Migration und die Schweiz: Hoffnung im Gepäck
Eine Sonderausstellung des Schweizer Zollmuseums in Lugano-Gandria dreht sich um Migration – jenseits polizeilicher Perspektiven.
Die Oberzolldirektion setzt damit ein Zeichen für mehr Toleranz gegenüber Einwanderern.
Seit Ende des Zweiten Weltkriegs sind mehr als zwei Millionen Menschen in die Schweiz eingewandert oder leben hier als Nachkommen von Emigranten. Die Gründe sind vielfältig: Suche nach Arbeit, Flucht vor Vertreibung und Unterdrückung oder auch Partnerschaft mit einem Eidgenossen oder einer Eidgenossin.
Da ist zum Beispiel Kalsang P. Chokteng (54). Der Tibeter kam als 10-Jähriger ins Pestalozzidorf nach Trogen AR, nachdem seine Familie Tibet nach dem Aufstand in Richtung Nordindien verlassen hatte.
Die Geschichte von Chokteng ist eines der zwölf Migranten-Porträts, die seit Palmsonntag überlebensgross im Garten des Schweizerischen Zollmuseums von Gandria ausgestellt sind. Schon bei der Anreise vom Schiff aus erspäht man die riesigen Tafeln.
Der Mensch im Mittelpunkt
Es sind Geschichten, wie sie das Leben schreibt. Geschichten einer Kosovarin, eines Italieners oder eines Argentiniers, die in der Schweiz ihr neues Zuhause gefunden haben, aber auch die Geschichte eines Schweizer Ehepaars, das aus gesundheitlichen Gründen nach Spanien auswanderte.
Geschönt wird dabei nichts. So ist beim heute 83-jährigen Emilio Balestrero, der als einer der ersten Fremdarbeiter aus Italien nach Winterthur zu Sulzer kam, nachzulesen, dass er wegen seiner Gewerkschafts-Aktivität fichiert wurde.
«Ich finde es gut, dass man einmal nicht nur die Probleme, sondern auch die Erfolge der Flüchtlingspolitik zeigt», kommentiert Chokteng, der zur Vernissage nach Gandria gereist ist. Auch der 35-jährige Tamile Vijejakumar Nadesu, der 1991 vor dem Bürgerkrieg in seiner Heimat Sri Lanka flüchtete, findet Gefallen an seinem riesigen Porträt.
«Wir sind sehr dankbar, dass wir in der Schweiz leben können», sagt er, während der Chilene Sergio Tilleria, ein in Schaffhausen lebender Künstler, den Textteil als zu kurz kritisiert.
Migration – ein weltweites Phänomen
«Hoffnung im Gepäck: Die Migration und die Schweiz», so der Titel der Sonderausstellung im «Schmugglermuseum», wie es im Volksmund heisst, zeigt auf einfache Art und Weise die Vielfältigkeit der Migration auf – ein Phänomen, das sich keineswegs auf die Schweiz beschränkt.
Weltweit leben rund 175 Millionen Menschen nicht dort, wo sie geboren sind. Ihre Migration ist alles andere als geradlinig. Im so genannten Labyrinth werden die oft gefährlichen und verschlungenen Wege einer Migration gezeigt.
Migration löst Ängste und Sorgen aus. Auch das wird nicht unterschlagen. «Würden wir irritiert reagieren, wenn unser Gemeindepräsident ein Schwarzer wäre, oder wenn wir von einem asiatisch aussehenden Polizisten eine Busse erhielten?» Diese Fragen werden im «Toleranzraum» reflektiert.
Gleichzeitig wird aufgezeigt, wie stark die Einflüsse von Emigranten die helvetische Lebensweise – wie beispielsweise die Essgewohnheiten – beeinflusst haben. Wäre ein Leben in der Schweiz ohne Pizza, Olivenöl oder Sojasauce noch vorstellbar?
Kein polizeilicher Blickwinkel
Ausstellungskurator Thomas Buomberger ist überzeugt, dass das Thema Migration in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen wird. Gefordert sind somit auch Grenzwache und Zoll, deren Auftrag es ist, so genannte «unerwünschte Fremde» von der Schweiz fernzuhalten.
«Umso verdienstvoller ist es, dass auf Anregung der Oberzolldirektion und in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Landesmuseum eine Ausstellung zu Stande kam, die das Thema Migration gerade nicht aus dem polizeilichen Blickwinkel darstellt, sondern versucht, Schlaglichter auf verschiedene Facetten des unendlich vielschichtigen Phänomens Migration zu werfen», sagt Buomberger.
Tatsächlich setzt die Ausstellung einen klugen und interessanten Kontrapunkt zu einer häufig emotionsgeladenen Debatte über Asylbewerber und Ausländer. Aufgezeigt wird zudem, dass auch Schweizer zu einem grossen Teil Migranten sind. Rund 600’000 Eidgenossen oder 10 Prozent aller Schweizer leben im Ausland.
Ein besonderes Museum
Die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) hofft, dass – wie in den vergangenen Jahren üblich – auch in dieser Saison wieder über 20’000 Personen das Zollmuseum besuchen werden. Ein Ausflug lohnt sich jedenfalls auch für die Dauerausstellung, die Einblick in die Zoll- und Grenzgeschichte von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute gibt.
Das nur mit dem Schiff erreichbare Museum, das seit 1978 dem Schweizerischen Landesmuseum angegliedert ist, befindet sich in einem ehemaligen Grenzwächterhaus.
Es zeigt die Geschichte des Schmuggels, die Arbeits- und Lebensweise der früheren Zöllner, aber auch die Methoden der modernen Verbrechens-Bekämpfung. Attraktive Exponate, moderne Museums-Technik und aktuelle Sonderausstellungen machen das Museum zu einem beliebten Ausflugsziel.
swissinfo, Gerhard Lob, Gandria
Hoffnung im Gepäck, Migration und die Schweiz. Sonderausstellung im Schweizer Zollmuseum, 6978 Cantine di Gandria (Tessin), täglich bis 24. Oktober 2004, 13.30 – 17.30 Uhr, Eintritt frei.
Die Sonderausstellung zur Migration lädt Besucherinnen und Besucher dazu ein, sich mit einem Phänomen zu beschäftigen, das auch für die Schweiz in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird.
Seit 1945 sind rund zwei Millionen Personen in die Schweiz eingewandert oder leben hier als Nachkommen von Einwanderern.
Die Ausstellung zeigt einige Flüchtlingsgeschichten ganz konkret auf.
Umgekehrt leben zirka 10 Prozent der Schweizer im Ausland.
Mit der Ausstellung setzen die Oberzolldirektion und die Eidgenössische Zollverwaltung ein beachtliches Zeichen für Völkerverständnis und Toleranz.
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