Leseschwäche kommt Volkswirtschaft teuer zu stehen
Leseschwäche ist nicht nur für die Direktbetroffenen ein Problem. Sie verursacht auch volkswirtschaftliche Kosten in Milliardenhöhe.
Dafür verantwortlich ist laut einer Studie insbesondere die Tatsache, dass Leseschwäche das Risiko von Arbeitslosigkeit verdoppelt.
Eine am Donnerstag präsentierte Studie beziffert den wegen Leseschwäche oder Illettrismus hervorgerufenen Schaden in der Schweiz auf 1,1 Mrd. Franken pro Jahr.
Für diesen hohen Schaden verantwortlich ist insbesondere die Tatsache, dass Leseschwäche das Risiko von Arbeitslosigkeit verdoppelt. Dies geht aus der vom Bundesamt für Statistik in Auftrag gegebenen Studie des Büros für Arbeits- und Sozialpolitische Studien BASS hervor.
Die Studie stützt sich auf die Daten der internationalen Erhebung ‹Adult Literacy & Life Skill Survey› (ALL). Sie wurde vom Bundesamt für Kultur mitfinanziert und vom Dachverband Lesen und Schreiben unterstützt.
Von Leseschwäche seien laut Studienleiter Jürg Guggisberg etwas mehr Frauen als Männer betroffen, wobei der Unterschied nicht signifikant ist. Im Durchschnitt sind die Betroffenen etwas älter und weisen, wie oft auch ihre Eltern, ein tiefes Ausbildungsniveau auf.
Überdurchschnittliches Arbeitslosenrisiko
Probleme mit dem Lesen hatten im Jahr 2003 48’000 oder 36% aller Arbeitslosen. Ohne die Leseschwierigkeiten hätten diese Menschen laut Studie nur ein durchschnittliches Arbeitslosenrisiko, so dass es theoretisch 24’000 Arbeitslose weniger gäbe.
Die Kostenhöhe von 1,1 Mrd. Franken seien eine sehr vorsichtige und konservative Schätzung, heisst es in einer Mitteilung des Schweizer Dachverbandes Lesen und Schreiben.
Vollständiger Rückzug aus dem Arbeitsmarkt
Keine verlässlichen Zahlen gebe es beispielsweise zu den Kosten bei leseschwachen Sozialhilfebezügern. Auch dass sich ein überdurchschnittlich hoher Anteil von Menschen mit Leseschwäche vollständig aus dem Arbeitsmarkt zurückzieht, konnte bei den Kostenberechnungen nicht berücksichtigt werden.
Die Analyse ergab weiter, dass die Leseschwäche keinen direkten Einfluss auf das Lohnniveau zu haben scheint. Vielmehr sei die Ausbildung der lohnbestimmende Faktor, sagte Guggisberg. Die Löhne leseschwacher Erwerbstätiger liegen rund 20% unter dem Durchschnitt.
Aus Sicht des Dachverbandes ist in den kommenden Jahren ein stärkeres Engagement von Bund und Kantonen im Kampf gegen Lese- und Schreibschwäche gefragt.
Besonders in den Schulen müssten Lese- und Schreibkompetenzen erfolgreicher vermittelt werden. Auch bei der Erwachsenenbildung fordert der Verband verstärkte Anstrengungen.
Bessere Integration
Neben dem rein ökonomischen Überlegungen und volkswirtschaftlichen Nutzen förderten Lese- und Schreibkompetenzen die Integration in das soziale, kulturelle und politische Leben.
Gemäss dem Dachverband weist in der Schweiz eine von sechs Erwerbspersonen sehr schwache Kompetenzen im Lesen und im Verständnis schematischer Darstellungen auf.
swissinfo und Agenturen
366’000 Personen Schweizer Nationalität im Alter von 16 bis 65 Jahren sind von schwerem Illettrismus betroffen.
415’500 Personen ausländischer Nationalität sind von schwerem Illettrismus betroffen.
Dazu kommen noch 4000 bis 5000 Schüler und Schülerinnen, welche jedes Jahr die obligatorische Schule mit derart ungenügendem Niveau verlassen, dass ihre Chancen, in einer Berufslehre erfolgreich zu sein, stark eingeschränkt sind (5 bis 7% jeder Alterklasse).
Zahlreiche Indizien deuten darauf hin, dass das Kompetenzniveau der Bevölkerung im Laufe der letzten 20 bis 30 Jahre nicht gesunken ist.
Als Illettrismus bezeichnet man die Unfähigkeit, Lese- und Schreibfertigkeiten adäquat anzuwenden.
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