Misshandlungen im Behindertenheim
Im Behindertenheim der Stiftung Seehalde im aargauischen Seetal sind mehrere schwerstbehinderte Menschen körperlich misshandelt worden. Nicht erstaunt über die Vorfälle ist Barbara Marti, Zentralsekretärin Agile, Behindertenselbsthilfe Schweiz: "Man hört immer wieder von solchen Fällen".
Gegen drei ehemalige Betreuungspersonen wurde vom Bezirksamt Lenzburg ein Strafverfahren eingeleitet. Ins Rollen gebracht wurde dieses, nachdem im November ein Behinderter mit Oberschenkelbruch ins Kantonsspital Aarau überführt werden musste. Der behandelnde Arzt stellte dabei Anzeichen von Misshandlungen fest und informierte die Behörden.
Barbara Marti, Zentralsekretärin von Agile, Behindertenselbsthilfe Schweiz, ist nicht erstaunt, dass Misshandlungen dieser Art passieren. Sie hört nicht zum ersten Mal von solchen Vorfällen.
Keine derartigen Kenntnis hat Béatrice Zunzünen, Kommunikations-Beauftragte der Organisation Insieme, die sich gesamtschweizerisch für Menschen mit geistiger Behinderung stark macht. Zu Ohren gekommen sind ihr jedoch «Vermutungen und Spekulationen, die sich nicht erhärten lassen»
Gründe können nur vermutet werden
Wie kann es zu solchen Misshandlungen kommen? Barbara Marti in einem Bericht von Schweizer Radio DRS verschiedene Gründe. «Behinderte können sich nicht wehren. Dadurch sind sie dankbare Opfer für Leute, die selber Probleme haben.»
Dazu sei das Pflegepersonal aufgrund des Spardruckes oft ungenügend ausgebildet und dadurch häufig überfordert in der Betreuung von geistig Behinderten.
Verbesserungen möglich
Heimplätze sind Mangelware. Das sei mit ein Grund, dass sich gerade auch Eltern von Behinderten gegen mögliche Missstände nicht wehren würden, sagt Barbara Marti. Eine Lösung sieht sie auf politischer Ebene. So sollten ihrer Ansicht nach finanzielle Mittel nicht in die Institutionen gesteckt, sondern den Behinderten und ihren Angehörigen gegeben werden, damit diese sich einen Heimplatz kaufen könnten, dort wo sie wollen. Auf diese Weise könnten sie aktiv auf Missstände reagieren.
Acht Fälle bekannt
Gemäss Bezirksamtmann René Schärli sind bis jetzt acht konkrete Fälle von körperlichen Misshandlungen im Behindertenheim der Stiftung Seehalde bekannt, die nun genauer untersucht würden. Die Vorfälle hätten sich zwischen 1997 und 1999 in verschiedenen Wohngruppen ereignet.
Bereits im Juli musste ein Behinderter mit einer Verbrühung ärztlich behandelt werden, weil er von einem Pflegenden zu heiss gebadet worden war. In einem anderen Fall wurde ein Behinderter so stark an den Haaren gezogen, dass er sich die Kopfhaut nähen lassen musste.
«Gewaltige Ignoranz»
Beatrice Zunzünen ist überzeugt, dass es sich im Verhalten eines behinderten Menschen deutlich ausdrückt, wenn er misshandelt wird. Es zeuge von einer «gewaltigen Ignoranz», wenn Misshandlungen nicht wahrgenommen würden.
«Wenn man will, kann man Anzeichen von Misshandlung bei Behinderten sehen», sagt auch Barbara Marti. Zum Beispiel seien diese Leute häufig krank, wollen nicht duschen oder nicht mit einer einzelnen Betreuerperson im selben Raum bleiben.
swissinfo
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch