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Lugano wird noch weiter wachsen

Lugano: Atemberaubendes Panorama und drittgrösster Finanzplatz der Schweiz. picswiss.ch

Giorgio Giudici ist seit 1984 Stadtpräsident von Lugano. Er hat massgeblich zur Schaffung des "Neuen Lugano" beigetragen, die aus der Fusion mehrerer Gemeinden entstanden ist.

Giorgio Giudici ist seit 1984 Stadtpräsident von Lugano. Er hat massgeblich zur Schaffung des «Neuen Lugano» beigetragen, die aus der Fusion mehrerer Gemeinden entstanden ist.

Giudici ist «Sindaco» in Teilzeit. Vom Stadthaus an der Piazza Riforma leitet er die Geschicke der Stadt. Im Interview mit swissinfo spricht der Politiker über seine Ängste und Träume. Konkrete Probleme wie die chronische Verkehrsüberlastung verheimlicht er nicht.

swissinfo: Gibt es einen Grund, in Lugano am Morgen zufrieden aufzuwachen?

Giorgio Giudici: Wenn eine Person morgens aufwacht, bedeutet das, dass sie lebt. Und wenn diese Person dann zur Arbeit geht, heisst das, dass sie Arbeit hat. Warum sage ich dies? Weil Leben und Arbeit zwei substantielle Dinge sind.

Ich habe das grosse Glück, einer Arbeit in einer Stadt nachzugehen, die ich liebe. Ein Stadt in einer wunderbaren Umgebung, eine Stadt von relativ kleinen Dimensionen. Der menschliche Kontakt ist hier noch einfach und unmittelbar. Gleichgültigkeit, was für mich das schlimmste wäre, kennen wir hier nicht.

swissinfo: Die Stadt Lugano ist dank der Fusion mit angrenzenden Gemeinden stark gewachsen. Hat dies Ihre tägliche Arbeit verändert?

G. G.: Ich habe nun einige Sorgen mehr, denn die Bedürfnisse der Gemeinden, die sich mit Lugano zusammengeschlossen haben, dürfen nicht vergessen werden. Wenn man in Lugano geboren ist und hier lebt, hat man die Tendenz, nur die Interessen der eigenen Stadt im Auge zu haben.

Doch meine Pflicht ist es, niemandem Unrecht zu tun und einen gemeinschaftlichen Geist im neuen Lugano aufzubauen.

swissinfo: Was ist das grösste Problem der Stadt?

G. G.: Mit Sicherheit der Verkehr. Mit einer wachsenden Stadt wächst auch die Mobilität. Dabei vergessen wir manchmal, dass wir zwei Beine für die natürlichste Art der Fortbewegung haben. Erstaunlichweise merken wir das erst, wenn wir in eine unbekannte Stadt gehen, die wir häufig zu Fuss erkunden.

In Sachen Mobilität stossen wir unmittelbar auf ein Dilemma: Förderung von Privatverkehr oder Öffentlicher Verkehr? In den Städten lässt sich dem Privatverkehr eigentlich nur durch Trams Konkurrenz machen, die im Vergleich zum Bus keine Hindernisse auf den Strassen haben.

In Lugano entschied man in den 1960er Jahren, den Betrieb der Trams einzustellen. Und der damalige Entscheid hat sich eher als Nachteil erwiesen. Gleichwohl werden die Öffentlichen Verkehrsmittel auch in Lugano viel benutzt. Doch aufs Auto will niemand verzichten.

Zur Zeit fehlt eine Gesamtregie zur Regelung des Verkehrsflusses, die Bilanz zwischen öffentlichem und privatem Verkehr stimmt nicht. Im Übrigen bringt diese Situation auch Probleme wie Umweltverschmutzung, Parkplätze und Lärm mit sich.

Das zersplitterte Territorium mit vielen kommunalen Zonenplänen erschwert eine globale Verkehrsplanung. Gerade deshalb sind Gemeindefusionen wichtig. Sie erlauben ein einheitliche Strategie, wie das Territorium in Bezug auf Strassen, Gewerbe und Wohnzonen genutzt wird.

swissinfo: Haben Sie Träume für Lugano?

G. G.: Ich will, dass Lugano eine sichere, saubere und warmherzige Stadt bleibt, wo die Bewohner gut leben können. Es würde mir allerdings gefallen, wenn Lugano auch ausserhalb unserer Grenzen etwas bekannter wäre.

