Liberale Heroinpolitik trägt Früchte
Gemäss einer Studie der Universität Zürich hat die Zahl der neuen Heroinkonsumenten seit 1991 abgenommen – dies dank einer toleranteren Politik.
Die in der Wissenschaftsrevue The Lancet publizierte Untersuchung zeigt aber auch, dass nur wenige Abhängige den Ausstieg geschafft haben.
Die beiden Forscher Carlos Nordt und Rudolf Stohler von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich haben sich bei ihrer Studie auf das seit 1991 geführte Register aller Methadonbehandlungen im Kanton Zürich gestützt.
Sie gingen der Frage nach, welche Folgen die «Vier-Säulen-Politik» für den Drogenkonsum in der Schweiz hatte.
Politisch heiss umstritten war damals die Frage, ob eine Liberalisierung nicht den Einstieg ins Heroin fördern würde. Neben den lange Zeit bevorzugten Säulen Prävention und Repression hatte sich zu Beginn der 90er-Jahre politisch immer mehr durchgesetzt, dass auch neue Therapieformen wie Methadonabgabe oder Überlebenshilfe wichtig sind, um das Drogenproblem in den Griff zu bekommen.
Dramatischer Rückgang
Die beiden Forscher kommen zum Schluss, dass die Liberalisierung nicht zusätzlich Einsteiger anlockte, sondern im Gegenteil zu einer kontinuierlichen Abnahme führte. Gemäss der Studie verzehnfachte sich die jährliche Zahl von Einsteigern von 1975 bis 1990 auf 850 Personen. Ab 1991 habe dann aber die Zahl der Einsteiger dramatisch abgenommen auf noch rund 150 im Jahr 2002.
Auf den Erfolg der Vier-Säulen-Politik verweist laut der Studie auch der Blick nach Italien und Australien, die an einer repressiven Drogenpolitik festhielten. War dort die Zahl der Einsteiger 1990 mit der Schweiz vergleichbar, sei diese in der Schweiz nach der Liberalisierung innerhalb von zehn Jahren um den Faktor vier zurückgegangen.
Von der Protest- zur Verliererdroge
Die Studie liefert auch Erklärungsansätze, warum gerade die Liberalisierung die Einsteiger gebremst hat. Durch die verstärkte Hilfe und die Anerkennung der Heroinsucht als Krankheit (Medizinalisierung) habe die Heroinsucht ihr Image als «rebellischer Akt» zunehmend verloren.
Stattdessen sei Heroin von potenziellen Einsteigern immer mehr als Verliererdroge eingesetzt worden. Die Liberalisierung habe damit nicht zur befürchteten Verharmlosung des Heroinkonsums geführt, sondern genau den gegenteiligen Effekt erzielt.
Schwieriger Ausstieg
«Wir haben festgestellt, dass es auch Leute im AHV-Alter gibt, die Methadon-Behandlungen nötig haben», sagt Carlos Nordt, Soziologe und Mitautor der Studie. «Die Frage ist nicht mehr so stark, wie man mit Neueinsteigern umgeht, sondern wie man Leute behandelt, die seit 20 oder 30 Jahren abhängig sind und nicht aufhören können.»
Nur wenige der Tausenden von Heroinsüchtigen in Methadonprogrammen hätten letztlich den langfristigen Ausstieg gefunden.
Entsprechend habe die Gesamtzahl der Heroinabhängigen beispielsweise im Kanton Zürich von 7100 im Jahre 1996 bis 2005 nur wenig abgenommen (6200). Seit 1994 nahm mehr als die Hälfte der Heroinabhängigen an einem Substitutionsprogramm mit Methadon teil. Dieser Anteil blieb weitgehend unverändert.
Der Konsum von Cannabis, von Amphetaminen und von Kokain steigt in der Schweiz weiterhin an, stellte letztes Jahr das internationale Organ zur Kontrolle der Suchtstoffe fest.
swissinfo und Agenturen
In der Schweiz haben 3,8% der Männer und 2,7% der Frauen zwischen 15 und 24 Jahren Heroin oder Kokain probiert (Untersuchung von 2002)
Rund 60’000 Personen konsumieren Heroin und/oder Kokain.
Gegen die Hälfte von ihnen sind abhängig.
Die sozialen Kosten welche der Konsum illegaler Drogen verursacht wird auf jährlich 4,1 Mrd. Franken geschätzt. (Zahlen 2000).
In der Schweiz ist die Drogenpolitik auf dem so genannten Vier-Säulen-Modell aufgebaut: Vorbeugung, Therapie, Reduzierung der Risiken und Repression.
Die Drogenpolitik liegt in der Kompetenz der Kantone. Der Bund kümmert sich um die Koordinierung, die Förderung, die Innovation und die Entwicklung dieser Politik.
Diese liberale Politik ist auf internationalem Niveau umstritten und wird regelmässig von der UNO kritisiert.
Acht Schweizer Städte betreiben Injektionsräume (Fixerstübli) unter medizinischer Kontrolle. Bern war 1986 Pionierin, gefolgt von Zürich, Basel, Biel, Olten Schaffhausen und Solothurn.
In der Romandie sind in Genf und Lausanne Fixerstübli in Diskussion.
Die Fixerstübli zielen darauf ab, Hepatitis- und HIV-Infektions-Risiken zu reduzieren und den Drogensüchtigen einen medizinisch-sozialen Rahmen zu bieten.
Ziel: Aussteigen aus der Sucht.
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