Mit innovativer Technologie den Verbrauch reduzieren
Weniger Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum schliessen sich nicht aus. 65% Wachstum und 30% weniger Verbrauch bis 2050 sind realistisch, prognostizieren Forscher am Paul Scherrer Institut (PSI).
Den Spagat ermöglichen werden effiziente Technologien, attraktive Produkte ohne Sparlook und ein Energiemix, sagt Forschungsleiter Alexander Wokaun im swissinfo-Gespräch.
Die Landesregierung bezeichnet die 2000 Watt Gesellschaft als langfristiges Ziel der Energiepolitik.
swissinfo: Die Vision ist ohne die Industrie nicht realisierbar. Was bringt ihr die 2000 Watt Gesellschaft?
Alexander Wokaun: Es kann nicht darum gehen, die verbleibenden, nicht erneuerbaren Ressourcen möglichst schnell zu verbrauchen. Das Gegenteil ist der Fall.
Energie ist ein Kostenfaktor. Die Industrie hat ein vitales Interesse, Kosten zu senken.
swissinfo: Das 3-Liter-Auto wird seit Jahren angekündet. Der reale Mix der Neuzulassungen ist jedoch weit davon entfernt. Was klemmt?
A.W.: Wirtschaftswachstum generiert steigende Wertschöpfung und Einkommen. Gleichzeitig wissen wir, dass wir den Energiekonsum reduzieren müssen.
Die grundlegende Frage ist: Wofür setzen die Bürger ihr Einkommen ein und wie können wir bewirken, dass sie umweltfreundlichere Fahrzeuge kaufen.
swissinfo: Es ist ja nicht so, dass den Leuten die Problematik nicht bekannt ist.
A.W. Hier liegt die Herausforderung. Das umweltfreundliche Auto, das Haushaltgerät oder das Minergie-Haus müssen so attraktiv sein, dass die Leute es kaufen.
Es kann sich nicht darum handeln, den Sparlook zu propagieren, sondern es muss so sein, dass zu den innovativsten Leuten gehört, wer ein umweltfreundliches Produkt oder Haus besitzt.
Das Dilemma steckt darin, dass man für den gleichen Aufpreis entweder mehr Leistung und Komfort oder mehr Ökologie erhält. Künftig muss das ökologisch beste Produkt auch das billigste Produkt auf dem Markt sein oder zumindest das beste Preis-Leistungs-Verhältnis aufweisen.
swissinfo: Sie sind an der Erforschung neuer Antriebstechniken beteiligt. Wann kommt das emissionsfreie Auto mit auf Wasserstoff basierenden Brennstoffzellen?
A.W.: Die Brennstoffzelle muss ihren Weg in den Markt über Nischen finden. Der wichtigste Hinderungsgrund für die Einführung sind die Kosten. Wir überlegen uns jedoch ganz intensiv wo der erste Durchbruch der Brennstoffzelle gelingen kann.
Eines unserer Projekte ist eine Strassen-Reinigungsmaschine. Diese könnte in Fussgängerzonen die Idee des emissionsfreien Antriebs propagieren.
swissinfo: Welches ist aus Ihrer Sicht die ideale Methode der Stromproduktion?
A.W.: Ideal ist ein Mix. Aus meiner Sicht ist keine CO2-arme oder CO2-freie Möglichkeit verzichtbar. Wir brauchen unsere Wasserkraft als Rückgrat und müssen diese im Rahmen der ökologischen Vertretbarkeit ausbauen.
Wir müssen auch die Stromerzeugung mit Biomasse ausbauen und in Zukunft das Potential der Geothermie erkunden. An geeigneten Lagen – etwa an der Nordseeküste – können wir Windkraft erzeugen. Der Sonnengürtel Südeuropas ist für die Sonnenenergie geeignet.
Schliesslich ist die Kernenergie, welche 40% des Bedarfs deckt, ein weiteres Element, um CO2-arme Energie zu erzeugen.
swissinfo: Was ist mit Wind- und Sonnenenergie in der Schweiz?
A.W.: Die mittleren Windgeschwindigkeiten hier sind viel kleiner als an der Nordsee, die Sonneneinstrahlung kleiner als im Süden.
