Migration: Die Schweiz wendet bereits DNA-Tests an
Das französische Parlament hat am Dienstag die umstrittene Einführung von Gentests für Angehörige von Einwanderern verabschiedet. In der Schweiz existiert diese Praxis bereits.
Die Anwendung von DNA-Tests wurde 2004 mit einem administrativen Verfahren eingeführt. Eine Debatte im Schweizer Parlament hat es bis heute nie gegeben.
Die Gentests sind in Frankreich Teil des Gesetzes, das in erster Linie verpflichtende Sprachtests für Einwanderungs-Kandidaten vorsieht.
Die Einführung der Tests hatte im Nachbarland eine heftige Debatte ausgelöst. Die sozialistische Opposition kündigte an, den Verfassungsrat anzurufen.
Missbrauch vermeiden
Die Einführung der Gentests soll nach dem Willen der französischen Regierung vor allem Missbrauch bei der Familien-Zusammenführung vermeiden.
Die Tests sollen zunächst probeweise bis 2009 eingeführt und dann von einer unabhängigen Kommission überprüft werden. Zudem muss ein Richter sie genehmigen.
Sie sollen nur bei Müttern durchgeführt werden, um peinliche Enthüllungen bei der Vaterschaft zu vermeiden.
Administrative Weisung
Im Zusammenhang mit dem Entscheid in Frankreich ist auch in der Schweiz eine Debatte über die Anwendung von DNA-Tests bei Migranten entstanden. Dabei wurde entdeckt, dass diese in der Schweiz bereits Praxis sind.
Gemäss einer Weisung des Bundesamtes für Migration (BAM) von 2004 ist es möglich, «mittels eines DNA-Tests unter behördlicher Überwachung die Zweifel über die familiäre Herkunft einer Person zu eliminieren, falls dies mit keinen anderen Mitteln möglich ist».
Auf einer Liste sind 33 Länder aufgeführt, davon 22 afrikanische, deren Zivilstandsregister zu wünschen übrig lassen. Im Zweifelsfall können sich die Schweizer Vertretungen in solchen Ländern an die Kantone wenden, die in Sachen Familien-Zusammenführung zuständig sind.
«Durchs Kellerfenster»
Fast die Hälfte von Familienzusammenführungs-Gesuchen (30’000 im Jahr) kommen aus Europa. Bei den restlichen Gesuchen gibt es fast keine offiziellen Zahlen über allfällig erforderliche DNA-Tests.
Gemäss einer Deutschschweizer Zeitung spricht der Kanton Basel-Landschaft von einem Fall im Jahr 2003 und der Kanton Aargau von drei oder vier Fällen jährlich in den letzten zehn Jahren.
«Ich bin schockiert», sagt der sozialdemokratische Nationalrat Carlo Sommaruga gegenüber swissinfo. «Ich konnte mir nicht vorstellen, dass diese Praxis in der Schweiz ohne Debatte im Parlament angewendet wird. Das ist, wie wenn man ein Haus durchs Kellerfenster betritt – skandalös.»
Eine Grauzone
Jonas Montano vom BAM erklärt, zu dieser Praxis existiere die legale Basis. Das neue Ausländergesetz, das am 1. Januar 2008 in Kraft tritt, erwähnt die DNA-Tests. Und das seit April dieses Jahres geltende neue Bundesgesetz über die Genanalyse bei Menschen sowie die entsprechende Weisung regeln die zivile und behördliche Erstellung von solchen Profilen.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) bleibt skeptisch. «Das Parlament hat das Ausmass dieser Sache nicht erkannt, als es diese Projekte begutachtete. Und es gab keinerlei Debatte über diese Verletzung der Privatsphäre», sagt Yann Golay gegenüber swissinfo.
Für den SFH-Juristen befindet man sich damit «in einer Grauzone»: Die Praxis ist seit Jahren bekannt, aber es gibt weder klare Informationen der Kantone noch eine nationale Statistik.
Eine zweischneidige «Hilfe»
Das BAM seinerseits betont den freiwilligen Aspekt des DNA-Tests. «Es ist eine Hilfe für Einwanderungs-Kandidaten, die nicht in der Lage sind, ihre zivile Herkunft zu beweisen. Überdies sieht das Ausländergesetz eine Pflicht zur Zusammenarbeit vor», so Montani vom BAM.
«Das ist relativ, denn im Verweigerungsfall riskiert der Kandidat, kein Visum zu erhalten», sagt Daniel Menna, Sprecher des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten. Für ihn ist es eine politische Frage: «Das Parlament hat entschieden, und wir können den Entscheid nicht in Frage stellen. Die legale Basis existiert und respektiert den Datenschutz.»
Alexandre Mauron, Mitglied der Nationalen Ethikkommission, ist mehr oder weniger zufrieden mit der legalen Situation. «In Frankreich ist es ein Richter, der die DNA-Tests verordnet. In der Schweiz wird das liberaler gehandhabt, es ist weniger klar», sagt er gegenüber swissinfo.
Eine Verlegenheits-Situation
Mauron geht noch weiter: «Die Leute dürften nicht verpflichtet werden, ihre biologische Herkunft zu beweisen. Eine solche ist nicht immer zu eruieren – einer auf zehn oder zwanzig ist nicht der richtige Vater. Unser Recht basiert auf der Tatsache, dass die natürliche Abstammung vor allem eine soziale Herkunft bedeutet.»
Der Genfer Professor für biomedizinische Ethik ist gespalten: «Einerseits sehe ich das Problem, andererseits entspricht diese Praxis im gegenwärtigen ideologischen Kontext der Volksmeinung, was ich bedaure.»
Und dann kommen noch die Kosten dazu. In Frankreich bezahlt der Staat den DNA-Test, wenn er die Familienherkunft beweisen kann (etwa 250 Euro bzw. fast 420 Franken pro Person), in der Schweiz nicht. «Laut unseren Informationen kostet ein DNA-Test in der Schweiz rund 1500 Franken», betont Yann Golay von der SFH.
swissinfo, Isabelle Eichenberger
(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud)
Die Anwendung von DNA-Tests zur Behebung von Zweifeln über Identitätspapiere von Personen ist in der Schweiz nur mit schriftlicher Genehmigung der Migrations-Kandidaten erlaubt.
Die Schweizer Vertretung im Ausland informiert den Kandidaten zur Familien-Zusammenführung, dass es ihm gemäss Art. 3, Kap. 2 des Ausländergesetzes im Rahmen der Zusammenarbeitspflicht freisteht, mittels DNA-Test unter behördlicher Überwachung die Zweifel über die Authentizität seiner Papiere zu beseitigen, falls dies nicht auf andere Art und Weise möglich ist.
Im Verweigerungsfall können die Behörden das Einwanderungsgesuch mit dem Hinweis auf Lücken in den Identitätspapieren ablehnen.
2006 kamen 30’701 Schweizer und Ausländer in den Genuss der Familien-Zusammenführung, die das zweithäufigste Motiv der Einwanderung ist (36,6%).
Ein solches Gesuch kann für Ehepartner und Kinder unter 18 Jahren gestellt werden.
Bedingungen sind eine angemessene Wohnung, eine Krankenversicherung für die ganze Familie sowie genügend finanzielle Einkünfte zu ihrem Unterhalt.
Zum Erhalt einer Aufenthaltsbewilligung muss die Person eine stabile Anstellung haben.
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