Lugano braucht nicht ein grosses quantitatives, sondern ein qualitatives Wachstum, um neue wirtschaftliche Möglichkeiten zu schaffen. Eine Gesellschaft muss den Schwachen helfen, aber sie muss auch die Voraussetzungen schaffen, um helfen zu können.

swissinfo: Haben Sie Albträume oder Ängste, wenn Sie an die Zukunft denken?

G. G.: In Anbetracht der kleinen Dimension unseres Territoriums habe ich keine Albträume. Noch kann ich ruhig schlafen. Ich bin eher von einem positiven Geist beseelt, um das zu verbessern, was wir bieten können. Sicherlich können einem immer Fehler unterlaufen.

swissinfo: Das Leben in der Schweiz wird immer urbaner, aber in den politischen Prozessen besitzen ländliche Kantone immer noch viel Gewicht. Wie sehen Sie als Stadtpräsident eines urbanen Raums diese Entwicklung?

G. G.: Ich denke, dass insbesondere die Rolle von Grenzkantonen neu definiert werden müsste. Momentan entscheidet man weder für die Peripherie noch für das Zentrum – die verschiedene Bedürfnisse haben -, sondern für die ganze Schweiz, als ob diese ein homogenes Gebilde sei. Aber es ist nicht so.

Es bräuchte Gesetze, die es einem Kanton wie dem Tessin leichter machen, seine Position an der Grenze dynamisch und effizient zu nutzen. Für Kantone im Zentrum der Schweiz ist dies nicht so einfach nachzuvollziehen.

Das föderalistische System muss beibehalten werden. Es ist unantastbar. Aber man sollte es anreichern mit Klauseln, die den Grenzkantonen mehr Autonomie einräumen.

swissinfo, Francoise Gehring, Lugano
(Aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

8.Oktober 2003: Das «neue Lugano» wird offiziell aus der Taufe gehoben.

Die Stadt zählt 52’000 Einwohner.

Lugano ist der drittgrösste Finanzplatz der Schweiz.

Gemäss der Bevölkerungszahl ist Lugano die neuntgrösste Stadt der Schweiz.

Giorgio Giudici, 1945 in Lugano geboren, ist Architekt und ein wichtiger Exponent der freisinnig-demokratischen Partei im Tessin (FDP). Er gehört dem wirtschaftsfreisinnigen Flügel an. 1971 schliesst er an der ETH Zürich sein Studium ab. 1978 wird er in die Exekutive der Stadt Lugano gewählt.

Im April 1980 wird er zum stellvertretenden Gemeindepräsidenten gewählt, 1984 schliesslich zum Gemeindepräsidenten. Seither hat er dieses Amt inne.

Giorgio Giudici gehört zu den starken Persönlichkeiten unter den Tessiner Politikern, welche die Auseinandersetzung mit politischen Gegnern nicht scheuen. Er wird auch häufig kritisiert.

Unter seiner Leitung erfolgt die grösste Gemeindefusion in der Geschichte des Tessins.

Lugano behält seine Konturen als mittelalterliches Städtchen bis zum Ende des 18.Jahrhunderts bei. Mit dem Übergang von alten zum neuen Regime (1798-1847) verändert sich das soziale Gefüge der Stadt. Sie wächst über die historischen Stadtgrenzen hinaus. Die Stadttore werden abgebrochen.

Zwischen 1880 und 1910, insbesondere nach der Eröffnung der Gotthard-Bahn erlebt Lugano ein kräftiges demografisches Wachstum. In diesen drei Jahrzehnten wächst die Bevölkerung um fast das Doppelte, von 6949 auf 14998 Einwohner. Die Stadt wird eine wichtige Destination für den Tourismus.

Von 1900 bis 1945 erlebt Lugano weitere einschneidende Veränderungen auf Grund des Bevölkerungswachstum und der wirtschaftliche Entwicklung. Ganze Quartiere (Sassello) ändern ihr Gesicht.

In den 1960-er und 1970-er Jahren boomt schliesslich die Bank- und Finanztätigkeit.

Anfang des 21.Jahrhundert findet ein umfangreicher Fusionsprozess statt. Am 8.Oktober 2003 entsteht offiziell durch die Fusion mit neun Anrainergemeinden das «Neue Lugano».

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