Es geht um die Frage, wo die Investitionen am sinnvollsten sind. Und da ist die Wasserkraft zentral. Wind- und Sonnenenergie können unter günstigen Bedingungen einen wesentlichen Beitrag leisten bei der Spitzenlast-Technologie.
Gas-Kombi-Kraftwerke und Pumpspeicher sind schnell regulierbar und können Spitzenenergie liefern sowie als Kompensations- und Regelkraftwerke für die fluktuierende Wind- und Solarenergie dienen
Für die Grundversorgung brauchen wir Bandenergie. Dass ist eine Stärke der Kernenergie und wäre auch ein Vorteil der Geothermie.
swissinfo: Weniger C02 als Ziel und Ausschöpfung der Sparpotentiale. Welche Entwicklungen halten Sie bis 2050 für wahrscheinlich?
A.W.: Diese beiden Dinge müssen Hand in Hand gehen: Knapper werdende Erdöl-Ressourcen, steigende Preise für Öl und Gas werden uns in dieser Hinsicht helfen.
Trotz eines prognostizierten Wirtschaftswachstums um 65% bis 2050 erwarten wir, dass bei geeigneten Anstrengungen der Energieverbrauch pro Kopf um 30% gesenkt werden kann.
Den verbleibenden Energiebedarf werden wir aus Anteilen von fossilen Energien, erneuerbaren Energien und Kernenergie bereitstellen müssen, wobei das Ziel sein muss, den CO2-Ausstoss bis 2050 zu halbieren.
swissinfo: 30% Reduktion von 5000 Watt ergibt 3500 Watt. Wo bleibt die 2000 Watt Gesellschaft?
A.W. 2000 Watt sind eine Vision, ein Ideal, das voraussetzen würde, dass alle Akteure unserer Gesellschaft sich absolut rational verhalten würden, dass bei jedem Autokauf nur noch die Vernunft eine Rolle spielte und bei jedem Hausbau nur noch die beste Technologie angewendet würde.
Die Vision ist wertvoll, weil sie klar die Richtung der angestrebten Veränderungen in der Realität aufzeigt.
swissinfo-Interview: Andreas Keiser, Villigen
Der Energieverbrauch pro Kopf beträgt heute im globalen Durchschnitt rund 2000 Watt.
Doch die Unterschiede sind gross. In Äthiopien sind es 500 Watt, in den USA 12’000 Watt und in der Schweiz 5000 Watt.
Die Vision der 2000 Watt-Gesellschaft wurde im ETH-Bereich entwickelt.
Sie will aufzeigen, wie der Energieverbrauch gesenkt und der CO2-Ausstoss reduziert werden kann, ohne dass der Wohlstand verringert wird.
Die Vision basiert auf dem vom Staatssekretariat für Wirtschaft prognostizierten Wirtschaftswachstum von 65% bis ins Jahr 2050.
Eine bedeutende Rolle spielen die Gebäude, welche für 60% der Energie verbrauchen.
Die effizientsten Einzellösungen – Kombinationen aus fortschrittlichen Gebäuden mit Haustechniksystemen – erfüllen bereits heute die Anforderungen.
Die Auswirkung auf den gesamten Gebäudepark ist jedoch durch die langen Erneuerungszyklen deutlich gedämpft.
Alexander Wokaun ist Leiter des Forschungsbereichs allgemeine Energie am PSI und massgebend beteiligt an den strategischen Visionen zur Frage, wie der pro Kopf Energieverbrauch von derzeit 5000 Watt auf 2000 Watt gesenkt werden kann.
Seine Forschungsgebiete sind erneuerbare Energien, Energiespeicherung, Brennstoffzellen sowie die schadstoffarme Verbrennung.
Wokaun ist auch Professor für Chemie am Laboratorium für Technische Chemie der ETH Zürich.
Er hat an der ETH studiert, später bei IBM und den Bell Laboratories geforscht und an der Uni Bayreuth gelehrt.
1994 kehrte der heute 54-jährige Österreicher in die Schweiz zurück und wurde Professor an der ETH.
Wokaun präsidiert auch den Lenkungsausschuss des Kompetenzzentrums für Energie und Mobilität im ETH-Bereich.
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