Mit Dialog und Wachsamkeit die Welt verändern
Wie viel Raum bleibt im Zeitalter der Globalisierung für den Dialog? Und welche Rolle können die Religionen in diesem Dialog spielen?
Gespräch mit dem protestantischen Waadtländer Theologen Shafique Keshavjee zum Abschluss des Weltsozialforums in Mumbai (Bombay).
In einer Hotelhalle bei der Juhu Beach, am Rande von Mumbai, Indien. Das Weltsozialforum ist zu Ende. Das Flugzeug von Shafique Keshavjee, einem aus Indien stammenden protestantischen Theologen, der in Lausanne ein Zentrum für den interreligiösen Dialog leitet, hebt in ein paar Stunden ab.
Gelegenheit, um über einige Eindrücke von der Antiglobalisierungsbewegung, über die Globalisierung und unsere komplexe Welt zu reden. Mit einem Seitenblick auf das Weltwirtschaftsforum in Davos.
swissinfo: In einem Ihrer Bücher sprechen Sie von einem idealen Reich, in dem ein Dialog möglich ist. Sind Sie am Sozialforum auf diesen Dialog gestossen?
Shafique Keshavjee: Eigentlich nicht, jedenfalls nicht im Sinn des Forums und der Widerstandsbewegung. Aber das stört mich nicht, es braucht verschiedene Ansätze. Einen etwas sanfteren, offeneren, und einen etwas härteren.
Dass die Organisatoren auf den Dialog mit den Staaten und den Konzernen verzichten, macht aus diesen Forum einen Ort, wo man sich ausdrücken, Forderungen stellen kann. Damit schafft man ein Gegengewicht zum Forum von Davos.
Trotzdem könnte ich nicht nur hier sein. Denn wer an der Macht ist, ist sicher in Davos. Und ich denke, dass man zumindest versuchen sollte, die Fragen, die sich hier stellen, auch dort vorzubringen.
swissinfo: Würden Sie nach Davos gehen, wenn Sie eingeladen wären?
S. K.: Ich glaube schon. Aber ich weiss, dass diese Kreise moralische und spirituelle Unterstützung brauchen. Deshalb ist etwas problematisch: Geht man nicht, lässt man ihnen den ganzen Raum, geht man jedoch, läuft man Gefahr, vereinnahmt zu werden.
In Davos gibt es ja bereits einen Dialog. Aber damit die Leute an der Macht zuhören, muss das Sozialforum seinerseits vielleicht etwas mehr Macht erhalten, denn diese Leute bauen auf die Logik der Macht.
Die Frage ist nun: Wie weit muss man in dieser Logik der Macht gehen, um sich Gehör zu verschaffen? Aber vergessen wir nicht, dass diese Logik nicht die einzig mögliche ist.
swissinfo: Können die Religionen Ihrer Ansicht nach in der Antiglobalisierungsbewegung eine Rolle spielen? In einigen Ländern sind die Kirchen da schon recht präsent …
S. K.: Ich glaube, dass jede religiöse Tradition ein Motor für Öffnung und Menschenwürde ist. Es kann aber auch ein Motor für Opposition und Ausschluss sein.
Hier in Mumbai wurde, anders als in Porto Alegre, die religiöse Dimension in die Debatten einbezogen. Das ist gut so. Denn wenn man die Welt nur vom wirtschaftlichen und politischen Standpunkt aus betrachtet, versteht man sie nicht.
Die Religion ist Teil der Identität der Menschen. Sie ist ein Teil des Problems, aber auch ein Teil der Lösung. Wenn sie wirklich für alle da ist, scheint sie mir nützlich. Aber das ist sie nicht, wenn sie Hindernisse zwischen den Gemeinschaften aufbaut.
swissinfo: Sie haben soeben einen Roman über die Globalisierung geschrieben. Darin erzählen Sie vom Treffen eines Konzernchefs mit einer Bettlerin hier in Mumbai. Würden Sie das Buch, nachdem Sie nun in Mumbai waren, noch gleich schreiben?
S. K.: Ich hatte etwas Angst, hier herauszufinden, dass mein Buch nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Aber jetzt bin ich ziemlich beruhigt. Die Komplexität dieser Wirklichkeit, dieser sozialen Bewegungen, die ich gut studiert hatte, bevor ich das Buch schrieb, ist schliesslich im Roman wiederzufinden.
Es hat zwar einige kleine Dinge, einige Details, die ich heute etwas anders darstellen würde, aber nicht viel.
swissinfo: Sie haben bereits an Sozialforen in der Schweiz teilgenommen. Wollen Sie sich in Zukunft noch mehr engagieren?
