«Lichtverschmutzung» als Killer des Nachthimmels
Wissenschafter debattieren an einem internationalen Kongress in Deutschland über die "Verschmutzung" des Nachthimmels durch abstrahlendes Licht.
An der Tagung referierten Astronomen, Ornithologen und Ärzte, auch aus der Schweiz.
Wann haben Sie am Nachthimmel zum letzten Mal die Milliarden Sterne der Milchstrasse gesehen? Oder gar Ihr Sternzeichen ausgemacht? Oder gehören auch Sie zu jenen 20% der Weltbevölkerung, welche am Firmament kein Sternen-Leuchten mehr erkennen können? Dies, weil der Nachthimmel von künstlichem Licht vielerorts aufgehellt, eben «verschmutzt», ist.
Ziel der International Dark-Sky Association, welche die Tagung organisiert, ist deshalb die Propagierung einer effektiven Nachtbeleuchtung, welche gegen die Erde strahlt und nicht in den Himmel abstrahlt.
«Wir wollen das Licht nicht ausknipsen», betont Phlilipp Heck, Präsident von Dark Sky Schweiz, gegenüber swissinfo. «Wir wollen aber erreichen, dass die Leute das Licht dort einsetzen, wo es gebraucht wird, ohne den ganzen Himmel auszuleuchten.»
Zum Beispiel die Milchstrasse
Das älteste öffentliche Observatorium der Schweiz wurde 1907 gebaut und steht in der Zürcher Bahnhofstrasse. «Punkto Lichtverschmutzung ist das vermutlich der schlechteste Platz in Zürich,» sagt Heck. «Der Mond und die Planeten sind von dort aus gut sichtbar, aber es ist Jahre her, seit ich vom Stadtzentrum die Glalaxien sehen konnte.»
Denn von einer Stadt wie Zürich könne man lediglich die hellsten Sterne und Konstellationen erkennen, hält Heck fest. Von denen gebe es aber nicht so viele.
Stadt unter dem Lampenschirm
Ein einfacher Dreh könnte das aber ändern. «Wenn in Zürich alle Lichter mit einem Schirm abgedeckt wären, könnte man die Milchstrasse mitten aus der Stadt erkennen», so der Lichtexperte.
In der Schweiz gibt es laut Heck gerade noch zwei Regionen, wo der Nachthimmel nicht durch Licht verschmutzt ist: Die Gotthardregion sowie das südostliche Graubünden. Erwartungsgemäss am meisten von Lichtverschmutzung betroffen sind dicht besiedelte Gebiete wie Städte und Agglomerationen, und das vor allem in Industrieländern.
Satellitenbilder zeigen, dass Europa, die US-amerikanische Ostküste sowie Japan und Indien die grössten Lichtverschmutzer sind.
Irregeleitete Zugvögel…
Anfänglich waren es die Astronomen, die sich Anfang der 50-Jahre über das neue Blenden am Nachthimmel beschwerten, aber jetzt sind neue Gruppen hinzugekommen.
Ornithologen wiesen darauf hin, dass hell erleuchtete Landstriche die Zugvögel verwirren und sie von ihrer Route abbringen können. Das erhärten Beobachtungen von Bruno Bruderer von der Vogelwarte Sempach. Vögel verändern über hellem Nachthimmel Route, Geschwindigkeit und Höhe, fand er heraus. Auf ihrem oft sehr langen Zug könnten aber Umwege für Vögel den Tod bedeuten, besonders für die jüngeren und schwächeren Tiere.
… und schwirrende Insekten
Betroffen sind aber auch andere Lebewesen: Laut einer deutschen Studie hauchen an einer Strassenlampe jede Nacht 150 Insekten ihr Leben aus, weil sie nicht mehr von der Helligkeit lassen können und an Erschöpfung zu Grunde gehen. Oder einem Räuber anheim fallen.
Heck rechnet mit 50’000 Strassenlampen in der Stadt Zürich, was allein das Aus für eine Million Insekten bedeute. Das habe auch Auswirkungen auf die Nahrungskette der Tierwelt.
Nächtliche Lichtshow
Der Zürcher Strassenbeleuchtung attestiert Heck eine gute Ausrichtung, weil sie meist gut abgeschirmt sei und gegen den Boden leuchte. Probleme ortet er auf einem Rundgang dagegen bei Scheinwerfern, die Private angebracht haben. Diese sendeten ihr Licht oft ungeschützt gegen oben aus, was nicht nur Licht-, sondern auch Energieverschwendung sei.
Beleuchtete Kirchenfassaden sind laut Heck ein weitere Quelle nächtlicher Lichtverschmutzung.
Problem erkannt
Die Zürcher Stadtregierung ist auf das Problem aufmerksam geworden und hat deshalb für die nächsten zehn Jahre einen Plan aufgestellt, um der Stadtbeleuchtung ein Re-Design zu verpassen. Störendes Nachtlicht soll so minimiert werden.
Dark-Sky Schweiz würde gerne auch andere Städte sehen, die dem Zürcher Beispiel folgen. Die Organisation ist deshalb bei der Eidgenössischen Umweltagentur vorstellig geworden, um die Lichtverschmutzung auf die gleiche Stufe wie Luft- oder Gewässerverschmutzung zu stellen.
Aktiv ist Dark Sky Schweiz auch im privaten Sektor. Die Schweizerischen Bundesbahnen änderten das Beleuchtungskonzept für über 600 Regionalbahnhöfe, nachdem die Experten Kritik an den geplanten über acht Meter hohen Lichtsäulen geäussert hatten.
swissinfo, Vincent Landon
(Übersetzung aus dem Englischen: Renat Künzi)
Lichtverschmutzung ist die Aufhellung des Nachthimmels durch künstliches Licht.
Zugvögel ändern wegen Lichtverschmutzung ihre Route, was zum Tod der Tiere führen kann.
Eine Strassenlampe wird in einer Nacht zur Todesfalle für 150 Insekten.
An den 50’000 Strassenlampen Zürichs sterben so jede Nacht eine Million Insekten.
Dark Sky Schweiz kämpft für die Gleichstellung der Llichtverschmutzung mit der Luft- und Gewässerverschmutzung.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch