Mit Farben der menschlichen Psyche auf der Spur
Sein Farbtest ist als Methode der Persönlichkeits-Diagnostik weltweit verbreitet, seine Bücher wurden in 29 Sprachen übersetzt: Der Schweizer Psychologe Max Lüscher hat erforscht, wie Menschen auf Farbe reagieren.
Am 9. September ist er 80-jährig geworden.
Schon Goethe hatte mit seiner Farbenlehre viele beeinflusst. An Frau von Stein schrieb der Dichterfürst am 11. Mai 1810: «Es reut mich nicht, den Studien zur Farbenlehre so viel Zeit aufgeopfert zu haben. Ich bin dadurch zu einer Kultur gelangt, die ich mir von einer anderen Seite her schwerlich verschafft hätte.»
Auch Max Lüscher arbeitet mit Farbe. Er verehre Goethe masslos, sagt der Professor im Gespräch mit swissinfo. «Aber seine Farbenlehre hat mit meiner Farbenlehre überhaupt nichts zu tun. Er war nicht an der Psychologie der Farbe interessiert, sein Thema war das Phänomen, die Wahrnehmung der Farbe.»
Röntgenbild der Psyche
Ganz anders der Lüscher-Farbtest: «Die Grundlage ist eine andere Psychologie als die übliche, es ist eine logische, klare Psychologie. Die habe ich dann angewandt auf die Farbdiagnostik. Und diese Farbdiagnostik wird angewandt in der Medizin, zur Persönlichkeits-Beurteilung, zur Auslese des Personals.»
Lüscher bezeichnet seinen Test als «objektive Methode zur Definierung des psycho-physiologischen Zustandes». Der Test ist eine non-verbale Methode, um unbewussten Gefühlen, Emotionen und Motivationen auf die Spur zu kommen. Die Methode gehört unter anderem wegen ihrer Einfachheit zu der am weitesten verbreiteten Persönlichkeits-Diagnostik.
Kritik an der schulmedizinischen Diagnostik
Lüscher lehnt die Schulmedizin zwar nicht ab, weist aber darauf hin, dass mehr als 80 Prozent der Patienten, die zum Arzt gehen, psycho-somatische Krankheiten hätten. «Magen, Darm, Herz, Kreislauf, Migräne, Rückenschmerzen, bis in die Zähne hinein – das hat alles psycho-somatische Ursachen. Deshalb wäre es wichtig, wenn der Mediziner allgemein nicht nur die Symptome behandelt, sondern die Ursache sieht.»
Schon Paracelsus habe gesagt, ein Arzt, der nur die Symptome behandle, sei ein kurzsichtiger Pfuscher. Und Lüscher weiter: «Wer bei chronischen Beschwerden nur die Symptome behandelt und die psycho-somatischen Ursachen nicht versteht, betreibt langwierige, unzweckmässige Therapien, welche die Krankenkassen sehr belasten.»
Berührungspunkte mit der Homöopathie
Die Ursachen von Krankheiten oder Beschwerden könne man mit dem Farbtest sehen, sagt Lüscher. «Die Farben nehmen wir als Frequenzen wahr, sie wirken sich im Nervensystem aus. Und das kann man eben durch die Farben darstellen.»
Zudem sei der Farbtest eine einfache Methode, weil die Farbwahrnehmung für alle in allen Kulturen genau gleich sei. Lüscher: «Sie ist objektiv und universell. Die subjektive Bewertung (sympathisch, unsympathisch) der Farbe zeigt den psychisch-vegetativen Zustand.»
Der Homöopath müsse den Patienten im allgemeinen mindestens drei Stunden konsultieren. «Wenn ihm die Farbwahl vorgelegt wird, können wir daraus durch einen bestimmten exakten Schlüssel mehr oder weniger direkt das optimale homöopathische Mittel bestimmen», so Lüscher.
Personalauslese und Berufsbildung
Eine breite Anwendung findet der Lüscher-Farbtest weltweit in der Berufsberatung und besonders in der Personalauslese. «Das geht von Mexiko bis nach Moskau», sagt der Psychologe.
«Die Farben zeigen die Emotionen und die Motivationen eines Bewerbers. Und dadurch können wir sehen, wie diese Person wirklich ist und nicht so, wie sie sich im Fragebogen oder bei der direkten Befragung darstellt, sich gerne sehen möchte oder sich einbildet, was sie sei.»