S. K.: Es gibt verschiedene Arten von Engagement. Meine Berufung, mein Dienst liegen eher im Aufbau von Brücken zwischen den Welten, die sich nicht kennen.
So habe ich zum Beispiel ein Exemplar meines Romans dem französischen Globalisierungsaktivisten José Bové und ein weiteres Nestlé-Konzernchef Peter Brabeck gegeben. Und ich gebe die Hoffnung nicht auf, einmal mit dem einen oder anderen sprechen, vielleicht sogar eine Diskussion organisieren zu können, damit die beiden ins Gespräch kommen. Damit kann vielleicht etwas in Bewegung gebracht werden.
Ich bleibe also in Verbindung mit dem Sozialforum, denn da werden alle möglichen Sorgen angesprochen, und da reifen alle möglichen Ideen und schöpferischen Vorschläge. Aber es hat auch Grenzen, und ich möchte mich nicht nur mit einem solchen Forum identifizieren.
Das hängt auch mit meiner Weltsicht zusammen. Hier in Indien gibt es eine nicht sehr bekannte Religion, den Jainismus. Sie predigt die Gewaltlosigkeit, die Ghandi so stark inspiriert hat, und auch eine Perspektive, wonach es Probleme gibt, wenn man nur einen einzigen Standpunkt hat.
Das leuchtet mir ein. Ich glaube, dass die soziale Bewegung ein Standpunkt ist. Die Widerstandsbewegung ist ein anderer, aber die Logik der Globalisierung ist vielfältig.
Persönlich kann ich mit Slogans wie „Nein zur WTO, zu den Multis und zur Weltbank“ nicht viel anfangen. Ernsthafte Kritik ist sicher nötig, aber manchmal macht man es sich damit zu einfach.
Die meisten Leute kamen mit dem Flugzeug hierher, sie benutzen Handys und tragen Kleider, die von Konzernen verkauft werden.
Man kann die Weltbank wohl kritisieren, aber sie baut Toiletten in den Elendsquartieren von Mumbai, und dank der WTO werden Meinungsverschiedenheiten geregelt, auch wenn das äusserst negative Auswirkungen haben kann. Ich selber stelle mir lieber vor, was ich tun würde, wenn ich auf der anderen Seite wäre, um vielleicht etwas zu verändern.
swissinfo: Womit wir wieder beim Dialog sind …
S. K.: Den gibt es bereits in vielen Bereichen. Zum Beispiel die Bewegungen für fairen Handel.
Zuerst befanden sie sich ausserhalb der grossen Verteilnetze, und jetzt sind sie nicht nur drin, man spricht sogar davon, dass sie beim Kaffee mit McDonald’s zusammenarbeiten wollen.
Auf gewisse Weise ist es ein Verrat, und die Fastfood-Kette nutzt das aus, um ihr Image zu verbessern. Aber wenn das Image von McDo trotzdem vielen Menschen, die Kaffee anbauen, zu mehr Einkommen verhilft, was ist dann besser?
Muss man wirklich warten, bis das System am Ende ist oder explodiert, oder soll man versuchen, den Lauf der Dinge zu verändern?
Ich persönlich ziehe die zweite Lösung vor. Ich hoffe deshalb, dass dieser Dialog noch ausgebaut wird. Wir dürfen aber nicht naiv sein: Die Logik dieser Unternehmen ist das Kapital, es geht darum, die Märkte zu erobern. Und dazu sind alle Mittel recht.
Wir müssen deshalb extrem wachsam bleiben. Es ist auch an den Medienleuten und an den akademischen Kreisen, der Welt zu sagen, was vor sich geht, damit das Gewissen nicht einschläft.
Interview swissinfo, Andrea Tognina
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)
Shafique Keshavjee wurde 1955 in Kenya geboren. Seine Eltern stammen aus dem indischen Staat Gujarat.
Er ist protestantischer Theologe und Betreuer im Zentrum für inter-religiösen Dialog von Arzillier, in Lausanne.
1998 veröffentlicht er bei Seuil «Der König, der Weise und der Spassvogel», eine Fabel zum Thema Dialog zwischen den Religionen.
Sein jüngstes Ende 2003 erschienenes Buch «Die Prinzessin und der Prophet», auch bei Seuil, ist ein Roman über die Globalisierung. Er handelt vom Treffen zwischen einem Manager eines Multi-Unternehmens und einem Bettler-Mädchen aus Mumbai.
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