinge ausbildeten, würden so positiv herausgehoben und verbesserten ihr Image, sagt Filippini.
SGV nicht einverstanden
Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) zeigt sich befremdet über die vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund beschworene angebliche Krise auf dem Lehrstellenmarkt.
Tatsächlich konnten in den letzten Jahren trotz konjunkturellen Problemen neue Lehrstellen geschaffen werden. Heute finden rund 95% aller Schulabgänger einen Ausbildungsplatz, in vielen Regionen und in mehreren Branchen könnten nicht alle Lehrstellen besetzt werden, so der SGV.
Auch für Urs F. Meyer, Direktionsmitglied beim Schweizerischen Arbeitgeber-Verband geht die Forderung der Gewerkschaft nach 15 bis 20% mehr Ausbildungs-Plätzen zu weit.
Ein Ausbildungsplatz würde sehr viel Geld kosten. «Zuerst muss er geschaffen werden, dann sind da die Kosten für Material, für die Person, die den Lehrling betreut.» Das alles könne nicht einfach zum Voraus geschaffen werden und dann komme kein Lehrling, sagt Meyer.
swissinfo und Agenturen
Durchschnittslöhne für Lehrlinge
1. Lehrjahr/4. Lehrjahr/Kanton Zürich
Automechaniker 600/1300 Fr.
Coiffeuse 400/700 Fr.
Elektroniker 450/1000 Fr.
Gärtnerin 450/900 Fr. (3 Jahre)
Kaufm. Berufe 670/1360 Fr.
Strassenbau 1180/2100 Fr. (3 Jahre)
Der SGV rechnet, dass in diesem Jahr 3000 – 4000 Schulabgänger keine Lehrstelle finden.
Für die Lehrlinge, die einen Ausbildungsplatz gefunden haben, hat der SGB eine neue Broschüre erstellt, in der sie sich über ihre Rechte und Pflichten am Ausbildungsplatz informieren können.
In der Broschüre werden Themen wie der Lehrvertrag, Ferien, Lohn oder Mobbing angesprochen.
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