Skeptische Schulmedizin
Bei den Universitären Psychiatrischen Diensten (UPD) in Bern wird der Lüscher-Farbtest nicht angewendet. Grund: Er genüge den universitären Gütekriterien nicht, sagt Psychologe Dr. Franz Moggi gegenüber swissinfo.
«Ein Test muss genau, reliabel sein, er muss valide sein, d.h. er muss das messen, was er vorgibt zu messen, und er muss objektiv sein. Das sind die wichtigen drei Kriterien eines Tests.» Dabei dürften nicht zu viel subjektive Interpretationen möglich sein, wie beim Lüscher-Test.
Die Lüscher-Methode sei gut zum Generieren von Hypothesen bei Sachverhalten oder Problemen, die ein Patient habe. «Aber es ist natürlich kein Test um herauszufinden, ob es dann tatsächlich so ist. Da gibt es andere Verfahren, die beispielsweise Persönlichkeits-Merkmale eindeutiger und besser abbilden.» Beim Lüscher-Test sei die Mutmassung zu gross.
In der Berufsberatungsszene würde der Lüscher-Farbtest oft angewendet, räumt Moggi ein. Von der universitären, wissenschaftlichen Ebene her könne man aber sagen, dass es zwar ein interessantes Verfahren zur Entwicklung von Ideen sei, aber sicher kein gutes um zu testen, wie es zum Beispiel um die Aggressivität eines Menschen stehe.
Die Aussagen Moggis entsprechen generell dem Tenor an den Psychiatrischen Universitätskliniken oder den Psychologischen Instituten in der Schweiz. Auch in der Medizin herrsche Skepsis gegenüber Methoden wie dem Lüscher-Farbtest, betont Moggi.
4-Farben-System-Denken
Für Lüscher steht Gelb für «rezeptives Denken», Grün für «objektives Denken», Rot für «provokatives Denken» und Blau für «reflexives Denken». «Rot zum Beispiel», präzisiert Lüscher, «ist die lebhafteste, stimulierendste, erregendste Farbe.»
Er habe eben eine Frau mit roter Hose und schwarzem Hemd gesehen. «Rot heisst erregend, faszinierend, aktiv, lebhaft, und Schwarz bedeutet ‹unbedingt› – das heisst also, ich will unbedingt Sex haben. Typisch ist, dass auch die Hose rot war.»
So könne man aus der Farbwahl, die jemand bevorzuge, sofort Schlüsse auf die Persönlichkeit ziehen, sagt der Psychologe. Schmunzelnd fügt er jedoch sofort bei, das Beispiel mit der Frau sei vielleicht eine etwas «populäre» Erklärung gewesen.
swissinfo, Jean-Michel Berthoud
Geb. 9. Sept. 1923 in Basel
1947: Entstehung des Lüscher-Tests
1956: Professur für Psychologie in Amsterdam
1961 bis 1965: Psychotherapeut in Berlin
Heute: Leiter des Instituts für medizinische Psychodiagnostik in Luzern
Max Lüscher durfte bereits als 16-jähriger mit einer Sondererlaubnis an der Uni Basel psychologische und philosophische Vorlesungen besuchen. Bald erkannte er, dass die allgemeine Behauptung, dass Farben keine bestimmte Bedeutung hätten, nicht stimmen kann. Er wies nach, dass die Sinnesempfindung der Farbwahrnehmung objektiv und universal ist.
Damit wurde Lüscher zum Begründer der heute weltweit anerkannten Farbpsychologie. 1947 erklärte Max Lüscher am ersten Weltkongress der Psychologie in Lausanne seine Farbdiagnostik. Dadurch wurde sein Farbtest mit den speziellen «Lüscher-Farben» rasch international bekannt.
Max Lüscher hat insgesamt 14 Fachbücher geschrieben. Bekannteste Titel sind «Psychologie der Farben», «Der 4-Farben-Mensch», «Signale der Persönlichkeit» und «Die Farben der Liebe». Sein Hauptwerk heisst «Das Harmoniegesetz in uns». Der Lüscher-Test wurde seit 1947 in 29 Sprachen übersetzt.
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