Mehr als 230’000 Erwerbstätige gelten als arm
Das erste Mal seit vier Jahren hat der Anteil der Vollerwerbstätigen, die unter der Armutsgrenze leben, zugenommen.
2003 erreichte die Quote dieser Working Poor 7,4% aller Erwerbstätigen, ein Prozentpunkt mehr als im Vorjahr. Arbeitgeber und Gewerkschaften sind beunruhigt.
Nach einer Phase der Stabilisierung nimmt der Anteil der Leute, die zwar arbeiten, aber dennoch als arm eingestuft werden («Working Poor»), wieder zu.
Besonders betroffen sind Alleinerziehende, Kinderreiche, Selbständigerwerbende und Ausländer, wie das Bundesamt für Statistik (BFS) am Freitag mitteilte.
Seit 2002 steigt die Working-Poor-Quote wieder
2003 waren 7,4% der 20- bis 59-jährigen Erwerbstätigen arm. Laut BFS leben diese in einem Haushalt mit einem Erwerbsumfang von mindestens einer Vollzeitstelle. 2002 hatte dieser Anteil 6,4% betragen.
In der Krise Anfang Neunziger Jahre war die Working-Poor-Quote gestiegen – von 6 auf 9% (1996). Dann stabilisierte sie sich und ging nach 2000 auf unter 7% zurück.
Seit 2002 beobachtet das BFS wieder einen Anstieg. Im Jahre 2003 waren 231’000 Working Poor in 137’000 Haushalten mit total 513’000 Personen betroffen, davon 233’000 Kinder.
Mehr als ein Viertel der Working Poor lebt in einem Haushalt mit einem Erwerbsumfang von mindestens zwei Vollzeitstellen. «Selbst Vollzeitarbeit schützt somit nicht immer vor Armut», schreibt das BFS.
Prekäre Arbeitsverhältnisse
Die Entwicklung der «Working Poor-Quote» hängt laut BFS zumindest teilweise mit dem Verlauf der Erwerbslosenquote zusammen. «Der Anteil armer Erwerbstätiger scheint der Erwerbslosenquote mit einem Abstand von zwei bis drei Jahren zu folgen», schreibt das BFS.
Offenbar gehe ein Anstieg der Arbeitslosigkeit mit einem Wachstum der Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse einher, wie dies auch eine aktuelle Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco) zeigt. Denn prekäre Arbeitsverhältnisse tragen zur Verarmung von Erwerbstätigen bei.
Die Quote von 7,4% entspricht dem Durchschnitt für alle Erwerbstätigen. Gewisse Kategorien von Erwerbstätigen sind bei den Working Poor jedoch übervertreten.
Über 20% Alleinerziehende oder Kinderreiche
Beispielsweise sind dies alleinerziehende Erwerbstätige und Erwerbstätige mit kinderreicher Familie (hier liegt die Quote bei 20,4 respektive 20,5%).
Selbständigerwerbende sind häufiger arm (13,8%), insbesondere solche ohne Angestellte (18,3%).
Übervertreten unter den Working Poor sind auch Ausländer aus Nicht-EU-Ländern (19,9%) und Personen ohne Ausbildung (18,5%).
Sowohl die Gewerkschaften als auch die Arbeitgeber zeigen sich vom Anstieg der Quote alarmiert. Gewerkschafter schlagen Mindestlöhne vor. Die Arbeitgeber betonen, diese seien von den Sozialpartnern auszuhandeln.
Pietro Cavadini vom Gewerkschaftsbund weist darauf hin, dass Teilzeitarbeitende besonders stark von der schlechteren Wirtschaftslage betroffen seien.
Für den Informationschef des Arbeitgeberverbands, Hans Reis, ist es eine schlechte Entwicklung, wenn in einem Land wie der Schweiz Vollerwerbstätige mit ihrem Lohn nicht mehr durchkommen.
swissinfo und Agenturen
2003 lebten laut Bundesamt für Statistik 231’000 Erwerbstätige unter der Armutsgrenze.
Dies entspricht einer Quote von 7,4% der 20- bis 59-jährigen Erwerbstätigen.
Im Vorjahr betrug die Quote noch 6.4%
Inklusive Familienmitgliedern repräsentieren diese 7,4% eine Bevölkerung von 513’000 Personen – fast die Hälfte davon sind Kinder.
Übervertreten bei den Working Poor sind die Kategorien der Alleinerziehenden und der Kinderreichen (jeweils über 20%).
Als Working Poor gelten erwerbstätige Personen zwischen 20 und 59 Jahren, die in einem armen Haushalt leben.
Die Armutsgrenze liegt bei weniger als 2450 Franken Monatseinkommen für einen Einpersonenhaushalt.
Für Ehepaar mit zwei Kindern liegt die Armutsgrenze bei 4550 Franken.
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